Bürgermeister von Werneck
Der Bürgermeister von Werneck, Sebastian Hauck - hier vor einem sanierten Haus in der Ortsmitte.
© Gudrun Mallwitz

Ortskern-Entwicklung

Den Donut-Effekt vermeiden

Die Deutschen träumen vom Einfamilienhaus. Der Druck auf viele Kommunen wächst, neue Baugebiete auszuweisen, doch was ist mit Flächensparen? Die Marktgemeinde Werneck und ihr Bürgermeister Sebastian Hauck versuchen den Spagat hinzubekommen

Ralf und Anna-Isabell Olerink haben sich ein grünes Refugium geschaffen – und das mitten im Dorf. Der Lavendel blüht, der Rosmarin duftet, selbst einen kleinen Olivenbaum gibt es auf der Terrasse. Zehn Jahre haben sie das Anwesen aus dem 17. Jahrhundert umgebaut, sieben baufällige Gebäude des alten Familienhofes abgerissen und sie durch neue ersetzt. Das beeindruckende Zuhause, das es sicherlich problemlos in jede Wohnzeitschrift schaffen würde, entstand behutsam und unter dem Anspruch, Altes und Neues zu verbinden: Die Pflastersteine im Innenhof und auch die Einfassungen der Hochbeete stammen aus den alten Häusern. Die Hofmauer ist aus Sandstein gefertigt, der bei den Arbeiten freigelegt wurde. Als Abstellplatz fürs Auto dient der frühere Stall, noch immer sind dort beim Einparken die Eisenbeschläge zu sehen, an denen einst die Kühe angebunden waren.

Ortskern lebendig erhalten - keine Donut-Dörfer schaffen

Ein solches bauliches Engagement mitten im Ort ist ein Glücksfall für eine Kommune. Das weiß auch Sebastian Hauck, der Bürgermeister der fränkischen Marktgemeinde Werneck mit seinen 13 Ortsteilen zu schätzen: „Es beeindruckt, wenn jemand mitten im Dorf ein solches altes Haus anpackt und da viel Eigenleistung reinsteckt“, sagt er. „Für die meisten ist es doch viel attraktiver und vor allem einfacher, auf der grünen Wiese ein Haus zu bauen und damit einen Bauträger zu beauftragen.“

Schon seit Jahren setzt sich Werneck zusammen mit neun Nachbarkommunen das Ziel, die Ortsmitte zu stärken und dabei  Flächen zu sparen. Das Credo: „Innen vor Außen“. Die „Interkommunale Allianz Oberes Werntal“ um Schweinfurt will dafür sorgen, dass sich die Dörfer zu „zukunftsfähigen Wohn, Lebens- und Arbeitsstandorten“ entwickeln. Die Basis dafür ist ein gefördertes Integriertes Ländliches Entwicklungskonzept. 

Oerlenbacher Erklärung gegen Flächenfraß: Baulücken nutzen

In der sogenannten Oerlenbacher Erklärung haben sich die Kommunen dazu verpflichtet, die innerörtlichen Brachflächen und leeren Gebäude zu nutzen und dem Flächenfraß entgegenzuwirken. Die Gemeinde Werneck recherchierte in den vergangenen Jahren, dass sie 260 Baulücken mit 22 Hektar Grundstücksfläche zur Verfügung hat. 29 Prozent gehörten damals Eigentümern, die bereit waren, zu verkaufen. Wer in der Ortsmitte baut und investiert, der bekommt inzwischen eine Förderung durch die Gemeinde. Zudem erarbeitet die Allianz für die 46 Dörfer ein interkommunales Denkmalkonzept. Bis Ende des Jahres sollen alle regionaltypischen Anwesen dokumentiert sein, um die Hauseigentümer finanziell und fachlich unterstützen zu können. Das Amt für Ländliche Entwicklung Unterfranken und das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege fördern das Pilotprojekt.

Ortskernentwicklung Gemeinde Werneck
Familie Olerink hat sich in einem Ortsteil von Werneck mitten im Dorf einen Traum geschaffen. Foto: Mallwitz



„Wir schauen uns die alten Gebäude in jedem Ortsteil an, es werden Fotos gemacht und rein intern für dieses Projekt Daten über die einzelnen Häuser erhoben“, berichtet der Bürgermeister.  Damit wurde ein Büro beauftragt. Der Landkreis Schweinfurt legte zudem ein Förderprogramm auf, mit dem interessierte Bauwillige eine Erstberatung erhalten, wenn sie investieren wollen.

„Inzwischen wurden in unserer Gegend bereits wahnsinnig tolle Grundstücke und Häuser innerorts hergerichtet, mit Hingabe und Leidenschaft“, freut sich Hauck. Es hat sich offenbar gelohnt, nur vereinzelt Neubaugebiete auszuweisen und statt dessen leerstehende Gebäude und die Baulücken in den Ortszentren ins Visier zu nehmen. Innerhalb von zehn Jahren konnten nach dem Start der Allianz 50 Hektar an neuem Bauland und 270 Leerstände in den Dörfern vermieden werden.

