Der Dorfteich in Neukirchen - ein Warnschild sagt, dass Eltern für Ihre Kinder haften - das Gericht hält das für nicht ausreichend!
Der Dorfteich in Neukirchen - ein Warnschild sagt, dass Eltern für Ihre Kinder haften - das Gericht hält das für nicht ausreichend!
© wikipedia

Urteil mit Signalwirkung

Bürgermeister wegen ertrunkener Kinder verurteilt

Traurige Wende im Prozess gegen den Bürgermeister von Neukirchen, Klemens Olbrich. Das zuständige Amtsgericht hat ihn gestern wegen fahrlässiger Tötung wegen Unterlassen in drei Fällen für schuldig gesprochen. Zuvor waren fast alle Prozessbeobachter von einem Freispruch ausgegangen.

Der Bürgermeister ist mitschuldig für das Unglück. Das ist in Kurzfassung das Urteil des Amtsgerichts. Er sei als Bürgermeister seinen Pflichten nicht nachgekommen. Das Urteil: 12.000 Euro Geldstrafe, wobei die Summe für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurde. Zudem muss Bürgermeister Klemens Olbrich 4000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. 

Den Prozess hatte KOMMUNAL in den vergangenen Wochen intensiv begleitet, allein schon die Anklage hatte für heftige Proteste unter Bürgermeistern und Kommunalpolitikern gesorgt. 

Rückblick: Es geht um drei in einem Dorfteich ertrunkene Kinder in Neukirchen in Nordhessen. Die fünf, acht und neun Jahre alten Kinder hatten ohne ihre Eltern an der Badestelle gespielt und ertranken. Der genaue Hergang wurde nie geklärt, die Kinder wurden erst am späten Abend nach 23 Uhr leblos in dem Wasser gefunden. Ihr elfjähriger Bruder hatte die erste Leiche Stunden später gefunden, daraufhin rückte ein Suchkommando der DLRG an und fand später auch die anderen beiden Kinder tot in dem Wasser. Später sagten Gerichtsgutachter aus, die beiden kleineren Kinder hätten vermutlich etwa vier Stunden in dem Wasser gelegen, bis sie gefunden wurden. Der neun Jahre alte Bruder sei vielleicht erst später ertrunken, habe möglicherweise etwa zwei Stunden leblos im Wasser gelegen. Auch seien die Kinder möglicherweise nicht an der Stelle ertrunken, an der sie gefunden wurden. 

Durch den Teich fließt ein Bach, es hatte vorher ausgiebig geregnet. Möglicherweise sei so in dem eigentlich harmlosen Bach eine Strömung entstanden. 

Rechtlich waren vor dem Urteil Missverständnisse entstanden. Immer wieder wurde gesagt, es handle sich um einen Löschwasserteich. Diese müssen tatsächlich von einem Zaun mit 1,25 Metern Höhe umgeben sein. Das Wasser wurde aber schon seit Jahren nicht mehr als Löschwasserteich unterhalten, sondern diente als Freizeitanlage mit Grillplatz. 

Pikant auch: Mehrere Anwohner hatten berichtet, dass die Dorfbewohner den Vater der Kinder zuvor immer wieder darauf hingewiesen hätten, er müsse besser auf seine Kinder aufpassen. Denn diese seien - so heißt es in einer Online-Petition, die sich für den Bürgermeister eingesetzt hat - "überall mit dem Fahrrad herumgefahren, auch mitten auf der Straße". Das ganze Dorf sei für die Kinder ein "Abenteuerspielplatz" gewesen. 

Wenn dieses Urteil Schule macht, steigt die Zahl der Gemeinden ohne Bürgermeister bald auf über 1000.

KOMMUNAL Chefredakteur Christian Erhardt im Kommentar (weiter unten)

Darum sieht das Gericht die Schuld des Bürgermeisters als erwiesen an 

Das Amtsgericht Schwalmstadt in Nordhessen sah es als erwiesen an, dass Olbrich seiner Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen sei. Der Teich war vor Jahren saniert worden, dabei war ein Teil des Ufers mit Pflastersteinen befestigt worden. Die Steine seien über die Jahre glitschig geworden und so sei eine gefährliche Stelle entstanden, erklärte die Richterin. Deshalb hätte der Bürgermeister die Stelle mit Rettungssteinen oder Gittern sichern müssen, urteilte das Gericht. 

Auch die Oberstaatsanwältin hatte zuvor in ihrem Plädoyer noch einmal auf schuldig plädiert, hatte eine Geldstrafe von 9000 Euro gefordert. Ihre wörtliche Begründung sollte allen Bürgermeistern und Kommunalpolitikern im Ohr sein, hat sie doch wohlmöglich eine verheerende Signalwirkung: "Ein Bürgermeister trägt die Verantwortung für seine Bürger", sagte sie wörtlich. 

