
Bußgeld-Neuberechnung
Sind die Regeln nach dem gekippten Bußgeldkatalog ungerecht?
In fast allen Bundesländern dürfen sich jene Bürger freuen, deren Buß- oder Verwarngeldbescheide noch nicht rechtskräftig waren. Denn nach der Rücknahme des neuen Bußgeldkatalogs wegen eines Formfehlers müssen sie weniger für ihren Verkehrsverstoß bezahlen als zunächst von ihnen befürchtet. Die Ordnungsämter und Zentralen Bußgeldstellen haben dabei einen enormen zusätzlichen Verwaltungsaufwand zu stemmen. Inzwischen vermelden Kommunen und Länder erste Zahlen, wie sich die Panne im Gesetzgebungsverfahren des Bundes bislang konkret auswirkt.
Bußgeldkatalog: Wer Widerspruch einlegte, hat Glück
Viele Bürger, die höhere Buß- und Verwarngelder zahlen sollen, sehen nicht ein, weshalb diejenigen, die Widerspruch eingelegt haben, nicht bezahlen müssen - und diejenigen, die den Bescheid akzeptiert hatten, ihr Geld nun nicht zurückbekommen. Dies ist in fast allen Bundesländern der Fall.
Landesminister einigten sich weitgehend
Die Landesminister der Bundesländer hatten sich am 9. Juli nach einer Panne im Gesetzgebungsverfahren durch den Bund weitgehend darauf geeinigt, vorerst zum alten Bußgeldkatalog zurückzukehren. Hat die Behörde noch keinen Bußgeldbescheid versandt, erlässt sie den Bescheid nach der alten Rechtslage. Allerdings gilt dies nicht für bereits rechtskräftig erlassene Bescheide.
Die Strafen für Tempoverstöße sollten in dem neuen Bußgeldkatalog drastisch verschärft werden. Ein Beispiel: Wer auf dem Gehweg parkt oder auf linksseitig angelegten Radwegen und Seitenstreifen sollte statt bisher 25 Euro nun bis zu 100 Euro Strafe bezahlen.
Bremen wollte ein bundesweit einheitliches Vorgehen abwarten, ist inzwischen aber auch zum ursprünglichen Bußgeldkatalog mit geringeren Strafen zurückgekehrt. "Der alte Bußgeldkatalog gilt bei uns seit 13. Juli wieder", sagte eine Sprecherin des Innensenators auf Anfrage von KOMMUNAL.
Eine Ausnahmen im Umgang mit Bußgeldbescheiden
Eine Ausnahme im Umgang mit den Bescheiden gibt es: Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen hat per Gnadenerlass sämtliche Bußgeldbescheide aufgehoben, soweit die dort verhängten Sanktionen über dem Niveau des alten Bußgeldkataloges lagen. Seit dem 2. Juli ist nun in Brandenburg wieder der alte Bußgeldkatalog in Kraft. Das Besondere: Er wird auch rückwirkend angewandt. "Es werden alle zu viel bezahlte Bußgelder zurückerstattet und noch nicht bezahlte Bußgelder neu berechnet", erläutert Stübgen. Fahrverbote, die nach altem Bußgeldkatalog nicht verhängt worden wären, werden nicht vollstreckt."
Der brandenburgische Innenminister findet deutliche Worte zu den Fehlern bei der Erarbeitung des neuen Bußgeldkatalogs: "Brandenburg trägt keine Verantwortung für das Bußgeldchaos, aber die Landesregierung trägt Verantwortung dafür, dass mit den Bürgern anständig umgegangen wird". Viele Bußgeldbescheide seien rechtskräftig geworden, weil kein Widerspruch eingelegt wurde. Wer im Vertrauen in den Rechtsstaat gehandelt habe, dürfe jetzt nicht der Dumme sein", so Stübgen.
30.000 Bußgeldbescheide zurückzunehmen
Seit der Anwendung des geänderten Bußgeldkataloges am 28. April bis zu dessen Außerkraftsetzung am 2. Juli wurden bei der Zentralen Bußgeldstelle des Landes Brandenburg rund 200.000 Verstöße registriert. Davon sind in knapp 30.000 Fällen Bußgeldbescheide versandt worden, ehe die Anwendung des geänderten Katalogs gestoppt wurde. Hinzu kommen Verkehrsverstöße, die direkt bei den kommunalen Bußgeldstellen der Landkreise registriert wurden. Über deren Anzahl liegen dem Innenministerium aktuell keine abschließenden Informationen vor.
