Sammelzentrum in Aalen
Krisenbesprechung im kurzfristig eingerichteten Sammelzentrum in Aalen
© Aalen

Riesiges Engagement

Partnerstadt: So hilft eine deutsche Kommune den Erdbebenopfern

Binnen weniger Tage hat sich Aalen zu einem der Koordinationszentren im süddeutschen Raum für die Türkei-Akuthilfe entwickelt. Besonders im Fokus der Hilfsaktionen: Die Partnerstadt Antakya in der Provinz Hatay.

Tote unter Trümmern, kein Strom, kein Wasser, kein Schutz. Die Lage der Erdbebenopfer in der türkischen Stadt Antakya und der Provinz Hatay nahe der syrischen Grenze ist katastrophal. 3.200 Kilometer liegen zwischen dem zerstörten Ort und der Stadt Aalen, die Hatay/Antakya bereits seit 28 Jahren über eine intensiv gepflegte Städtepartnerschaft verbunden ist. Diese greift in guten wie in schlechten Tagen – das zeigt sich aktuell mehr denn je.

Start der Hilfsaktion unmittelbar nach Erdbeben in der Türkei

In Aalen gibt es viele Bürger, die ursprünglich aus der nun so stark betroffenen Region stammen. Einst kamen ihre Großeltern als Gastarbeiter nach Deutschland, die Bezüge zur Heimat sind nach wie vor eng. So erreichten viele Aalener schon am Montagmorgen die ersten Nachrichten aus der Türkei. „Aufgrund der persönlichen Schilderungen war uns schnell klar, dass die tatsächliche Lage noch viel, viel schlimmer ist, als es die ersten Presseberichte vermuten ließen“, erzählt der Oberbürgermeister Frederick Brütting. Noch am Tag des Erdbebens fand am Abend ein erstes Treffen im Raum des Kulturclubs Antakya-Aalen statt, bei dem an die 150 Besucher und Mitglieder zusammen kamen. „Das war ein sehr emotionales Treffen“, so Brütting. „Etliche hatten Nachrichten erhalten, dass Familienangehörige oder Freunde beim Erdbeben gestorben oder verletzt waren“ und die ersten Bilder aus dem Erdbebengebiet, die die Aalener via ihre Bekannten in der Türkei erreichten, waren erschütternd.

Gründung einer Taskforce und Spendenaufruf

Bei dem Treffen hätte erst einmal jeder berichtet, was er wusste – dann sei schnell klar gewesen: „Wir wollen etwas tun und das möglichst schnell, aber ebenso überlegt und gezielt organisiert.“ Hierzu wurde unter der Federführung des Oberbürgermeisters eine Taskforce aus Vertretern der Stadt, der Rettungsdienste und des Kulturclubs ins Leben gerufen. Zudem wurde ein Aufruf zu Sach- und Geldspenden gestartet – mit überwältigender Rückmeldung. „Die Hilfsbereitschaft ist grandios und die Spendenbereitschaft unglaublich“, so der Oberbürgermeister. Selbst aus dem Ausland würden die Stadt Geldspenden erreichen.

Spendenaufruf
Spendenaufruf der Stadt Aalen

Masse an Sachspenden

Was die Sachspenden anbelangt, war laut Brütting schnell klar: „Das Erste, was die Menschen in den betroffenen Gebieten benötigen, sind wärmende Sachen, Kleidung, Decken, Zelte.“ Schließlich könnten die Menschen trotz nächtlicher Temperaturen bis nahe an den Gefrierpunkt nicht mehr in ihre Häuser und so halten sich laut Brütting viele inzwischen in ihren Autos auf – sofern diese nicht auch zerstört seien. Neben den wärmenden Utensilien wurden in Aalen technisches Gerät, Lebensmittel, Hygieneartikel, Taschenlampen und Arbeitskleidung zusammengetragen, ebenso Leichentücher und Krücken. Sammelplatz für die Sachspenden wurde eine Industriebrache, die die Stadt nutzen konnte – laut Brütting ein Glücksfall angesichts der Masse von Gütern, die es nun zu Organisieren galt. So wurden an die 150 Tonnen Sachgüter zusammengetragen, die laut Oberbürgermeister insgesamt mit rund 10 Sattelschleppern in die Türkei transportiert werden. Einige davon sind mittlerweile bereits am Ziel und werden von der Stadtverwaltung vor Ort verteilt.

