Corona-Obergrenze-Gesundheitsämter-Alarm
In Rosenheim wurde die Corona-Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschritten.
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Kampf gegen Covid-19

Was die Gesundheitsämter zur festgelegten Corona-Obergrenze sagen

Die Gesundheitsämter schlagen Alarm: Personal-Engpässe könnten bald die Leistungsfähigkeit bedrohen. Die von Bund und Ländern festgelegte Corona-Obergrenze wird vielfach als zu hoch bewertet. Das Ergebnis einer KOMMUNAL-Blitzumfrage.

Mehr Coronatests, noch stärkere Nachverfolgung der Infektionsketten. Damit wollen Bund und Länder die Pandemie eindämmen. KOMMUNAL hat bei Gesundheitsämtern nachgefragt, wie sie die von der Politik festgelegte Corona-Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen beurteilen. Danach droht in den betroffenen Regionen der Lockdown. Nach bisherigem Stand haben fünf Landkreise und die Stadt Rosenheim die Grenze überschritten. Im Landkreis Greiz, in Rosenheim und in Steinburg liegt die Zahl mittlerweile wieder unter der Grenze. Das Robert-Koch-Institut zeigt die Entwicklung in einer interaktiven Karte.

Ärzte warnen: Corona-Obergrenzen sprengen Kapazitäten der Gesundheitsämter

Der Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) warnte früh, dass die Corona-Obergrenzen die Kapazitäten der Gesundheitsämter sprengen könnten, denn die Nachverfolgung der Infektionsketten ist aufwendig.

KOMMUNAL wollte wissen, was die Gesundheitsämter konkret an Unterstützung erwarten - und wie sie den hohen Arbeitsaufwand derzeit bewältigen. Die Einschätzungen fallen unterschiedlich aus. Eine gute Nachricht kommt aus allen befragten Kreisen: Überall stehen derzeit offenbar genügend Testkapazitäten zur Verfügung. Eine weitere gute Nachricht: Der überwiegende Teil der Befragten sieht sich den Aufgaben auch gewachsen.  Ohne die vom Bund in Aussicht gestellte Unterstützung - etwa 50 Millionen Euro sollen für die 375 Gesundheitsämter bereit gestellt werden - wären sie allerdings nicht mehr lange dazu in der Lage.

Gesundheitsamt Weimar: Corona-Obergrenze zu hoch

Das Gesundheitsamt in Weimar (Thüringen) schätzt die festgesetzte Obergrenze von  50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner als zu hoch ein, wie ein Sprecher der Stadtverwaltung KOMMUNAL auf Anfrage mitteilte. "Das kommunale Gesundheitswesen gerät bereits weitaus früher an seine Grenzen", sagte er. Mit der derzeitigen Personalausstattung seien die wachsenden Aufgaben nur bedingt voll zu schaffen. "Insbesondere im ärztlichen Bereich ist die Not groß", so der Sprecher. Weimar hat derzeit 12 Mitarbeiter aus der Stadtverwaltung für die Hotline eingesetzt, dazu kommen sechs Studenten, drei Ärzte zur Aushilfe sowie 16 eigene Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, davon sind drei Ärzte.

Gesundheitsämter weisen Unterstellungen zurück

Wie alle anderen Gesundheitsämter auch weist Weimar Mutmaßungen zurück, die Ämter könnten nun weniger statt mehr testen, damit die Regionen die Lockerungen nicht zurücknehmen müssen. "Derartige strategische Überlegungen sind nicht Teil der medizinischen Vorgehensweise", betonte der Sprecher. "Das wäre auch sehr kurzsichtig gedacht". Im Gegenteil: Weimar versuche, die Testanzahl zu erhöhen.

Bereitschaft zum Test sinkt in der Bevölkerung

Die Stadtverwaltung beobachtet allerdings, dass die Bereitschaft zum Test in der Bevölkerung sinkt, sicherlich aus Angst vor Quarantäne. Getestet werde bei Symptomen, aber auch "großzügig auf persönlichen Wunsch".

Öffentlichen Gesundheitsdienst aufwerten

Vom Bund und dem Land erwartet Weimar eine Aufwertung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), den Einsatz für eine bessere Bezahlung und damit die Möglichkeit, mehr Ärzte zu gewinnen.

Das Gesundheitsamt im Landkreis Peine (Niedersachsen) hält die Obergrenzeaufgrund der aktuellen Zahlen für angemessen, um die Pandemie  im Falle einer erneut ansteigenden Zahl von Neuinfektionen ausreichend zu managen und so die Aus- und Weiterverbreitung eindämmen zu können.

Peine: Corono-Obergrenze bei rascher Zunahme senken

"Diese Grenze muss natürlich jederzeit an die aktuelle Situation angepasst und kritisch überdacht werden", sagte eine Sprecherin KOMMUNAL. "Bei einer raschen Zunahme der Fälle sollte eine Festsetzung von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überlegt werden", fügte sie hinzu. Mittelfristig könnten die Gesundheitsämter die wachsenden Aufgaben mit dem derzeitig bereit stehenden Personal nicht bewältigen, betont sie.

Das Gesundheitsamt in Peine hat derzeit 59 Mitarbeiter eingesetzt, die auch die Infektionsketten nachverfolgen. Die 44 Beschäftigten des Gesundheitsamtes werden unterstützt durch Mitarbeiter aus anderen Fachdiensten des Landkreises, Anwärtern und Auszubildenen, einem sogenannten Containmentscout und sechs befristet eingestellten Mitarbeitern. Deutlich aufgestockt werden müssten die Fachkräfte im ärztlichen Bereich, im Infektionsschutz und in der Verwaltung.

