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Junge Bürgermeister

"Zu viele Beteiligungsmöglichkeiten in Kommunen"

Während es auf Bundes- und Landesebene kaum mehr Beteiligungsverfahren gibt, werden den Kommunen immer mehr vorgeschrieben. "So bekommen wir die Themen nie in der Schnelligkeit umgesetzt, wie der Gesetzgeber es sich erhofft", sagt der Bürgermeister von Heidenheim, Michael Salomo. Er ist zugleich Vorsitzender des Netzwerkes Junge Bürgermeister und Bürgermeisterinnen.

KOMMUNAL Herr Salomo, was machen junge Bürgermeister anders?

Michael Salomo: Junge Bürgermeister und Bürgermeisterinnen priorisieren anders. Wenn ich drei bis vier Jahre vor der Pensionierung stehe, sehe ich den demografischen Wandel und die Herausforderungen anders als derjenige, der noch Jahrzehnte im Rathaus sitzt, wenn kein Personal mehr da ist, weil so viele in den Ruhestand gegangen sind. Und wer mit der Digitalisierung groß geworden ist, bringt zu diesem modernen Thema eine andere Affinität mit.

Wo steht Deutschland bei der Digitalisierung?

Wir müssen vor allem schauen, dass Glasfaser in den Boden kommt. Dafür müssten die Telekommunikationsanbieter in die Pflicht genommen werden. Sie haben den Profit und der Staat muss vorher investieren. Und dann müssen wir noch schneller die Verwaltungsdienstleistungen digital anbieten. Wenn sich morgens Menschen aus der Ukraine im Rathaus beim Einwohnermeldeamt anmelden wollen, dann stellen sich diese Menschen viele Fragen. Denn in der Ukraine ist dieser Vorgang längst digital möglich.

Was können junge Bürgermeister denn umgekehrt von Älteren lernen?

Auf alle Fälle eine gewisse Gelassenheit. Wenn man mehrere Jahre im Amt ist, dann weiß man die Dinge anders zu nehmen.

Warum haben viele Bürgermeister keine Lust mehr oder Männer und Frauen kandidieren erst gar nicht?

Das Berufsbild hat sich massiv verändert. Das Anspruchsdenken gegenüber der Verwaltung hat sich deutlich erhöht und es kommen auf die Kommunen durch immer mehr gesetzliche Grundlagen immer mehr Aufgaben zu. Dazu haben auch die zusätzlichen Herausforderungen durch Corona und die Flüchtlingspolitik sich massiv verändert. Das Anspruchsdenken gegenüber der Verwaltung hat sich deutlich erhöht und es kommen auf die Kommunen durch immer mehr ge

Wie kommen mehr Frauen in die Kommunalpolitik?

Indem die Frauen entdecken, wie vielfältig die Kommunalpolitik ist. Es ist eine Politik zum Anfassen. Wenn wir im Rathaus entscheiden, dann nützt das den Bürgerinnen und Bürgern. Wir fällen nicht die abstrakte Entscheidung, dass wir bis 2030 so und so viele Windräder bauen wollen, sondern reden über das konkrete Windrad. Doch die Arbeitszeiten sind nicht familienfreundlich und viele Kolleginnen und Kollegen werden massiv angefeindet und erfahren sogar körperliche Gewalt. Wenn das Sicherheitsempfinden für das Amt nicht mehr da ist, kandidieren noch weniger Frauen.

Michael Salomo, Bundeschef Netzwerk Junge Bürgermeister
Bürgermeister Michael Salomo

Vor knapp einem Jahr schrieben Sie mit 26 anderen jungen Bürgermeistern einen Brandbrief wegen Angriffen von Corona-Gegnern. Brauchen Sie mehr Unterstützung?

Es hat sich schon viel getan. Wir sind regelmäßig beim Bundespräsidialamt eingeladen und der Bundespräsident engagiert sich stark. Als ich 2014 Bürgermeister damals in der Gemeinde Haßmersheim war, wurde ich bedroht und habe das angezeigt. Der Tenor damals: Als Person des öffentlichen Lebens muss man das aushalten. Heute sind die Ermittlungsbehörden deutlich sensibler geworden. Als ich zu Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine eine weiße Rose mit russischem Z bekommen habe, hat die Polizei mit ganzer Präsenz ermittelt. In der Bundespolitik ist das Verständnis gewachsen, dass die Rathäuser die Speerspitze der Demokratie sind und man die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und Mitarbeitende nicht im Regen stehen lassen kann. Welche Angriffe kommen derzeit? Kolleginnen und Kollegen im Netzwerk berichten ständig über Beleidigungen und sogar Morddrohungen. Einer Kollegin hat man einen Galgen in den Garten betoniert, in einer anderen Stadt wurde dem Bürgermeister das Auto angezündet.

Was ist die größte Herausforderung eines Bürgermeisters?

Da möchte ich Manfred Rommel, den ehemaligen Oberbürgermeister von Stuttgart zitieren. Der hat mal gesagt, die Summe der Einzelinteressen ergibt nicht das Allgemeinwohl, sondern Chaos. Die größte Herausforderung ist es tatsächlich, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, dass wir als Bürgermeister*innen die beste Lösung für die Gesamtheit suchen müssen, für den einen oder anderen ist das dann aber nicht die beste Lösung. Die Bürgerproteste nehmen zu. Haben wir die richtigen Instrumente zur Bürgerbeteiligung? Wir haben zu viele Beteiligungsmöglichkeiten. Ich hatte die Befürchtung, dass die Bundesregierung die Flüssiggasterminals unter den gleichen Voraussetzungen baut, wie wir auf kommunaler Ebene die Bauleitplanungsverfahren durchführen müssen. Die würden dann in anderthalb Jahren noch nicht stehen. Während es auf Bundes- und Landesebene kaum mehr Beteiligungsverfahren gibt, werden den Kommunen immer mehr vorgeschrieben. So bekommen wir die Themen nie in der Schnelligkeit umgesetzt, wie der Gesetzgeber es sich erhofft.

Was kritisieren Sie am meisten an den Bedingungen für die Kommunen?

Am ärgerlichsten ist die Fördermittelpolitik des Bundes. Die Schwarmintelligenz in den Rathäusern wird mit strikten Regularien der Fördertöpfe außer Kraft gesetzt. Die Stadt hat einen Haushalt von 250 Millionen Euro und der Bund setzt ein Förderprogramm zur Digitalisierung der Schulen auf. Dann setzt er ein Förderprogramm zur Energiewende auf, dann ein Programm für Smart City. Auf jedes Programm bekommen Sie eine ordentliche Anschubfinanzierung. Wenn es aber ausgelaufen ist, muss ich als Stadt das komplette Projekt aus dem bisherigen Haushalt von 250 Millionen Euro finanzieren – und dafür das Budget an anderer Stelle einschränken. Der Bund sollte das Geld an die Kommunen und Länder weiterreichen, die dann selbst entscheiden können.

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