Breit aufgestelltes Helfer-Team

Die Logistik und die praktische Bewältigung der Spenden wird von einem breit aufgestellten Helferteam unter Leitung der Stadt gestemmt, darunter Mitglieder des Roten Kreuzes, der Johanniter, des Technischen Hilfswerks und der Feuerwehr. „Sie unterstützen uns mit logistischem und technischem Know-How und mit Hilfskräften, die die Arbeiten an der Sammelstelle koordinieren. Dabei bringen sie die Erfahrungen ihrer vielen Kriseneinsätze ein, das hilft sehr“, sagt Brütting. Außerdem sind zahlreiche Bürger engagiert, die bei weitem nicht nur aus Aalen stammen. „Das hat eine unglaubliche Dynamik entwickelt“ erzählt das Stadtoberhaupt. Leute aus ganz Süddeutschland würden teilweise busweise in Aalen eintreffen, um mitzuhelfen. Aktuell sind 300 Helfer im Einsatz, die beim Annehmen, Sortieren, Verpacken und Verladen der Güter helfen; regionale Unternehmen haben zudem mit konkreten Sachspenden, LKWs oder Packkörben unterstützt.

sammelstelle
Sortieren, Verpacken und Verladen in der Sammelstelle in Aalen

Beeindruckende Spendenbereitschaft

Nicht nur die Menge an Sachspenden, auch jene an Geldzuwendungen ist beachtlich. So sind auf dem von der Stadt eingerichteten Spendenkonto Stand Montag über eine Viertel Million Euro eingegangen, laufend werden laut dem Oberbürgermeister weitere Spenden angekündigt – teilweise in fünfstelliger Höhe. Ein Teil dieses Geldes soll laut Gemeinderatsbeschluss direkt an die Stadtverwaltung in Antakya gehen, um es für den Wiederaufbau vor Ort zu nutzen. Zum anderen möchte die Stadt Aalen einen Teil für langfristige Projekte im Rahmen der Städtepartnerschaft nutzen, etwa im Bildungs- und Sozialbereich.

Treffen in Atakya
Besuch des OBs Frederick Brütting und des Städtepartnerschaftsvereinsbeauftragten Roland Hamm in Antakya bei der dortigen Expo-Ausstellung

Intensiv gepflegte Städtepartnerschaft

Mit rund 1.659.000 Einwohnern handelt es sich bei Antakya um die größte Partnerstadt Aalens. Bereits seit 1995 wird dies Partnerschaft intensiv gepflegt und hat sie laut Brütting insbesondere über die zahlreichen persönlichen und familiären Verbindungen in die Türkei eine besondere Tiefe. „Die Partnerschaft wird in beiden Städten breit getragen“, so der Oberbürgermeister und erst vor zwei Wochen sei er selbst zu Besuch vor Ort gewesen. Nun, in der Krise, bewähren sich die Vertrautheit und der regelmäßige Austausch zwischen den Kommunen. „Über die Städtepartnerschaft kennt man sich gut, da sind die Kommunikationswege kurz - das ist nun ein großer Vorteil“, stellt Brütting fest.

Treffen Städtepartnerschaft
Noch im Januar hat Aalens OB Frederick Brütting in Atakya empfangen

Erschütternde Augenzeugen-Berichte aus der Türkei

Über die gewachsenen Beziehungen zwischen den Kommunalverwaltungen und den Bürgern steht Aalen in engem Austausch mit der Partnerstadt. Die Einblicke in die Situation dort vor Ort sind erschütternd. „Es ist schrecklich“, so Brütting. Die Bilder, die man hier in den Medien sieht von den Räumungen, würden zumeist aus dem Zentrum der Stadt stammen, wohingegen die Randbereiche laut der Berichte der Partner vor Ort teilweise noch gar nicht betreten worden seien, derart unzugänglich und zerstört seien die Straßenzüge. „Das sind extrem dicht besiedelte Gebiete mit vielen Hochhäusern und das Erdbeben war um 4 Uhr morgens, es waren also alle Zuhause. Es ist wirklich entsetzlich. Die Menschen räumen Stück für Stück Leichen weg“, so Brütting, zudem sei in vielen Bereichen noch kein Strom vorhanden und die komplette Wasserversorgung zusammengebrochen.

Visa-Erleichterungen gefordert

Angesichts der Not in den zerstörten Gebieten möchten viele Aalener ihre Angehörigen aus dem Erdbebengebiet herausholen. Die größte Hürde hierbei sind laut Brütting aktuell die Visa-Bestimmungen. „„Es erreichen uns aktuell viele Anfragen auf mögliche Visa- Erleichterungen für Erdbebenopfer“, sagt Brütting. Hier müsse auf Bundesebene unbedingt etwas geschehen, die psychische Belastung sei für viele hier wie dort kaum auszuhalten und man könne mit einer formalen Erleichterung viel bewirken.

Zusicherung langfristiger Unterstützung

Einen Blick in die Zukunft wagt Brütting angesichts der nach wie vor katastrophalen Situation im Erdbebengebiet nicht, sicher ist für ihn nur: „Die Stadt wird nicht mehr so sein, wie wir sie kennen“. Und: „Die Stadt Aalen wird an der Seite ihrer Partnerstadt sein, auch wenn die akute Notsituation vorbei ist“. Auch bisher habe man sich in schwierigen Zeiten beigestanden, noch nie aber habe es eine ansatzweise vergleichbare Dimension gegeben. Nun sei mehr denn je klar „Wir können uns auch in der Krise aufeinander verlassen“.

Fotocredits: Aalen