Wir müssen aufhören, den Kommunen alles vorschreiben zu wollen - sonst ist das Ehrenamt bald tot, meint Christian Erhardt
Wir müssen aufhören, den Kommunen alles vorschreiben zu wollen - sonst ist das Ehrenamt bald tot, meint Christian Erhardt

Leitartikel

Ehrenamt: Bürgermeister braucht das Land

Wenn wir nicht aufhören, den Kommunen alles vorschreiben zu wollen, ist das Ehrenamt bald tot! Schon jetzt finden immer mehr Dörfer keine ehrenamtlichen Bürgermeister mehr. Darum will Sachsen nun seine Gesetze ändern und mehr hauptamtliche Bürgermeister ermöglichen. Das ist absolut richtig, wird aber nur wenige Probleme lösen. „Das Grundproblem ist, dass Ziele von entfernten Experten definiert werden, die Folgen des Versagens aber auf die kleinen Orte abgewälzt werden“, meint Christian Erhardt.

Das Ehrenamt lebt! Noch! Deutschland hat fast 8000 ehrenamtliche Bürgermeister, das sind über 70 Prozent aller Bürgermeister in Deutschland. Doch viele derjenigen, die das Ehrenamt ausüben, sind schon im Rentenalter, finden keine Nachfolger mehr. Bei den letzten Kommunalwahlen konnten in Rheinland-Pfalz in 465 Orten keine Bürgermeisterwahlen stattfinden, weil es keinen Kandidaten gab. In Mecklenburg-Vorpommern waren es bei der letzten Bürgermeisterwahl 22 Orte ohne Kandidat, in Brandenburg sieben. Meist konnten die Posten dann doch noch besetzt werden, weil später aus der Mitte des Gemeinderates jemand die Verantwortung übernahm.

Sachsen will das Problem nun lösen, indem die Hürden, einen hauptamtlichen Bürgermeister zu wählen, deutlich gesenkt werden. Das ist etwa in Bayern schon der Fall. Dort gibt es Kommunen mit 1000 Einwohnern und einem hauptamtlichen Bürgermeister. Und auch die Bürgermeister im Ehrenamt können in solchen Dörfern immerhin laut Satzung über 3000 Euro im Monat an Aufwandsentschädigungen bekommen. Keine gute Bezahlung für die immensen Aufgaben, ohne Frage. Aber immer noch deutlich mehr als in vielen anderen Bundesländern. Trotzdem wurden auch in Bayern schon Zeitungsanzeigen geschaltet, um Kandidaten zu finden. Geld scheint also nicht der Hauptgrund zu sein, warum das 24/7 Amt für viele nicht mehr attraktiv ist.

Ehrenamt ist wichtig - aber Bürgermeister im Nebenjob ein Anachronismus...

Keine Frage: Wer an der Spitze einer Gemeinde steht, muss sich voll darauf konzentrieren können. Bürgermeister als Nebenjob – das ist ein Anachronismus. Allein die ausufernde Bürokratie mit ihrer Vielzahl an Vorschriften macht es nötig, dass ein Bürgermeister sich in Vollzeit mit seinen Aufgaben befasst. Auch die Erwartungen der Bürger an ihre Gemeinde sind enorm gestiegen. Insofern ist der Vorstoß aus Sachsen richtig. Nur wird Geld allein das Problem nicht lösen. Erst recht nicht, wenn anschließend kein Geld mehr da ist, um die Schlaglöcher im Ort zu stopfen. Ein Ehrenamt braucht Anerkennung! Dazu zählt, beim Dorffest mal was reinbuttern zu können, bei der Feuerwehr mal einen Scheck übergeben zu können, Wünsche der Bürger umsetzen zu können. Wie soll das machbar sein, wenn für freiwillige Aufgaben faktisch kein Geld vorhanden ist? 97 Prozent der Haushalte der Kommunen bestehen aus Pflichtaufgaben, für die neue Tischtennisplatte bleibt da nichts übrig. Doch Geld allein macht bekanntlich auch nicht glücklich.

Im Elfenbeinturm herrscht ein verklärtes Bild von der Landbevölkerung, da ist das Bild von Hühnern, Schweinen, „weiß nicht, was haste: Kühe melken“

Christian Erhardt über kleine Kommunen

Das Hauptproblem ist die fehlende Wertschätzung des Ehrenamts! 

Die Anerkennung für die Arbeit der Bürgermeister und für die Leistung unserer Dörfer insgesamt fehlt! Zu viel wird „von oben herab“ aus dem Elfenbeinturm in Berlin und den Landeshauptstädten verordnet. Dort werden große Ziele von angeblichen Experten formuliert, die Folgen des Versagens werden aber auf die Dörfer abgewälzt. Jüngstes Beispiel ist die Flutkatastrophe. Die politische Debatte danach lief doch so, dass die „große Politik“ erklärte, man wolle nun erst recht wegen des Klimawandels global ein Vorbild bei der CO2 Reduktion werden. Nur gleichzeitig waren diese „Redenschwinger“ unfähig, in einem kleinen Ort in Rheinland-Pfalz die Bevölkerung zu warnen. Die Politik schob alle Missstände aufs Klima, wie früher der Pfarrer die Flut auf die Sünden der Menschen. 

Die Menschen auf dem Land sehen dieses Versagen. Bei ihnen bleibt das Gefühl, dass man vom Staat nicht viel erwarten kann. Im Elfenbeinturm herrscht ein verklärtes Bild von der Landbevölkerung, da ist das Bild von Hühnern, Schweinen, „weiß nicht, was haste: Kühe melken“….Es gibt auf dem Dorf auch Smartphones, Elektroautos und modernste Computertechnik. Und es gibt Menschen die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Wenn man sie denn machen lässt!

Der Staat wird Probleme vor Ort nicht durch immer neue Gesetze und Zwänge lösen. Das subjektive Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht lässt sich nicht in Gesetzen ertränken.

Christian Erhardt fordert mehr Autonomie für Kommunen

Wir müssen aufhören, den Kommunen alles vorschreiben zu wollen! 

Dafür brauchen sie aber das Gefühl, dass Kommunen nicht die unterste Ebene des Staates sind, sondern die ERSTE Ebene. Nach dem zweiten Weltkrieg hat die Menschen und Dörfer in Deutschland die schwere wirtschaftliche Lage zusammengeschweißt, die Mangelwirtschaft in der DDR ließ Menschen zusammenfinden. Heute sind wir über den ganzen Erdball vernetzt, die soziale Integration vor Ort ist aber deutlich geringer geworden. Ein wichtiges Bindeglied für diesen sozialen Zusammenhalt im Ort ist der Bürgermeister. Dieser kann aber nur dann erfolgreich als Bindeglied fungieren, wenn der Staat endlich aufhört, Kommunen alles vorschreiben zu wollen. Der Staat wird Probleme vor Ort nicht durch immer neue Gesetze und Zwänge lösen. Das subjektive Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht lässt sich nicht in Gesetzen ertränken. Bürgermeister und Gemeinderäte können der Kitt in der Gesellschaft sein und darin unterstützen, dass Menschen die Dinge wieder selbst in die Hand nehmen. Wichtigster Rohstoff dabei: Die Tatkraft der Bürger – und davon gibt es gerade im ländlichen Raum ungeahnte Mengen. Ein guter Bürgermeister kann diese Tatkraft aktivieren. Dafür braucht er Anerkennung, Gestaltungsmacht und eine entsprechende Finanzierung! Aber keine Gouvernanten aus Berlin oder anderswo!