Mehr Isolierplätze für ältere Personen vor Aufnahme in Pflege

Die Erwartung an Bund und Länder:  "Personalaufstockung und Isolierplätze für ältere und demente Personen vor Aufnahme in Pflegeeinrichtungen, die nicht über die Kapazitäten verfügen, die Isolation eigenständig durchzuführen."

Nordhausen: 30 Infektionsfälle wären als Obergrenze sinnvoll

Das Gesundheitsamt in Nordhausen im Nordharz sieht die Obergrenze kritisch. Es  hält 30 Infektionsfälle je 100.000 Einwohner pro Woche - also den ursprünglichen Vorschlag des Bundes - für "eine sinnvolle Obergrenze". Denn wichtig sei, dass das Gesundheitsamt weiterhin die Kontaktpersonen konsequent ermitteln.  "Bislang hat im Landkreis Nordhausen die Containment-Strategie gut funktioniert", teilte eine Sprecherin mit. Die dafür erforderlichen Mitarbeiter kämen aus dem Gesundheitsamt und werden durch die Landkreisverwaltung verstärkt.

Saarlouis baut Personalkapazitäten aus

Im saarländischen Saarlouis beurteilt man die Obergrenze hingegen als angemessen. Im Landkreis werden so mit einer Einwohnerzahl von 195.201 innerhalb von sieben Tagen rund 97 Neuinfektionen erwartet. "Wir sind dabei, unsere Personalkapazität nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts aufzubauen, so dass die Nachverfolgung der Kontaktpersonen gewährleistet ist", sagte die Leiterin des Gesundheitsamtes, Karin Benesch zu KOMMUNAL.

"Es ist klar, dass viel auf uns zukommen wird", betont sie. "Da es momentan wenige neue Fälle bei uns gibt, nutzen wir die Zeit, unsere Arbeit gut zu strukturieren und unsere Personalkapazität aufzubauen."

Derzeit sind im Gesundheitsamt 40 Mitarbeiter mit Vollzeitstelle mit der Kontaktpersonen-Nachverfolgung beschäftigt, 31 davon sind aus dem Gesundheitsamt. Unterstützt werden sie durch Mitarbeiter aus der Landkreisverwaltung und dem Pflegestützpunkt sowie zwei befristet eingestellte Mitarbeiter. Vom Bund und dem Land sehe man sich bislang gut unterstützt.

Helmstedt: Personal muss dann schnell kommen

Im niedersächsischen Helmstedt werden die derzeitigen Obergrenzen nicht als zu hoch bewertet. Landrat Gerhard Radeck verweist aber darauf, dass "man diese jedoch immer in Relation zur Gesamtentwicklung beurteilen muss."

Bislang reiche im Landkreis die personelle Ausstattung aufgrund von zusätzlicher Unterstützung noch aus, sagte er. Wenn aber alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren originären Aufgaben nachgehen müssen, sei dies nicht mehr der Fall. Der Landkreis Helmstedt erwartet von der Politik, dass bei Bedarf schnell zusätzlich Personal zur Verfügung gestellt wird - und finanzielle Unterstützung für die Mehrausgaben durch Corona.

Berlin: Ampelsystem mit geringerer Obergrenze

Berlin setzte eigene Obergrenzen. Die Hauptstadt will mit einem Ampelsystem die Pandemie managen. Bei Grün ist alles im "grünen Bereich", Gelb löst Alarm bei den zuständigen Stellen aus- und Rot bedeutet: Handeln. Dabei sollen drei Werte berücksichtigt werden: Die Reproduktionszahl, also wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt, die Neuinfektionen pro Einwohner - und die Situation bei der Belegung der Intensivbetten. Bei 20 Fällen pro 100.000 Einwohner werde die Ampel bereits auf gelb gestellt, bei 30 auf Rot, kündigte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci an. Die vorgegebene Zahl von 50 sei  für Berlin zu hoch, sagte sie. Der Höhepunkt sei bei 37 Infizierte bei 100.000 Einwohnern in einer Woche gelegen.

Bund will öffentlichen Gesundheitsdienst stärken

Der Bund hat bereits angekündigt, den öffentlichen Gesundheitsdienst stärken zu wollen. So sollen 50 Millionen Euro für die 375 Gesundheitsämter bereit gestellt werden. Dies sieht der derzeit diskutierte Gesetzesentwurf aus dem Hause von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor. Vorangetrieben werden soll vor allem die Digitalisierung. Zudem sollen Schulungen für mobile Teams finanziert werde, die die Gesundheitsämter bei der Nachverfolgungen von Kontaktpersonen unterstützen. Beim Robert-Koch-Institut soll dauerhaft eine Kontaktstelle für den Öffentlichen Dienst geschaffen werden.

Städte- und Gemeindebund fordert nachhaltige Unterstützung

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) begrüßt die in Aussicht gestellte finanzielle Unterstützung und das geplante Maßnahmenpaket.  "Die im Gesetzesentwurf angekündigten Fördermittel von 150.000 Euro pro Gesundheitsamt können nur ein erster Anschub sein, der stetig ausgebaut werden muss, um den ÖGD nachhaltig zu stärken", betont Uwe Lübking, Beigeordneter beim DStGB, in einem Gastbeitrag für KOMMUNAL. Die Gesundheitsämter müssten nicht nur in der Krise, sondern dauerhaft handlungsfähig sein.