Entwicklungspolitik ist eine Chance für Kommunen in Deutschland
Entwicklungspolitik ist eine Chance für Kommunen in Deutschland
© 123rf

Entwicklungspolitik: Eine Chance für deutsche Kommunen

24. Januar 2019
Bei Entwicklungspolitik denken viele gleich an die große Politik, internationale Diplomatie und schwere Verhandlungen. Weit gefehlt. JEDE Kommune kann Entwicklungspolitik betreiben - zugunsten anderer Länder aber auch aus ganz eigennützigen Gedanken heraus. Agneta Pszolla vom Städte- und Gemeindebund Rheinland-Pfalz hat einen Leitfaden für Kommunen erstellt. Er zeigt: Entwicklungspolitik ist eine Win-Win Aktion für beide Seiten!

In einer globalisierten Welt rücken auch die Kommunen näher zusammen. Die Verhältnisse in Afrika, Asien oder Südamerika lassen sich nicht ohne weiteres trennen von der Situation in Europa. Gerade die zunehmenden Migrationsbewegungen machen deutlich, wie sehr sich die Situation der Menschen in Ländern des globalen Südens auch auf die kommunale Politik vor Ort auswirkt und umgekehrt. 

Entwicklungspolitisches Engagement gibt es nahezu in jeder Kommune in unterschiedlicher Form und Ausprägung: Von der privaten Initiative oder aus persönlicher Verbundenheit, über das Engagement eines Vereins, der Kirchen, Kindergärten oder Schulen bis hin zu Projekten im Rahmen eines Kulturaustausches. Auch der Klimaschutzgedanke oder der Wille, einen Beitrag zur Völkerverständigung oder zur Armutsbekämpfung zu leisten, kann Initiator gewesen sein. 

Entwicklungspolitik: Erkennen Sie den Nutzen vor Ort in Ihrer Kommune

Kommunale Entwicklungspolitik ist keine Frage der Größe einer Stadt oder Gemeinde. Eine internationale Ausrichtung kann der Imageverbesserung und Profilierung der Kommune dienen und den eigenen (Wirtschafts-)Standort stärken. So werden Projektpartnerschaften zur Berufsausbildung in den Bereichen Tourismus und Pflege praktiziert, die auch einen Beitrag zur Fachkräftegewinnung in der deutschen Gemeinde leisten. Auch stellen kommunale Entwicklungs- und Projektpartnerschaften ein Integrationsinstrument für Migranten in der eigenen Kommune dar und können zum besseren Zusammenleben beitragen. 

Keine Sorge vor den Kosten - Sie haben viele Optionen

Kommunale Entwicklungspolitik ist eine Aufgabe der freiwilligen Selbstverwaltung (§ 2 Abs. 1 GemO). Demnach gibt es keine gesetzliche Verpflichtung und die finanziellen Rahmenbedingungen hängen von der finanziellen Grundausstattung der jeweiligen Gemeinde ab. 

Partnerschaften und Kooperationsprojekte von Kommunen müssen dabei nicht vollständig aus dem kommunalen Haushalt finanziert werden. Eine Grundfinanzierung stärkt jedoch die Ausgangsposition, von welcher sich sodann zahlreiche Aktivitäten und Projekte anstoßen lassen, die durch Förderprogramme, Stiftungsgelder, Preisgelder, Sponsoring und Spenden mitfinanziert werden können. Hilfestellung gibt der Finanzierungsratgeber der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW), der neben Beispielen aus der Praxis rund 160 aktuelle Fördermöglichkeiten von Bund, Ländern, EU sowie gemeinnütziger Stiftungen erfasst:  https://skew.engagement-global.de/finanzierungsratgeber.html

Einige Kommunen bieten ihren Beschäftigten an, die Cent-Beträge ihrer Monatsgehälter zu Spenden. Die kleinen Beträge machen in der Summe eine gute Basis, um die Grundfinanzierung besser auszustatten.

Entwicklungspolitik braucht nicht unbedingt ein Engagement im Ausland 

Nicht jede rheinland-pfälzische Kommune kann und will mit weit entfernt liegenden Kommunen in Afrika, Südamerika oder Partnerschaften eingehen. Kommunale Entwicklungspolitik kann maßgeblich auch „nur“ durch das Handeln vor Ort gestaltet werden.

