Nationalpreisträger im Interview
Hass - Wie ein Bürgermeister dagegen ankämpft
KOMMUNAL: Herr Pötzsch, weshalb haben Sie kurz gezögert, den Preis anzunehmen?
Torsten Pötzsch: Ich war der Meinung, mir nicht mehr Verdienste erworben zu haben als viele andere Mandatsträger in diesem Land. Deshalb ist es mir auch so wichtig, zu betonen: Ich nehme den Preis stellvertretend für die vielen Bürgermeister in Gemeinden und Städten entgegen, die sich immer wieder Angriffen auf die eigene Person, die Familie, auf Freunde und Bekannte ausgesetzt sehen. Wer sich als Politiker lokal engagiert, bekommt oft die Wut und den Frust ab.
KOMMUNAL: Welchen Angriffen sind Sie ausgesetzt?
Das schlimmste Erlebnis war ein Anschlag, der 2019 auf mich verübt wurde. Unbekannte hatten die Radmuttern an den Rädern meines Privatautos gelockert, eine Mutter und Radmutterbolzen fehlten ganz. Die Tat konnte bislang nicht aufgeklärt werden, die Ermittlungen laufen immer noch. Nach 70 Kilometern Fahrt habe ich gemerkt, dass etwas mit dem Wagen nicht stimmt und bin langsam nach Hause zurückgefahren. In der Werkstatt wurde dann festgestellt, dass sich jemand an den Reifen zu schaffen gemacht haben muss. Da macht man sich schon Sorgen, zumal ich mittlerweile viel mit der Familie unterwegs bin. Nicht auszudenken, wenn meinen beiden Kindern und meiner Partnerin etwas passiert oder andere unschuldige Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen.
KOMMUNAL: Was erleben Sie im Alltag?
Anonyme Drohungen, aber auch öffentliche Anfeindungen sind fast an der Tagesordnung. Sie kommen über die sozialen Netzwerke, es werden aber auch Briefe ins Büro und zu mir nach Hause geschickt. Oft sind es unzufriedene Einzelpersonen, oft stecken hinter den Anfeindungen verschiedene Gruppen vor allem unter anderem aus dem rechtsextremen Spektrum und auch anderer politischen Gruppen, die versuchen wollen, die Stadtgesellschaft weiter zu spalten. Ich erfahre aber auch viel Zuspruch von Bürgern und werde immer wieder gebeten: Machen Sie weiter, lassen Sie sich nicht unterkriegen.
KOMMUNAL: Hat Corona die Situation verschärft?
Nein, das kann ich nicht bestätigen. Es gab bislang nur einmal Ärger mit einem Ladenbesitzer, der der Reichsbürgerszene zuzuordnen ist. Er hat die Vorschriften nach dem Infektionsschutzgesetzes bewusst nicht eingehalten und unser Ordnungsamt hat mit der Polizei den Laden deshalb vorrübergehend geschlossen. wir schickten ihm schließlich die Polizei vorbei. Daraufhin warf er mir vor, mit Waffengewalt gegen ihn vorgegangen zu sein.
KOMMUNAL: Die Deutsche Nationalstiftung verleiht Ihnen den Preis vor allem, weil sie sich nicht beirren lassen. Was konkret setzen Sie Anfeindungen entgegen?
Ich suche das Gespräch. Immer wieder. Bis Corona dazwischen kam, habe ich mehrfach freitags auf dem Wochenmarkt in der Oberbürgermeister-Gerüchteküche versucht, Falschmeldungen aus dem Weg zu räumen. Auf dem Marktplatz standen die Leute Schlange, um mit mir zu reden. Drei bis vier Stunden bin ich dort. Viele kommen mit wilden Gerüchten, etwa, dass ich zu meinem Bürgermeistergehalt noch andere Einkünfte haben. Oder dass Firmen bei der Auftragsgrundstücksvergabe bevorzugt werden. Andere berichten mir von ihren Sorgen, denn der erste Strukturwandel aus den 1990ziger Jahren macht Weißwasser immer noch zu schaffen. Weißwasser ist seit dem Mauerfall immer nur geschrumpft, von etwa 38.000 Einwohnern auf 16.000. Erst fielen die Arbeitsplätze in den Glashütten weg, jetzt droht das Ende des Kohleabbaus und der Kohleverstromung.
KOMMUNAL: Wie versuchen Sie die Menschen noch zu erreichen?
Gerade jetzt in der Krise habe ich zweimal die Woche lokale Informationen für die Bürgerinnen und Bürger aus erster Hand auf unserem lokalen Fernseh- und Radiosender. Wir planen zum Beispiel ein monatliches Magazin auf Youtube, einen Auftakt gab es vor wenigen Wochen. Und ein weiteres Format: Kinder fragen den Bürgermeister. Da werden all die Fragen gestellt, die speziell für die Jüngsten in den Familien in der Bevölkerung eine Rolle spielen und ich werde klare und verständliche Antworten geben. Selbstverständlich bin ich regelmäßig mit den unterschiedlichen Initiativen der Stadt im Kontakt. Und mache unter anderem bei Aufräumaktionen in der Stadt mit. Wir beseitigen gemeinsam den Dreck und kommen dabei miteinander ins Gespräch. Und ich bin auch an den Wochenenden über Handy erreichbar.
KOMMUNAL: Was raten Sie anderen Bürgermeistern?
Konzentrieren Sie sich nicht zu sehr auf das Negative! Es ist oft so: Für alles, was nicht passt, ist der Bürgermeister verantwortlich. Er dient vielen als perfektes Feindbild. Er muss für alles herhalten, was Leuten in der Politik generell nicht passt. Es ist zwar wichtig, auch mit den Kritikern im Gespräch zu bleiben. Manchmal kommt man gegen festgefahrene Meinungen aber nicht an. Dann ist es zuweilen ratsamer, jene in den Fokus zu nehmen, die mitmachen, die gestalten wollen, die aufgeschlossen sind, gemeinsam Neues zu schaffen und Probleme zu lösen. Das war für mich ein Lernprozess: meine Energie richtig einzusetzen.
KOMMUNAL: Was werden Sie mit dem Preisgeld von 30.000 Euro machen?
Angesichts der gegenwärtigen Aufgaben habe ich mir noch keine Gedanken zur Verwendung gemacht. Es wird für gute Zwecke eingesetzt werden. Weißwasser ist eine Stadt, die nicht viel Geld zu verteilen hat. Und da freuen wir uns über jeden Euro.