Und wie sieht es bei den Kommunen aus? Hier einige Beispiele:
Falkensee überprüft 1100 Bußgeldfälle
Die Stadt Falkensee zum Beispiel in Brandenburg prüft derzeitig rund 1110 Bußgeldfälle, die laut einer Sprecherin von der Aussetzung der Straßenverkehrsordnungs-Novelle 2020 betroffen sind.
Weimar bearbeitet über 250 Bußgeldbescheide neu
In der Stadt Weimar (Thüringen) werden derzeit 254 Bußgeldbescheide bearbeitet, die nach der neuen Bußgeldkatalog-Verordnung erlassen worden waren und noch nicht rechtskräftig sind, teilte ein Sprecher KOMMUNAL mit.
Neubrandenburg prüft 2800 Bußgeldbescheide
In der 65.000-Einwohnerstadt Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) mit großem Einzugsgebiet überprüft die Stadt derzeit hingegen rund 2800 Bescheide, erklärte die Sprecherin der Stadtverwaltung. "Das ist ein erheblicher Mehraufwand", sagte Anett Seidel auf Anfrage von KOMMUNAL. Sie reichen von Geschwindigkeitsüberschreitungen, Falschparken bis hin zum Parken oder Fahrradfahren auf dem Gehweg. der Fachbereich Verkehrsordnungswidrigkeiten. Die Kommune hat da keinen Entscheidungsspielraum.
Bezahlte Verwarngelder werden nicht erstattet
Der Grund: In Mecklenburg-Vorpommern müssen die Bürger das neue, außer Kraft gesetzte Bußgeld zahlen, sofern der Bescheid bereits rechtskräftig geworden ist. Eine Sprecherin des dortigen Verkehrsministeriums verwies auf Anfrage von KOMMUNAL auf "die einvernehmliche Einigung der Bundesländer mit dem Bundesverkehrsministerium", wobei diese jedoch nicht komplett einvernehmlich war.
Die Sprecherin betonte, dass nicht abgeschlossene Bußgeldverfahren nach dem alten, wieder in Kraft gesetzten Bußgeldkatalog zu Ende zu führen sind. Den Ordnungsbehörden der Landkreise, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städten in Mecklenburg-Vorpommern wurde mit Erlass vom 15. Juli 2020 eine einheitliche Verfahrensweise für die vielfältigen Fallgestaltungen vorgegeben. Bereits gezahlte Verwarngelder seien grundsätzlich nicht zu erstatten.
Eine Ausnahme bei rechtskräftigen Bußgeldbescheiden bildet das Fahrverbot als besonders schwerwiegender Eingriff, so die Sprecherin. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wird dann der Führerschein zurückgegeben, wenn er nach den neuen Kriterien entzogen worden war. Das bedeutet einen riesigen Aufwand für die Ordnungsbehörden, wie KOMMUNAL bereits berichtete.
Regierungspräsidien entscheiden über Gnadenerlass in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums auf Anfrage von KOMMUNAL, dass bei Bescheiden, die bereits bestandskräftig geworden sind, der Behörde keine rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, sie zurückzunehmen oder abzuändern. Eine Aufhebung des Fahrverbots könne nur im Wege einer Gnadenentscheidung erfolgen. In Baden-Württemberg seien für solche Entscheidungen in Bußgeldsachen die Regierungspräsidien zuständig.
Der Allgemeine Deutsche Automobilclub ADAC fordert, dass in allen Bundesländern erhöhte Bußgeldbescheide aufgehoben werden, wenn sie über dem Niveau des alten Bußgeldkatalogs liegen. "Es ist sehr zu begrüßen, dass zu viel bezahlte Bußgelder in Brandenburg erstattet werden", sagte ein Sprecher des ADAC auf Anfrage von KOMMUNAL. "Denn in der Tat muss sich der Bürger darauf verlassen, dass die Forderungen des Staates in der Sache und in der Höhe berechtigt sind." Er fügte hinzu: "Wenn ein Fehler im Gesetzgebungsverfahren unterlaufen ist, muss dieser korrigiert werden."
Für den ADAC steht fest: "Es wäre wichtig, dass in dieser Frage einheitlich gehandelt wird. Schließlich handelt es sich um den bundesweit geltenden Bußgeldkatalog, der durch den Fehler im Gesetzgebungsverfahren betroffen ist." Der Sprecher kritisierte: "Wenn der Umgang mit dem alle Länder betreffenden Fehler uneinheitlich erfolgt, führt dies zu einer unnötigen Belastung der Betroffenen und letzlich auch der Gerichte."