Ehrenamtliche Bürgermeister berichten über Hasswelle
Es war ein offenes, ein sehr deutliches Gespräch. Keiner der Bürgermeister hielt ob der Hasswelle gegen ihn oder einen seiner Gemeinderäte oder Verwaltungsmitarbeiter mit seinen erschütternden Storys hinterm Berg. Es war ein vertrauliches Treffen im Berliner Schloss Bellevue, nur wenige ausgewählte Journalisten waren zugelassen. Daher waren die Aussagen der betroffenen 10 Bürgermeister - die meisten von Ihnen ehrenamtlich Tätige - auch entsprechend offen und eindrucksvoll. Der Bundespräsident sollte einen besseren Eindruck vom Ausmaß der Situation bekommen.
Zu Beginn der Sitzung zitierte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und ebenfalls Gast der Veranstaltung, noch einmal aus der Umfrage, die KOMMUNAL erstellt hatte. Auch KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt konnte an dem Gespräch teilnehmen. Weil nicht alle Bürgermeister ihre erlebten Geschichten und Erfahrungen bisher öffentlich gemacht haben, verzichten wir in diesem Bericht grundsätzlich darauf, die einzelnen Personen namentlich zu nennen. Wir dokumentieren Ihnen aber die Zitate und Botschaften, die in der Runde mit dem Bundespräsidenten gefallen sind. Sie stehen ohnehin für sich und liefern ein beklemmendes und doch eindrucksvolles Bild der Lage in Deutschland.
Die Polizei greift trotz der Hasswelle nicht durch
"Bei mir im Ort war ein Neonazi-Aufmarsch, flankiert von einer Gegendemonstration. Auf der Demo vor Ort wird von der Rechtsextremen Gruppe von mehreren Personen der Hitlergruß gezeigt. Ich sage zur Polizei: Tun sie doch etwas, das müssen Sie doch auch sehen. Der Polizist winkt ab. Das dürfe er nicht, seine Aufgabe sei es, die Gegendemostranten zu beobachten".
"Es ist ja nicht nur ein Rechtsextremes Spektrum, sondern die breite gesellschaftliche Verrohung in vielen Kreisen. Das sind Menschen, oft in schwierigen Situationen bei mir in meinem kleinen Ort, die oft bei Kleinigkeiten zur Gewalt neigen. Die Polizei reagiert aber sehr reserviert, wegen einer Beleidigung kommen sie gar nicht erst raus, eine einfache Schlägerei wird ignoriert. Ganz ehrlich: Die Polizei ist auch viel zu weit weg, bräuchte im Ernstfall viel zu lange. Anders als die Großstadtbürgermeister haben wir keinerlei Schutz, wenn wir angegriffen werden".
"Ich habe so viele schöne Worte gehört, das hilft mir in meinem Dorf in Niedersachsen aber gar nichts. Ich bekomme regelmässig Briefe und Mails mit Bedrohungen. Ich möchte nur einige zitieren. Im Wahlkampf etwa hieß es an den Gemeinderat: "Eure Mischpoke aus Musterdemokraten und Realitätsverweigerern kann sich schon mal auf harte Monate einstellen." Ein anderer Brief hat diesen Text (Bürgermeister holt den original-handschriftlichen Brief aus seiner Akte): "Deine gekauften oder mit der Nazikeule gefügig gemachten Freunde können was erleben. Ihr gehört weggesperrt und kastriert, damit sich sowas gar nicht mehr vermehrt und auf Steuerzahlerkosten lebt. Wir werden euch bald von hinten ins Ohr flüstern."
"Ich verstehe nicht, warum von Staatswegen nicht mit den Gesetzen so verfahren wird, wie wir sie haben. Es müssen solche Briefe doch verfolgt werden. Aber die Polizei winkt ab. Da passiert nichts".
Kommunalpolitik fühlt sich alleingelassen
"Mein Gemeinderat war erschüttert, als der Innenminister. vor kurzem die Zahlen vorstellte und erklärte, es gebe in Deutschland 12.000 gewaltbereite Rechtsextremisten. Keiner konnte bei uns verstehen, warum zwar die Zahlen verkündet werden, nicht aber ein Konzept, was dagegen getan werden soll. Es passiert einfach nichts. Der Innenminister hat mit keinem Wort erwähnt, was aus der schlimmen Erkenntnis folgen soll. Wir fühlen uns alleingelassen".
"Eine Amtskollegin hat mir heute unter Tränen noch einmal gesagt, dass sie weniger Angst vor Tätern als vielmehr Angst vor der schweigenden Masse hat. Im Fall des Falles ist sowieso die Polizeipräsenz bei uns auf dem Land nicht gewährleistet. Wir haben in unserem kleinen Ort mehr Bankautomaten als Polizisten."
"Die Aggressivität hat massiv zugenommen. Wenn ich heute eine Debatte im Bundestag verfolge, ist diese verbal auf einem viel aggressiveren Niveau als noch vor ein paar Jahren. Bedingt hauptsächlich durch eine Fraktion. Dieses verbale ist die Saat, aus der später Täter werden".
"Ich war "nur" Opfer eines frustrierten Menschen, wurde leicht verletzt. Das war eine ganz andere Qualität als der Fall Lübcke und als Todeslisten, die offenbar angelegt wurden. Bei mir hat die Justiz auch immerhin gehandelt. Ich erlebe aber, dass die Justiz sehr viel zurückhaltender reagiert, wenn sich der Hass gegen Mitarbeiter in der Verwaltung richtet. Da gibt es leider große Unterschiede".
Lösungsansätze: Was tun gegen die Hasswelle ?
