Akzeptanz für erneuerbare Energien
Bürgerentscheid zur Windkraft: Das führte zum Erfolg
Christoph Oeldorf war überrascht. Als der Bürgermeister von Schriesheim am Abend des 9. November 2025 das Ergebnis des Bürgerentscheids erfuhr, hatte er nicht damit gerechnet: Über 54 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten für den Bau von Windkraftanlagen im Wald. In der Nachbargemeinde Dossenheim fiel das Votum noch deutlicher aus – dort sprachen sich 60 Prozent für die Windräder aus. Und das bei einer für einen Bürgerentscheid hohen Wahlbeteiligung: 60 Prozent der Wahlberechtigten gingen in Schriesheim an die Urne, 58,6 Prozent in Dossenheim.
„Vor einem halben Jahr hätte ich noch gedacht, dass eine deutliche Mehrheit gegen Windkraftanlagen stimmen würde“, gibt Oeldorf zu. Auch sein Dossenheimer Bürgermeister-Kollege David Faulhaber hielt den Ausgang der Wahl für schwer abschätzbar: „In Dossenheim gab es starke Befürworter des Windkraftvorhabens aber auch meinungsstarke Vertreter der Gegenseite. Welche Argumente die Wählerinnen und Wähler letztendlich mehr überzeugen würden, konnten wir vorab nicht abschätzen.“
Wie schafften es zwei Kommunen mit zusammen rund 27.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, in einem hochkontroversen Thema nicht nur eine Mehrheit zu überzeugen, sondern auch eine gespaltene Bürgerschaft wieder zusammenzuführen? Die Antwort liegt in einem strukturierten Dialog, der alle Beteiligten ernst nimmt – auch und gerade die Gegner.
Windkraft im Wald: Ein polarisierendes Thema spaltet die Bürgerschaft
Windkraft im Wald – kaum ein Thema polarisiert in Kommunen so stark. In Schriesheim und Dossenheim formierte sich schnell Widerstand. Die Bürgerinitiative „Gegenwind Bergstraße“ sammelte genug Unterschriften, um einen Bürgerentscheid zu erwirken. Ihre Sorgen: Schäden für Tiere und Wald, Beeinträchtigung des Naherholungsgebiets und Schattenwurf. In sozialen Medien kursierten Falschinformationen über die Anzahl der geplanten Anlagen. Die Stimmung drohte zu kippen.
Hohe Erwartungen an den Bürgerentscheid
Für die beiden Bürgermeister stand viel auf dem Spiel. Nicht nur die geplanten vier Windräder, die beiden Kommunen zusammen Pachteinnahmen von mehreren hunderttausend Euro pro Jahr einbringen könnten. Sondern auch der soziale Frieden in ihren Kommunen. Die Herausforderung war klar: Wie führt man eine sachliche Debatte über ein Thema, das Menschen emotional berührt?
Strukturierter Dialog statt Konfrontation: Der Schlüssel zum Erfolg
Statt auf Konfrontation zu setzen, wählten die Kommunen einen anderen Weg. Im Mai 2024 gründeten sie eine interkommunale Dialoggruppe – zusammengesetzt aus Gemeinderatsmitgliedern und Verwaltungsangestellten beider Kommunen. Entscheidend: Der Prozess sollte ergebnisoffen sein. Niemand sollte das Gefühl haben, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Externe Moderation durch das Forum Energiedialog
Unterstützung suchten sich die Kommunen beim Forum Energiedialog Baden-Württemberg, einem kostenlosen Angebot des Landes für Kommunen, in denen Konflikte um erneuerbare Energien entstanden sind. Ein Angebot, das es auch in anderen Bundesländern gibt – etwa in Bayern mit den Windkümmerern. Die externen Moderatoren brachten nicht nur Fachexpertise mit, sondern vor allem eines: Neutralität.
Die Beratung durch Externe, die weniger involviert sind vor Ort, war für uns eine große Hilfe.

Transparenz als oberstes Gebot
Die Dialoggruppe tagte mehrfach, hörte Befürworter und Gegner an, diskutierte Standortfragen und Artenschutz. Alle Sitzungen wurden dokumentiert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Transparenz war das oberste Gebot.
