Hier geht noch mehr Photovoltaik: die Dächer von Konstanz
Viele Dächer in Konstanz warten auf ihre Nutzung als Energielieferant
© Hajo Dietz / Stadt Konstanz

Klimaschutz

Denkmalschutz darf Klimaschutz nicht gefährden

Ein wesentlicher Faktor, die Klimaziele zu erreichen und die CO2-Emissionen zu senken, ist die energetische Sanierung. Bei Gebäuden mit sehr alter Bausubstanz hat der Denkmalschutz ein gewichtiges Wort mitzureden. In einem offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordern der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt und der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Jochen Cornelius-Bundschuh, eine Anpassung der Denkmalschutzauflagen an die Erfordernisse von Klimaschutzmaßnahmen. Der Denkmalschutz hemme den Klimaschutz sonst zu sehr, so ihre eindringliche Warnung.

Den Klimaschutz vorantreiben: Das ist mit der im November 2021 verabschiedeten Klimaschutzstrategie in Konstanz längst beschlossene Sache. Gemeinsam mit den Kirchen und der Universität will die Stadt Konstanz einen Kriterienkatalog erarbeiten, der dem Klimaschutz als auch den Denkmalschutzbelangen Rechnung trägt und folgt dabei dem vom Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) erarbeiteten und empfohlenen „Klima-Plus-Szenario“. Ziel ist bis zum Jahr 2035 eine schnelle Absenkung der Treibhausemissionen im Stadtgebiet, die nach der „Bilanzierungssystematik für Kommunen“ (BISKO) bemessen werden. Effizienzmaßnahmen und Erneuerbare Energien müssen umgesetzt werden, Klimaschutzmaßnamen in der Region angeschoben  und Nachhaltigkeitsprojekte verwirklicht werden. Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, müsse,  so konstatiert die Stadt in ihrem Klimaschutzstrategiepapier, "der Energiebedarf und der CO2-Ausstoß der Konstanzer Gebäude drastisch gesenkt werden". Außerdem sollen 2035 sämtliche Heizungsanlagen auf erneuerbare Energien umgestellt werden und das Photovoltaikpotential auf den Gebäuden vollständig erschlossen sein. Das könnte schwierig werden: Denn in Konstanz stehen 15 Prozent des Dachflächenpotenzials unter Denkmalschutz.   

Denkmalschutz: Das sind die Kriterien

Elena Oliveira, Sprecherin der Stadt, erläutert: "Die Denkmalschutzbehörde trifft Ermessensentscheidungen auf Basis des Denkmalschutzgesetzes. Die Bewertung erfolgt hauptsächlich nach den folgenden Kriterien: Erscheinungsbild bzw. Wahrnehmung der Anlage im öffentlichen Raum, Statik sowie Erhalt der historischen Bausubstanz". Zudem unterstütze die Denkmalschutzbehörde bei der Suche nach möglichst unauffälligen Standorten innerhalb des jeweiligen denkmalgeschützten Anwesens sowie bei der Realisierung gestalterisch integrierter Solaranlagen. Das gelte besonders für sensible Objekte. Ein entsprechender Umbau sei allerdings nur genehmigungsfähig, wenn das sanierte Gebäude die produzierte Solarenergie auch selbst nutzen kann. 

Klimaschutz: Viel Potential in Konstanz 

Sollen künftig auf trutzigen Burgen und aufs Feinste renoviertem Fachwerk plötzlich moderne Solaranlagen die Sonnenenergie einfangen?  Beispiele für sensible Objekte bietet die Stadt am Bodensee ebenfalls reichlich. Die gesamte Konstanzer Altstadt unterliegt den Bestimmungen des Denkmalschutzes. Der Anteil denkmalgeschützter Gebäude in kommunaler Hand oder im Teilbesitz der Kommune ist hoch: 40 Prozent der 195 Gebäude sind denkmalgeschützt.

Ob die kommunalen (und privaten) Eigentümer ihren Besitz energetisch aufrüsten können - da hat die Denkmalschutzbehörde also ein gewichtiges Wort mitzureden. Bei kirchlichen Liegenschaften liegt der Anteil der schützenswerten Altbauten sogar noch deutlich höher. Man habe ein ehrgeiziges Konzept für eine klimagerechte Kirche, betont Oberkirchenrat Jochen Rapp in der Stuttgarter Zeitung; und gerade die Solarenergie sei ein wesentlicher Baustein für das Gelingen. Von den 900 denkmalgeschützten Gebäuden sei die Hälfte für die Nutzung von Fotovoltaik geeignet – doch es sei sehr schwer, dafür Genehmigungen zu erhalten. 

Denkmal- und Klimaschutz zusammendenken

"Der Denkmalschutz hat den Auftrag, die historische Substanz und das überlieferte Erscheinungsbild von Kulturdenkmalen zu bewahren. Schützenswert ist außerdem das Erscheinungsbild von Gesamtanlagen", heißt es in einer Broschüre der Landesdenkmalpflege in Baden-Württemberg. Die Behörden seien qua Gesetz verpflichtet, die Kulturdenkmale als Geschichtszeugnisse vor vermeidbaren und übermäßigen Veränderungen zu schützen. Den denkmalgeschützten, historisch gewachsenen Baubestand wollen natürlich auch Landeskirche und Stadt Konstanz erhalten. Aber an der Formulierung "vermeidbare oder übermäßige Veränderungen" scheiden sich die Geister. Oberbürgermeister Uli Burchardt und Bischof Jochen Cornelius-Bundschuh plädieren jedenfalls für Anpassungen der Richtlinien, um den Klimaschutz nicht auszubremsen. "In Städten wie Konstanz, aber auch Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim oder Pforzheim ist die Stromerzeugung aus Windkraft nur sehr begrenzt möglich; die Potenziale für PV-Freiflächenanlagen sind ebenfalls überschaubar. Gerade hier bieten Dachflächen das größte Potenzial zur Nutzung erneuerbarer Energie". Diese können derzeit, so die Unterzeichner, aufgrund der Denkmalschutzauflagen für Photovoltaik-Anlagen aber nicht genutzt werden.  

Dachflächen: großes Potential für erneuerbare Energie



Kommune und Landeskirche bilden den Schulterschluss, weil sie davon überzeugt sind, dass Photovoltaik und alte Bausubstanzen sich durchaus miteinander verbinden lassen. Einige historische Häuser in der Altstadt wurden bereits energetisch saniert, ohne das historische Erscheinungsbild wesentlich zu verändern. Anders als etwa Wärmepumpen lassen sich Photovoltaik-Anlagen allerdings nicht hinter Fassaden und in Kellern verstecken. Einige wenige Beispiele für den gelungenen Einsatz von Photovoltaik bei energieeffizient sanierten Altgebäuden gibt es in Konstanz dennoch. Etwa in der Altstadt oder im Erschließungsturm im Kulturzentrum am Münster. Hier sind bereits seit 25 Jahren sichtbare Photovoltaikzellen in einer modernen Glasfassade integriert. Gestalterisch integrierte Solaranlagen auf Basis farblich und in der Textur angepasster Module böten, so die Argumentation der Kommune "das Potenzial, Klimaschutz und Denkmalpflege zu verbinden". 

Bislang hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf die Forderungen des Offenen Briefes, etwa einen verbindlichen Prozesspfad und zeitnahe gemeinsame Gespräche auf Fachebene zu initiieren, noch nicht reagiert.  Das brisante Thema dürfte nicht nur Konstanz bewegen, sondern auch alle anderen Kommunen.

Fotocredits: Beowulf