
marode Infrastruktur
Bürokratie-Wahnsinn: Radweg wird seit 51 Jahren geplant!
Er ist schon seit elf Jahren Bürgermeister der kleinen Gemeinde Stakendorf im Kreis Plön. Doch zum Ende des Jahres wird auch er sein Handtuch werfen. Die Rede ist von Ernst Hansen, inzwischen 63 Jahre alt. Vieles habe sich in den vergangenen Jahren geändert. "Vor allem die Bürokratie ist der Hammer", sagt der Bürgermeister. Einen Nachfolger hat er noch nicht, leicht dürfte das ohnehin nicht werden. Hansen rechnet vor, dass er allein im vergangenen Jahr mehr als 450 Stunden in sein Ehrenamt investiert hat.
Hansen ist damit nicht allein. Allein in den letzten Monaten sind in seinem Landkreis Plön und dem Landkreis Segeberg sechs Ehrenamtliche Bürgermeister zurückgetreten oder haben ihren Rücktritt angekündigt. Trauriger Rekord. Die Bürgermeister tragen Verantwortung, wollen Infrastruktur und das Leben in den Gemeinden entwickeln, doch die bürokratischen Hindernisse sorgen immer mehr für Frust. "Etwas in meiner Gemeinde zu bewegen wird immer schwieriger", sagt auch Hansen neulich in einem Gespräch mit dem NDR.
Radweg wird seit 51 Jahren geplant - aber nie gebaut! Wenn marode Infrastruktur auf Bürokratie-Wahnsinn trifft
Neuester Hammer: Bürgermeister Hansen stieß zu Beginn seiner Amtszeit auf eine Gemeindeprotokoll aus dem Jahr 1974. Da lag ein Beschluss über den Bau eines acht Kilometer langen Radwegs. Nur die Strecke gibt es bis heute nicht. Der Radweg sollte nach dem damaligen Beschluss das Dorf Stakendorf mit sein Nachbarorten Krummbeck und Höhndorf verbinden. Immerhin 800 Meter der acht Kilometer langen Strecke gibt es tatsächlich schon. Der Rest führt über eine viel zu enge Kreisstraße, an der die Autos in beiden Richtungen nur knapp aneinander vorbeikommen. Für Radfahrer, die ebenfalls die Kreisstraße nutzen müssen, lebensgefährlich.
Nach seiner Rücktritts-Ankündigung vor einigen Wochen öffnete Hansen nun für die Bild-Zeitung die Archive und erzählt von der Posse und den Gründen, warum der Radweg seit 51 Jahren in der Schublade der zuständigen Behörden liegt.
Zuständig ist der Kreis Plön. „Erst war kein Geld da, dann hatten immer andere Bauvorhaben Priorität, bis letztlich alles an das Amt Probstei weitergegeben wurde. Aber die fanden kein Planungsbüro und spielten das Projekt wieder an den Kreis Plön zurück“, erklärt Hansen.
"Versuch mal dein Glück" - wie Behörden seit 50 Jahren Ping-Pong spielen...
Das Bürokratie-Ping-Pong zieht sich nun seit Jahrzehnten. Im Jahr 2015, ein Jahr nach Amtsantritt, hatte Hansen erstmals nachgefragt, warum der Bau nicht voran geht? Sein Vorgänger im Amt, so erzählt es Hansen nun, habe ihm nur lachend geantwortet mit dem Satz: "Versuch du mal dein Glück". So forderte Hansen die umgehende Fertigstellung schriftlich ein.
Doch was nützt schon ein Blatt Papier, wenn der reale Bürokratie-Irrsinn stärker ist? Zwar gibt es inzwischen ein Planungsbüro, aber neben der Wasser- und Umweltbehörde müssen nun mehr als 20 Institutionen zustimmen. Und dann muss die Gemeinde auch noch mit allen Grundstücksbesitzern sprechen. Hansen verzweifelt gegenüber Bild: „Und dann kommen Wühlmäuse, Eidechsen und Schmetterlinge, die den Bau verhindern könnten. Und wenn man hier im Graben eine seltene Wasserpflanze findet, dann ist Feierabend“.