„Wir haben sehr früh angefangen, in den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern zu treten, um alle Ansichten näher zu betrachten“, erklärt Christoph Oeldorf.
Umfassende Informationsstrategie für Bürgerbeteiligung
Beide Kommunen setzten eine breite Informationsstrategie um. Sie nutzten Amtsblätter, Homepages, Apps und soziale Medien. Bereits im Januar 2024 fand eine erste Bürgerinformationsveranstaltung statt.
Im Vorfeld des Bürgerentscheids im November folgte eine zweite, bei der verschiedene Akteure an Informationsständen Fragen beantworteten: vom Regierungspräsidium über das Forum Energiedialog bis hin zum Projektentwickler und beiden Bürgerinitiativen – der Pro-Windkraft-Initiative „Energiewende Bergstraße“ und der Gegen-Initiative „Gegenwind Bergstraße“.
Gegner aktiv einbinden statt ausgrenzen
Besonders wichtig: Die Gegner wurden nicht ausgegrenzt, sondern aktiv eingebunden. Gemeinsam mit den Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens erarbeiteten die Kommunen eine 16-seitige Informationsbroschüre, die an alle Haushalte verteilt wurde. Darin kamen Bürgermeister, Gemeinderatsmitglieder und die Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens zu Wort.
Wir haben Eskalationen vermieden, indem wir alle Beteiligten frühzeitig eingebunden und stets zur sachlichen Diskussion angemahnt haben.

Der Erfolg zeigte sich in der zweiten Bürgerinformationsveranstaltung wenige Wochen vor dem Bürgerentscheid: „Es fand ein sachlicher Diskurs statt, niemand hat sich auf ein Streitgespräch eingelassen.“
Sachliche Argumente überzeugen beim Bürgerentscheid
Bei der Bürgerinformationsveranstaltung zum Bürgerentscheid merkten beide Bürgermeister: Die sachlichen Informationen von Expertinnen und Experten überzeugten. Falschinformationen konnten ausgeräumt werden.
Und ein Akteur spielte eine überraschende Rolle: Der Jugendgemeinderat von Dossenheim positionierte sich klar für die Windkraft und motivierte viele junge Erwachsene zum Wählen.
Bedenken ernst nehmen: Artenschutz und Standortwahl
Die häufigsten Bedenken der Bürgerinnen und Bürger drehten sich um Artenschutz, Zufahrtswege und die Standortwahl im Wald. Die Kommunen nahmen diese Sorgen ernst.
Als Auflage an den Projektierer wurde die Erstellung eines speziellen Artenschutzgutachtens vereinbart. Die Zufahrtswege können durch vorhandene Infrastruktur realisiert werden.
Erfolgsrezept für Windkraft-Projekte: Was andere Kommunen lernen können
Der Erfolg von Schriesheim und Dossenheim lässt sich nicht einfach kopieren – jede Kommune hat ihre eigenen Herausforderungen. Aber einige Prinzipien haben sich bewährt:
- Externe Moderation nutzen
- Früh und transparent informieren
- Gegner einbinden statt ausgrenzen
- Auf Sachebene bleiben
- Den sozialen Frieden im Blick behalten
„Wir können unterschiedlicher Meinung sein und dennoch auf Augenhöhe weiter zusammenarbeiten“, betont Faulhaber.
Minderheit respektieren und versöhnlich weitermachen
40 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Dossenheim und 45 Prozent in Schriesheim stimmten gegen die Windräder. Das ist keine kleine Minderheit.
„Direkt nach dem Bürgerentscheid bin ich auf die Bürgerinitiative Gegenwind zugegangen, damit wir nun weiter versöhnlich miteinander arbeiten können“, sagt David Faulhaber.
Fazit: Kein Akzeptanzproblem, sondern ein Kommunikationsproblem
Was bleibt, ist eine wichtige Erkenntnis: Windkraft in Kommunen hat in erster Linie kein Akzeptanzproblem, sondern ein Kommunikationsproblem. Schriesheim und Dossenheim haben gezeigt, wie man das ändern kann – mit strukturiertem Dialog, professioneller Unterstützung und dem unbedingten Willen, den sozialen Frieden zu bewahren.

