Prävention
Wie Kommunen zunehmende Wohnungslosigkeit bekämpfen wollen
Wohnungslosigkeit: Das sind die Gründe
Die Ursachen für Wohnungslosigkeit sind laut der Geschäftsführerin sehr unterschiedlich. Da sind die jungen Leute, die aufgrund von Konflikten in der Familie von zuhause „abgehauen“ sind. Da sind all die Menschen, die durch Erkrankungen, durch Sucht oder Depression nicht in der Lage sind, ihre Wohnung zu halten. Und da sind jene, die durch eine Trennung von ihrem Partner auf einmal ohne Bleibe dastehen. Was alle eint, sind die knappen wirtschaftlichen Ressourcen, zudem hätten die Menschen oft kaum tragende soziale Netzwerke. Und auch die Informationslage ist dürftig: „Häufig wissen die Leute gar nicht, welche Möglichkeiten sie noch haben und fühlen sich ohnmächtig und ausgeliefert.“ Entsprechend müssten kommunale Hilfsangebote noch deutlicher kommuniziert werden, rät die Geschäftsführerin des Verbandes.
Kommune zuständig für Unterbringung
Kommt es tatsächlich zur Wohnungslosigkeit, ist die Kommune für die ordnungsrechtliche Unterbringung zuständig. Gleichwohl diese klar geregelt ist, gibt es hier laut Rosenke große Unterschiede in der Umsetzung. „Teilweise werden hier keine adäquaten Standards eingehalten oder Menschen ohne sozialrechtliche Ansprüche abgewiesen“, so die Geschäftsführerin. Dies sei zwar nicht korrekt, aber durchaus häufige Praxis. Entsprechend wichtig sei es, eine „menschenwürdige Unterbringung mit ordentlichen Standards zu gewähren, die wirklich jedem zugänglich ist, der sich in Not befindet“.
Dabei tauchen längst nicht alle Wohnungslosen sofort in den Unterkünften auf, viele schlagen sich erst einmal allein durch und geraten schnell in eine Abwärtsspirale. „Menschen, die einmal wohnungslos geworden sind, finden unglaublich schwer wieder zurück – vor allem dann, wenn der Wohnungsmarkt ohnehin leer ist“, stellt Rosenke fest. Geht es um den Anspruch auf Sozialwohnungen, stünden wohnungslose Menschen ganz hinten in der Schlange. Es brauche nicht nur mehr Sozialwohnungen, sondern auch einen bestimmten Anteil an Wohnungen, der extra von der Kommune für Wohnungslose freigehalten wird.
Einen sehr erfolgreichen Präventionsansatz verfolgt man bei der Wohnungslosenhilfe Ludwigsburg. Sie hat 2016 das Projekt „Wohnungssicherung“ gestartet.
Fachstelle berät bei drohender Wohnungslosigkeit
Es wird von allen beteiligten Kommunen mitfinanziert, die anteilig die Personalkosten übernehmen. „Unser Ziel ist es, zu verhindern, dass Menschen in die Wohnungslosigkeit rutschen. Damit entlasten wir auch die Kommunen“, sagt Julia Grözinger, die als Sozialpädagogin mitarbeitet. In der Praxis bedeutet das: Sobald ein Mietverhältnis konkret in Gefahr ist, können sich die Hilfesuchenden an die Fachstelle wenden – entweder auf direktem Wege oder via Vermittlung durchs Rathaus, das Jugendamt oder das Jobcenter. Die Gründe für eine Gefährdung der Wohnsituation sind vielfältig. Mal gibt es eine Kündigung wegen Eigenbedarf, mal haben Mietschulden oder mietswidriges Verhalten zur Kündigung geführt. Oft entsteht auch durch die Trennung vom Partner eine Krise im Mietverhältnis. „Die Bandbreite unserer Klienten ist groß und reicht von der Einzelperson, die ihren Job verloren hat, in die Alkoholabhängigkeit gerutscht und verschuldet ist, über den überforderten Rentner auf Wohnungssuche bis hin zur gutbürgerlichen Familie, der wegen Eigenbedarf gekündigt wurde“, so die Mitarbeiterin.