Und trotzdem: Er ist zufrieden, dass es überhaupt weitergeht. Kurz vor Ende seiner Amtszeit. Immerhin stellt ihm der Landkreis nun nach 51 Jahren in Aussicht, dass Baubeginn möglicherweise schon im nächsten Jahr sein könnte...wenn denn alle Seiten zustimmen...Ob Ernst Hansen oder sein Nachfolger noch erleben dürfen, wie erste Fahrradfahrer den Weg nutzen, steht also noch in den Sternen.
Unnötige Vorgaben, teure Auflagen - Beispiele für den Bürokratie-Irrsinn
Weitere Beispiele für den Bürokratie-Irrsinn liefert in diesen Tagen ein Papier des Zentralen Immobilien-Ausschusses (ZIA). Das ist der Spitzenverband der deutschen Immobilienwirtschaft. Darin sind 34 Verbände der Branche organisiert, er hat rund 37.000 Mitglieder. Wir haben einige Beispiele daraus aufgelistet.
Stichwort Zwischendecken bei Immobilien: Üblich waren bis vor einigen Jahren 14-16 Zentimer - Die DIN 1045 und DIN 488, die Anforderungen an Stahl und Beton beschreiben, fordern nun 18-24 Zentimeter. Die Folge sind höhere Materialkosten, eine aufwändigere Planung und längere Bauzeiten.
Stichwort Steckdosen: DIN 18015-2 regelt die Mindestanzahl an Lichtschaltern und Steckdosen. Die Norm war mehrfach Gegenstand von Gerichtsurteilen. Und obwohl sie eigentlich mal unverbindlich war, gilt sie durch die Urteile heute als Mindeststandard - laut Papier des ZIA ein „schwer nachvollziehbares Regelwerk, das grundsätzlich in Detailtiefe und Sinnhaftigkeit hinterfragt werden muss“.
Stichwort Energie-Vorschriften: Neubauten müssen mindestens „EH55-Standard“ erfüllen - das soll zu 45 Prozent Energieeinsparung führen. Real bauen schon jetzt aufgrund drohender neuer Verordnungen viele Bauherren nach dem noch strengeren Standard EH 40 - das soll 60 Prozent Einsparung bringen. Politisch gibt es schon länger Forderungen, diesen als Mindeststandard verbindlich festzuschreiben.
Parkplatz-Zwang: Viele Kommunen geben Mindestzahlen pro Wohnung vor. Das Problem: Oft ist das nur mit Tiefgaragen zu realisieren. Die allerdings gelten als extrem teuer. Auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie beklagt immer wieder, durch diese Tiefgaragen-Pflicht seien bereits zahlreiche Bauprojekte geplatzt.
Wer das interne Papier weiter liest, stößt noch auf absurde Vorgaben mit Material-Vorgaben für Regenrinnen, auf häufig vorgeschriebene Farben für Dachziegel oder auf die spannende DIN Norm 4109 zu Schallschutzvorgaben, die immer strenger werden.
Der Bauherren-Schutzbund sieht dabei vor allem die Länder und deren überregulierten Landesbauordnungen sowie die Bebauungspläne als Problem. Lobend erwähnt das Papier derweil das Hamburger Modell für billigeres Bauen. Dort haben Politik, Bauwirtschaft und Architekten sich an einen Tisch gesetzt und geprüft, welche Normen und Regeln gestrichen werden können.
Das Ergebnis: Verzicht auf Trittschalldämmung auf vorgelagerten Balkonen, dünnere Decken und Wände, keine Heizungspflicht mehr in innen liegenden Fluren. Die Baukosten könnten auf diese Weise um etwa ein Drittel gesenkt werden!