"Wir dürfen uns auch nicht in eine Opferrolle begeben, das fordert die Täter noch heraus. Es ist immer noch gefährlicher, als Straßenbauarbeiter an der Autobahn zu stehen als Bürgermeister zu sein".
"Zur Gemeinde kommt leider nur noch, wer ein sehr persönliches Problem hat, alle anderen bleiben stumm. Die meisten lesen auch keine Zeitung mehr, bekommen weder mit, wer sie in der Gemeinde vertritt, noch, was Ehrenamtliche und Verwaltung täglich leisten. Uns als kleine Gemeinde fehlt leider auch die Kraft, selbst über das Internet täglich umfassend zu kommunizieren".
"Wir sind auf neue Formen der Kommunikation noch nicht wirklich eingestellt. Wir haben noch immer unsere Presseämter, erreichen damit Teile der Gesellschaft nicht mehr".
"Es bedarf auch der Medien, insbesondere der Hilfe der öffentlich-Rechtlichen Sender, ihre Kanäle von Hasskommentaren etwa auf Facebook sauber zu halten. Und es muss auch mehr positiv gezeigt werden, was Ehrenamtliche und Hauptamtliche in den Kommunen leisten. Auch in den Talkshows bei ARD und ZDF wird derjenige gefeiert, der möglichst viel Krawall macht. Wer öffentlichkeitswirksam das Studio verlässt, wird erneut eingeladen, wer sachlich berichtet, was geleistet wird, kommt nicht zu Wort".
"Wir müssen mehr Chancen bekommen, über unsere Amtsblätter redaktionell zu berichten. Bei uns gibt es praktisch keine Lokalzeitung mehr, die das übernimmt. Das Urteil zu Amtsblättern und der Runderlass des Landes in Sachsen dazu macht uns massive Probleme. Wir müssen unsere Sichtweise endlich darstellen können, eine eigene Öffentlichkeit herstellen können. Das hat nichts mit Konkurrenz zu Tageszeitungen zu tun".
"Ich ignoriere das Urteil zu Amtsblättern und auch so manche Vorgabe zur DSGVO einfach. Ich muss in der Lage sein, in meiner kleinen Gemeinde etwa meinen Einwohnern zum Geburtstag gratulieren zu können, ohne gegen Datenschutz zu verstoßen. Soll mich im Zweifel halt jemand anklagen."
"Es ist doch das ureigenste Interesse einer Gemeinde, selbst zu erzählen, was aus Sicht der Kommune passiert. Dazu brauchen wir eine Stärkung der Amtsblätter".
"Es ist für uns als Kommunen leider auch extrem schwer, unter Datenschutzgesichtspunkten die neuen Medien wie Whats App und Facebook rechtlich sauber zu nutzen".
"Wir müssen im Fußballstadion, im Verein, in den Zeitungen und sonstigen Veranstaltungen aktiv dagegen halten, wir brauchen eine Strategie, um die Öffentlichkeit besser zu erreichen. Wir brauchen mehr Möglichkeiten, die schweigende Masse zu aktivieren".
Eine Bürgermeisterin ging nach Hasswelle in die Offensive
"Nach den Drohungen bin ich nachts durch die Stadt schneller gelaufen, habe mich immer wieder umgesehen, habe mit meinem Auto nur noch an belebten Stellen geparkt. Wir haben in einer kleinen Kommune im Notfall keinen Schutz, hier trifft man mit jedem nah aufeinander, jeder weiß, wo man wohnt, welche Gewohnheiten man hat"
"Wir schauen heute in unserer kleinen Verwaltung, dass nie jemand alleine da ist, dann sperren wir zur Sicherheit lieber zu. Das darf eigentlich nicht sein. Wir haben eigentlich keine Probleme mit REchtsextremisten. Es sind Bürger, die mit einzelnen Entscheidungen, die sie meist persönlich betreffen, unzufrieden sind. Die Kommunikation wird dann immer aggressiver, es gibt diese Verrohung in der Sprache und in der Gesellschaft deutlich".
"Ich habe lange geschwiegen nach diversen Drohungen. Erst als es eine Morddrohung gegen einen Gemeinderat gab, habe ich auch mein Schweigen gebrochen. Dadurch sind viele Bürger aufgewacht, haben realisiert, was bei uns passiert. Seither melden sich auch andere Gemeinderäte und Bürger, die ähnliches erlebt haben. Ich möchte alle ermutigen, bei Bedrohungen in die Öffentlichkeit zu gehen, ich erwarte von der Gesellschaft, dass sie sich hinter diese Menschen stellt. Bei uns hat das funktioniert."
Sämtliche dieser Zitate sind in dem Gespräch mit dem Bundespräsidenten gefallen, Frank-Walter Steinmeier hat sich für die Offenheit bei allen Beteiligten sehr herzlich bedankt und versprochen, den Dialog fortzusetzen. Die Veranstaltung war somit der Auftakt zu weiteren Gesprächen.
Wenn auch Sie ähnliches erlebt haben, Handlungsempfehlungen haben oder ihre Erfahrungen an andere Amts- und Mandatsträger weitergeben möchten, melden Sie sich gerne bei uns. Wie auch bei oben genannten Zitaten sichern wir auf Wunsch Vertraulichkeit zu. Wichtig ist aber, dass die Kommunen, die Amts- und Mandatsträger untereinander und voneinander wissen. Das kann helfen! Allen Beteiligten auch an dieser Stelle herzlichen Dank, dass wir die Zitate verwenden dürfen, um möglicherweise auch anderen Betroffenen Mut zu machen!