Beispiele hierfür sind unter anderem:

  • Ansprechpartner für Eine Welt in der Verwaltung etablieren
  • Wertschätzung der Eine Welt-Akteure 
    • über einen Empfang in der Kommune
    • Unterstützung durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kommune
    • Bereitstellung von Ausstellungsräumen oder Treffpunkten
  • Förderung von Kulturveranstaltungen
  • Förderung von Ständen auf dem Weihnachtsmarkt (z. B. Stand mit Spezialitäten aus Partnerstadt)
  • Einbeziehung von Migrantinnen und Migranten (s.u.)
  • Flüchtlingsarbeit
  • Nachhaltige Beschaffung (s.u.)
  • Bildung für nachhaltige Entwicklung (s.u.)

Agneta Psczolla vom Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz

Es geht bei der Entwicklungspolitik um Netzwerke 

Der Anteil von Migranten in Kommunen wächst stetig, viele von ihnen engagieren sich für ihre Herkunftsländer. Dieses bürgerschaftliche Engagement gilt es für die kommunale Entwicklungspolitik zu nutzen. 

Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang über Migrantenorganisationen, Eine Welt- und Lokale Agenda 21-Akteure, Vereine und Verbände Kontakte herzustellen und Netzwerke zu bilden. 

Migranten sind mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung über die Länder des Südens wertvolle Partner für die Kommunen in ihren Bemühungen im Rahmen der Eine-Welt-Arbeit.

Eine wesentliche Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit ist zudem, Fluchtursachen zu bekämpfen und Flüchtlingen, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren, eine Perspektive zu bieten.

Im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs „Kommune bewegt Welt“ werden alle zwei Jahre Projekte und Maßnahmen zum Thema Migration und Entwicklung ausgezeichnet (Preisgeld 2018: 45.000 Euro)

Stichwort: Nachhaltige Beschaffung 

Gerade die „Nachhaltige Beschaffung“ der öffentlichen Hand spielt eine immer bedeutendere Rolle: von jährlich rund 300 Mrd. Euro, für die sie in Deutschland Aufträge vergibt, entfallen ca. 60 % auf die Kommunen, die somit die Möglichkeit haben, ihre Marktmacht zu nutzen und gezielt Produkte nachzufragen, die unter Einhaltung ökologischer und sozialer Standards produziert wurden. Sie leisten damit nicht nur einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Ländern des Südens sondern auch zum Umweltschutz. Die kommunalen Erfahrungen zeigen, dass „faire“ Vergaben (etwa von Produkten, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt werden), nicht zur Erhöhung der Einkaufskosten führen.

Der rechtliche Rahmen für die Einbeziehung von ökologischen Kriterien ist relativ klar definiert, wohingegen bei der Einbeziehung von sozialen Kriterien noch einige Unsicherheiten bestehen. Dank rechtswissenschaftlicher Gutachten und nationaler und europäischer Rechtsprechung konnten jedoch viele grundsätzliche Fragen mittlerweile geklärt werden. Im Jahr 2016 wurde das GWB, die VGV, die VOB komplett erneuert. 2019 wird die UVgO ebenso die Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Kriterien bei der Auftragsvergabe regeln. Es ist festzuhalten, dass die derzeit geltenden Rechtsvorschriften es explizit ermöglichen, soziale Kriterien in Ausschreibungsunterlagen zu integrieren.

In gefestigter Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof vier Voraussetzungen für vergaberechtskonforme nachhaltige Beschaffungen, die insbesondere soziale und nachhaltige Umweltaspekte berücksichtigen aufgestellt:

  • Die jeweils vorgegebenen Kriterien müssen mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen (Auftragsbezug).
  • Die Zuschlagskriterien müssen klar, objektiv und nachprüfbar sein.
  • Der Auftraggeber muss die jeweiligen Kriterien vorab in der Bekanntmachung sowie in der Leistungsbeschreibung nennen und
  • Bei Beachtung der Kriterien müssen alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts (Verbot der Diskriminierung etc.) gewahrt bleiben. 

Unterstützung und Beratung in diesen Fragen geben neben der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung des Bundesministeriums des Innern auch viele weitere öffentliche Stellen.

Entwicklungspolitik hat viel mit Bildung und globalem Lernen zu tun

Oft liegt es nicht am fehlenden Willen, sondern an der fehlenden Information, wie die Menschen vor Ort in unserer sich rasch verändernden Welt etwas bewirken können um einen Beitrag zu globaler Nachhaltigkeit zu leisten. Insbesondere als Schulträger und Träger der Kindertagesstätten haben die Kommunen die Möglichkeit, aktiv zu werden, sei es durch die Gründung von kommunalen Partnerschaften oder Schulpartnerschaften, sei es durch die Verwendung nachhaltiger Produkte im Alltag. Darüber hinaus geben Kooperationen mit Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen die Möglichkeit des gemeinsamen Lernens in puncto Nachhaltigkeit. Im Zusammenwirken verschiedener kommunaler Institutionen wie der Umweltämter, der Institutionen der Erwachsenenbildung und der Schulverwaltungsämter können Themen des globalen Lernens aufgegriffen werden.