So geht Bürgermeister Olbrich mit dem Urteil um 

Olbrich hatte in seinem Schlussvortrag gestern vor Gericht noch einmal von einer Tragödie gesprochen, die ihm außerordentlich leid tue. Die Zeit seit dem Ertrinken sei für ihn eine Tortour gewesen, die ihn vermutlich sein ganzes Leben belasten werde. Eine Mitverantwortung lehnte er jedoch ab, die Nutzung des Gewässers obliege dem allgemeinen Lebensrisiko. Sein Anwalt kündigte direkt nach dem Urteil an, in Berufung zu gehen. Er war sich zuvor auch in Gespräch mit KOMMUNAL absolut sicher, dass dieser Prozess keine Chance hat. Das Gespräch mit Anwalt Karl Christian Schelzke mit seiner Begründung zum Freispruch können Sie bei uns HIER als Audiodatei noch einmal Nachhören.

Was bedeutet das Urteil für Bürgermeister in ganz Deutschland? 

Der Fall in Neukirchen hatte in ganz Deutschland für Aufsehen gesorgt, viele Kommunen hatten auf die Entscheidung gewartet. Denn das Urteil hat unweigerlich Auswirkungen auf andere Städte und Gemeinden, die ähnliche Teiche und Gewässer haben. Der Teich in Neukirchen wird - wie berichtet - seit vielen Jahren als Freizeitanlage mit Grillplätzen genutzt, ein Schild wies auf mögliche Gefahren hin. Dort heißt es: "Betreten auf eigene Gefahr. Eltern haften für Ihre Kinder". Ganz offensichtlich sind solche Schilder also vor Gericht nichts wert. 

Der Kommentar zum Urteil und seinen Folgen von Christian Erhardt: 

 

Auch, dass die Gemeinde schon seit Jahren versucht, mit beitragsfreien Schwimmkursen für Kinder auf Prävention zu setzen, zählte vor Gericht nicht. Dabei ist gerade das eine Kernaufgabe einer Gemeinde. Immer wieder haben wir über die Situation in Deutschlands Schwimmbädern berichtet, Hunderte Kommunen können sich den Betrieb nicht mehr leisten, müssen unsanierte Schwimmbäder schließen. Genau das gefährdet dann aber Menschenleben, wenn Kinder keine Chance mehr haben, das Schwimmen zu erlernen. Hat das Urteil Bestand, erweist man also auch den vielen Bemühungen in den Kommunen, Schwimmunterricht aufrecht zu erhalten, einen Bärendienst. 

Besonders gravierend ist aber die Aussage der Staatsanwältin, ein Bürgermeister trage Verantwortung für seine Bürger. JA, das tut er! Und das machen die Bürgermeister in Deutschland jeden Tag nach bestem Wissen und Gewissen, wie es schon in der Vereidigungsformel heißt. Aber sind Bürgermeister wirklich für jedes Lebensrisiko verantwortlich? Müssen sie wirklich jeden Bach absperren? Welche Einbussen im Freizeitwert der Menschen hätten solche Entscheidungen? Eine eingezäunte Grillstelle mit einem 1,25 Meter hohen Zaun? Das kann, das darf nicht die Folge von Neukirchen sein! 

Oder wie es ein Bürgermeister aus Hessen auf meinem Twitter-Post hin sarkastisch, aber völlig richtig formulierte: 



 

Eintrag auf dem persönlichen Twitter-Kanal von Christian Erhardt www.twittter/KOMMUNALaktuell
Eintrag auf dem persönlichen Twitter-Kanal von Christian Erhardt www.twittter/KOMMUNALaktuell

Dramatisch aber ist die Signalwirkung dieses Urteils. Schon jetzt sind in Deutschland Hunderte Bürgermeisterstellen unbesetzt. Es finden sich immer weniger Menschen die bereit sind, die große Verantwortung auf sich zu nehmen. Hass und Gewalt gegen Kommunalpolitiker tun seit Jahren ihr Übriges. Und jetzt müssen 11.000 Bürgermeister in Deutschland auch noch fürchten, für alles und Jedes, was in ihrer Gemeinde passiert, persönlich verantwortlich gemacht zu werden? 

Meine traurige Prognose: Wenn dieses Urteil Schule macht, steigt die Zahl der Gemeinden ohne Bürgermeister bald auf über 1000. Dieses Risiko kann niemand ernsthaft eingehen! Meine Hoffnung ruht daher auf dem gerade verurteilten Klemens Olbrich und seinem Anwalt: Fechten Sie das Urteil an, gehen Sie in Berufung! Tausende Bürgermeister in Deutschland stehen hinter Ihnen!