Durch Verdichtung Straßen und Leitungen gespart

Von 1.800 Baulücken im Innenbereich wurden 30 Prozent wieder bebaut. Dies zeigte eine damalige Studie im Auftrag der Ländlichen Entwicklung auf. Überflüssig wurde damit der Bau von über zehn Kilometern Straße und Kanalisation, auch neue Strom- und Wasserleitungen waren nicht benötigt worden.  „Wir müssen aufpassen, dass wir keine Donut-Dörfer schaffen, sondern Krapfen-Dörfer bekommen“, sagt Bürgermeister Hauck. „Sie müssen innen saftig sein und nicht ausgehöhlt.“

Wir müssen aufpassen, dass wir keine DonutDörfer schaffen, sondern KrapfenDörfer bekommen.“

Sebastian Hauck, Bürgermeister von Werneck

Doch ist es wirklich möglich, die süße Marmelade zu erhalten, wenn doch immer mehr Menschen vom Neubau mit Garten träumen? Wie sehr die Deutschen an ihrem Traum vom Eigenheim hängen, zeigen die empörten Reaktionen auf die von den Grünen angestoßene Debatte zum Flächensparen. Der Vize-Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen, Anton Hofreiter, hatte die Entscheidung eines Hamburger Bezirks begrüßt, keine Einfamilienhäuser mehr in den Baugebieten vorzusehen. Auch der Naturschutzbund Deutschland wirbt für eine effektivere Flächennutzung durch Verdichtung und für Mehrfamilien-, statt Einfamilienhäuser.

Gegen den Flächenfraß: Ziele noch nicht erreicht

Zwei Drittel der Gebäude in Deutschland sind Einfamilienhäuser, doch inzwischen werden laut Statistischem Bundesamt vor allem Häuser für mehrere Familien  gebaut.  Die Umweltbilanz ist dennoch mäßig: Zwischen 2000 und 2018 hat sich der Flächenverbrauch zwar ungefähr halbiert, doch derzeit werden pro Tag in Deutschland 52 Hektar für neue Siedlungs- und Verkehrsflächen beansprucht. Das ist beinahe doppelt so viel wie die Bundesregierung anstrebt. Bauwillige stehen vielerorts Schlange. Um die oft raren neuen Baugrundstücke gibt es ein Hauen und Stechen, vor allem in attraktiver Ortslage mit schönem Ausblick. Das ist inzwischen nicht mehr nur in stadtnahen Regionen, den sogenannten Speckgürteln, der Fall. Dort suchen Bauwillige Zuflucht vor den explodierenden Bodenpreisen in den großen Städten. Die Corona-Pandemie befördert den Rückzug ins Grüne noch – ob es eine wirkliche Trendumkehr durch veränderte Arbeitsweisen wie Homeoffice geben wird, ist noch nicht ganz klar.

Große Nachfrage nach Baugrund auch in Werneck

Inzwischen ist auch auf Werneck der Druck gewachsen. So werden  hier immer wieder mal kleinere Baugebiete ausgewiesen.  Auch, weil langjährige Grundstücksbesitzer mit unbebauten Grundstücken innerorts kaum mehr bereit sind, zu verkaufen. „In den Fällen, in denen kein Bauzwang verfügt ist, wollen die Eigentümer das Land meist nicht hergeben“, schildert Hauk das Problem. Für ihn verständlich. „Was wollen sie auch mit dem erzielten Geld, wenn sie dafür auf der Bank keine Zinsen bekommen oder gar Strafzinsen für ihr Guthaben zahlen müssen?“  Er stellt fest: „Wir haben momentan eine große Nachfrage nach Baugrund.

Familien träumen vom Einfamilienhaus

Der Druck auf die Gemeinde und den Gemeinderat steige enorm.  „Unsere jungen Familien wollen, wenn sie es sich leisten können, ihr Einfamilienhaus mit Garten. Sie wollen gerne in dem Ortsteil bleiben, in dem sie aufgewachsen sind“, sagt Hauck. Was ihm wichtig ist. „Wir klatschen nicht unüberlegt große Baugebiete, sondern weisen bedarfsgerecht in kleinem Maßstab aus.“ Es ist der Spagat, den die Kommunen derzeit hinbekommen müssen in ihrem Ziel, die Ortsmitte zu stärken, Flächen zu sparen und gleichzeitig die Menschen zu halten oder neue Einwohner zu gewinnen. „Wer keinen Bauplatz findet, sucht sich eben in einer anderen Gemeinde oder Region etwas und zieht dort seine Kinder auf“, sagt der Bürgermeister. „Diese und die nächste Generation aber fehlt uns dann fürs Dorfleben:  als Kassierer für die ortsansässigen Vereine, als Mitglied der Feuerwehr oder als Mitwirkende in der Blaskapelle.“

5 Tipps für eine gute Innenentwicklung  dank Flächenmanagement
  • Verkaufsbereitschaft der Eigentümer von Baulücken und leeren Gebäude systematisch klären.

  • Sich frühzeitig über Fördermöglichkeiten informieren und so direkte Anreize zur Aktivierung schaffen.

  • Verfügbare Flächen aktiv vermarkten – mit einer internetgestützten Grundstücksbörse.

  • Im Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss zum Flächenmanagement herbeiführen und Handlungsschritte definieren.

  • Nicht mehr genutzte Gewerbe- und Industriebetriebe sowie Militär- und Bahnanlagen in zentralen Lagen auf neue Nutzung prüfen.

 

Weitere Informationen zum Flächensparen und Näheres zum Projekt der Kommunen um Schweinfurt.