Stichwort: Agenda 2030 

Unter den SDGs (Sustainable Development Goals) werden die Nachhaltigkeitsziele der UN verstanden, zu denen sich alle Staaten verpflichtet haben. Das sind 17 globale Ziele, die bis 2030 erreicht werden sollen. Die SDGs sind die ersten globalen Ziele, die explizit auch Städte und generell menschliche Siedlungen mit einbeziehen. Ziel 11 sagt, dass unsere Städte und Gemeinden bis 2030 inklusiver, nachhaltiger und klimafreundlicher werden sollen. Aber auch andere Ziele können von Kommunen angegangen werden. Ob Leben an Land oder im Wasser, Abfallvermeidung, globale Partnerschaften oder klimafreundliche Energie, die Kommunen können hier viel bewegen.

Unter www.sdg-portal.dekann eine Kommune auf einfachem Wege erfahren, bei welchen SDGs sie schon vorbildlich arbeitet und bei welchen SDGs möglicherweise noch Handlungsbedarf besteht. Zu der Frage wie die globalen Nachhaltigkeitsziele auf lokaler Ebene angegangen werden können, stellt der Verband Unitied Cities and Local Governments (UCLG) eine Handlungsempfehlung bereit. Die Webseite localizingthesdgs.org bietet zudem eine Plattform zum Austausch zwischen Akteuren und eine Datenbank mit praktischen Ansätzen, wie die Nachhaltigkeitsziele auf kommunaler Ebene umgesetzt werden können. Darüber hinaus stellt der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) einen Musterantrag für Kommunen zum Download bereit, mit dem Städte und Gemeinden ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an der Umsetzung der SDGs erklären können. 

Der Blick nach Rheinland-Pfalz: die entwicklungspolitischen Leitlinien 

Die 2010 erstmals verabschiedeten entwicklungspolitischen Leitlinien des Landes Rheinland-Pfalz wurden Ende 2015 unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und unter Berücksichtigung der von den Vereinten Nationen verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele aktualisiert. Sie bilden den Rahmen für das künftige entwicklungspolitische Handeln der Landesregierung.

Angesichts des in der Entwicklungspolitik vollzogenen Wandels sind für die kommenden Jahre folgende sechs Leitlinien definiert worden: Zusammenarbeit in internationalen Partnerschaften, Bildung als Schlüssel – Rheinland-Pfalz fördert „Globales Lernen“, Rheinland-Pfalz schützt Umwelt und Klima, nachhaltig leben und wirtschaften, Migration und Entwicklung und Frieden und Menschenrechte auf nationaler und europäischer Ebene.

Die Landesregierung unterstützt das entwicklungspolitische Engagement der Kommunen und privaten Träger mit einem eigenen Haushaltstitel. Gefördert werden Projekte in Entwicklungsländern und Maßnahmen der entwicklungspolitischen Informations-, Bildungs- und Vernetzungsarbeit in Rheinland-Pfalz.

So funktioniert der kommunale Verwaltungsaustausch

Seit 2018 findet in Rheinland-Pfalz das Pilotvorhaben Kommunaler Verwaltungsaustausch Rheinland-Pfalz – Ruanda“ statt. Neben dem Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz und seinem Partner, dem ruandischen Verband RALGA, nehmen die Städte Mayen, Bad Kreuznach und Landau sowie die Verbandsgemeinden Birkenfeld und Hachenburg, der Landkreis Germersheim, die Hochschule für öffentliche Verwaltung und die Kommunal-Akademie mit ruandischen Partnern teil. Als Pilotvorhaben im Rahmen des „Marshallplans mit Afrika – Neue Partnerschaften für Entwicklung, Frieden und Zukunft“  zwischen der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global und dem Ministerium des Innern und für Sport in Mainz werden im Rahmen der langjährigen Länderpartnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda ein fachlicher Austausch zwischen Kommunen und Institutionen initiiert sowie wirkungsorientierte gemeinsame Projektideen im Rahmen der Agenda 2030 entwickelt. Erste Projekte sind der Aufbau eines digitalen Informationsportals am Beispiel der Website und dem kosdirekt-System des GStB, einschließlich Informations- und Datensicherheit sowie elektronischer Archivierung sowie die Entwicklung einer Schulungsreihe am Beispiel der in Rheinland-Pfalz durchgeführten Seminare „Neu in der öffentlichen Verwaltung“ oder „Verwaltung für Seiteneinsteiger“, um den hohen Bedarf an qualifiziertem Verwaltungspersonal in Ruanda befriedigen zu können.