Wenden sich die Menschen an die Wohnungssicherung, sind sie oft verzweifelt und unter Druck. „Wir nehmen den Menschen erstmal ganz viel Angst, klären sie auf und unterstützen sie. Viele sind sehr überrascht, was sie alles noch für Möglichkeiten haben“, so Grözinger. In einem weiteren Schritt analysieren Grözinger und ihre Kollegen dann die Situation: „Wir schauen uns an, worum es geht, sichten die Unterlage und vermitteln gegebenenfalls an den Deutschen Mieterbund und Anwälte.“
Zudem informieren sie die Klienten über den Ablauf eines Kündigungsverfahrens und ihre Rechte. Geht es um Mietschulden, suchen sie den Kontakt zum Vermieter, versuchen zu vermitteln und Ratenzahlungen zu vereinbaren; außerdem unterstützen sie die Klienten bei der Wohnungssuche und coachen, wie man sich bewerben kann, man seine Schufa-Auskunft beantragt oder eine Anzeige schaltet. „Die drohende Kündigung ist oft nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Grözinger, und die Geschichten dahinter seien manchmal hart. Oft gehe es um Krankheit, um Gewalt in Beziehungen oder Sucht – „das muss man aushalten und auffangen und dann oft auch an andere Stellen vermitteln“. Die Wahrung der Wohnung sei elementar. „Die Wohnung ist das Allerwichtigste“, so Grözinger. „Wenn man kein Dach mehr über dem Kopf hat, zählt alles andere nur noch wenig.“

Wohnungssicherung-Stelle - Kommunen beteiligt
Die Situation am Wohnungsmarkt ist hoch angespannt: „Es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum und deutlich mehr Menschen, die ein Anrecht auf Sozialwohnungen haben, als es solche Wohnungen gibt am Markt“, so die Mitarbeiterin. Gleichwohl ist die Arbeit der Wohnsicherungs-Stelle ein großer Erfolg: Nur vereinzelt gibt es Fälle, in denen Klienten in Notunterkünften landen, in fast 90 Prozent der Fälle gelingt es, die Kündigung abzuwenden oder eine neue Unterkunft zu finden. Waren 2016 nur vier Kommunen am Projekt beteiligt, nehmen mittlerweile 31 von 39 Kommunen im Landkreis teil.
Prävention ist alles – das erlebt auch Bernd Mülbrecht, der in Münster das Modellprojekt „Brückenschlag“ betreut. Gefördert vom Sozialministerium in Nordrhein-Westfalen über das Aktionsprogramm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ wird das Projekt von 2020 bis 2023 von der BischofHermann-Stiftung durchgeführt, die kommunal eng eingebettet ist. Das Besondere ist der Fokus: So richtet sich „Brückenschlag“ explizit an Familien, denen Wohnungslosigkeit droht oder die bereits ohne Wohnung sind. „Das Klischee vom einsam herumziehenden Obdachlosen ist fest in den Köpfen verankert, aber es gibt viel Bedarf für Familien in besonderen Notlagen“, weiß Bernd Mülbrecht.
Bürokratischer Aufwand als Hürde
Voraussetzung für eine Teilnahme am Projekt ist, dass die Familien Anspruch auf SGB-II-Sozialleistungen haben. Bei dem Projekt geht es darum, die gesamte Lebenssituation der Familien anzuschauen und die Bereiche parallel anzugehen. Die Arbeits- und Wohnsituation stehen dabei ebenso im Fokus wie die Erziehung, die Bildungssicherheit der Kinder, die Verschuldungssituation, Haushaltsführung oder die Gesundheit der Familienmitglieder. „Die Situation von Familien ist eine vollkommen andere als jene von Einzelpersonen. Die Existenzsicherung ist wesentlich komplexer“, so Mülbrecht. Dabei müsse man besonders die Kinder im Blick haben, etwa für eine Kita- oder Schulanmeldung sorgen.
Allein der bürokratische Aufwand überfordere die Erziehungsberechtigten oft. Das „Brückenschlag“-Team - zwei Sozialarbeiter und Sprachmittlerinnen - versucht, mit den Familien und in Kooperation mit den kommunalen Ämtern, die Gesamtsituation zu verbessern. So geben die Mitarbeiter Hilfestellung bei Verträgen für Internet und Elektrizität, helfen bei technischen Schwierigkeiten, unterstützen die Quartiersanbindung, etwa zu den sozialen Anlaufstellen, dem Kindergarten oder zu Arzt-Praxen. Mitarbeiter verbringen anfangs teilweise 5 bis 6 Stunden pro Woche in einer Familie. “ Es zeigt sich: Der Kampf gegen die Wohnungslosigkeit ist extrem komplex und erfordert intensive Netzwerkarbeit.
Viele Menschen sind überrascht, welche Möglichkeiten sie noch haben.“ Julia Grözinger vom Präventionsprojekt „Wohnungssicherung“ in Ludwigsburg

