Studenten aus mehreren Nationen
Integrationskonzepte sollen nicht nur Angebote für Zugewanderte enthalten, sondern auch für die ansässige Bevölkerung.
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Untersuchung

Integrationskonzept - nicht nur für Zuwanderer

Experten plädieren dafür, dass sich lokale Integrationskonzepte nicht mehr nur an Zugewanderte, sondern an alle Menschen am Ort richten. Dies ist aber bislang laut einer jetzt veröffentlichten Untersuchung nur in einem Teil der Landkreise in Deutschland der Fall. Dabei dürften viele Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, von Unterstützungsangeboten profitieren. Das Ergebnis hier zusammengefasst - und das PDF der spannenden Publikation.

Eine Integrationspolitik, die auf Teilhabe für alle abzielt, kann die Trennung zwischen Eingewanderten, ihren Nachkommen und den Alteingesessenen überwinden. Dies ist die Kernaussage der Experten des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung in einer neuen Publikation. Sie überprüften, wo Landkreise und kreisfreie Städte das Motto "Alle sollen teilhaben" in ihren Integrationskonzepten festgehalten haben und was sie sich darin vornehmen. Zwei der Fragen waren dabei: Entstehen teilhabeorientierte Integrationskonzepte eher, wenn Kommunen mit zunehmender Abwanderung und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben? Oder nutzen auch prosperierende Regionen  dieses Instrument?

Integrationskonzepte untersucht

Die aktuelle Veröffentlichung ist Teil eines größeren Forschungsprojektes, in dem das Berlin-Institut über anderthalb Jahre die Integrationsarbeit in zwölf Gemeinden aus sechs Landkreisen mit einem teilhabeorientierten Ansatz untersuchen wird. Das Projekt wird gefördert von der Stiftung Mercator. Die vorliegende Analyse beschränkt sich laut Verfasser auf Integrationskonzepte und vergleichbare Dokumente aus den 401 Landkreisen und kreisfreien Städten. Vielerorts leisten die Kreisverwaltungen die konzeptionelle Integrationsarbeit, vor allem da, wo es den zugehörigen Gemeinden an Geld oder Personal mangelt.

Zuwanderung als Chance und Herausforderung

Die Erkenntnis ist nicht neu: Gerade ländliche Regionen können davon profitieren, wenn mehr Menschen hinzuziehen und so die Dörfer wiederbeleben. Zuwanderer  tragen auch dazu bei, Schulen, Busse, kleine Geschäfte und Einkaufsgelegenheiten oder die Gemeinschaftspraxis im Ort zu erhalten sowie andernfalls leerstehende Wohnungen mit Leben zu füllen.

Doch oft - und das vor allem ist vor allem in Regionen mit geringen Teilhabechancen der Fall - haben viele Alteingesessene den Eindruck, dass die Neuankömmlinge mehr Unterstützung erhalten als sie selbst. Kommunalpolitiker kennen die Diskussionen und die vielerorts vorhandenen Vorbehalte gegen die Neulinge. Umso wichtiger ist es den Experten zufolge, allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeiten zu eröffnen, gleichberechtigt am Stadt- oder Dorfleben teilzunehmen.

Haben die Alteingesessenen den Eindruck, Zugewanderte erhalten mehr Unterstützung als sie, kann sich dies in Neid, Konkurrenzgefühlen und Ablehnung äußern."

Experten des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung

Die Forscher stellen fest: "Zum Teil schlägt dies in Hassnachrichten, Bedrohungen oder sogar Gewalt gegen kommunale Mandatsträger und Mandatsträgerinnen um. Bürgermeister und andere Lokalpolitiker berichten davon sowohl aus prosperierenden Städten wie Düsseldorf als auch aus ländlichen Regionen wie dem sächsischen Landkreis Bautzen." Viele Landkreise und Gemeinden versuchten daher bereits, mit vielfältigen Konzepten und Maßnahmen nicht nur die Zugewanderten zu integrieren, sondern die Teilhabechancen aller zu verbessern.

Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung:

  • Die Auswertung zeigt, dass über die Hälfte der Landkreise und kreisfreien Städte ihre Integrationsbemühungen systematisiert haben.Besonders systematisch sind etwa die Mitarbeitenden der Region Hannover, einem Landkreisähnlichen Kommunalverband, vorgegangen: Fast 200 Teilnehmer kamen 2014 zusammen, als die Verantwortlichen zur Auftaktveranstaltung für ein Integrationskonzept luden. Rund 19 Monate dauerte der Beteiligungsprozess.
  • Zahlreiche Kreise und Gemeinden haben ihre aktuellen Konzepte bereits vor 2010 verabschiedet. Die meisten der vorliegenden Dokumente sind aber seit 2015 entstanden – vielerorts vermutlich auch als Reaktion auf die erhöhte Zuwanderung damals.
  • In den urbanen Regionen liegen solche Konzepte deutlich häufiger vor. Hier leben besonders viele Menschen mit einer internationalen Biografie.
  • 221 der 401 Kreise und Städte haben ein Integrationskonzept oder inhaltlich gleichwertiges Papier erstellt.
  • Davon stellen 149 Kreise und kreisfreien Städte klar, dass es ihnen bei Integration im Kern um die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen geht. Sie legen ihrer Arbeit ein teilhabeorientiertes Integrationsverständnis zugrunde.
  • Auch viele eher abgelegene Landkreise und kreisfreie Städte haben in den vergangenen Jahren Integrationskonzepte erstellt – mehr als drei Viertel davon in ihrer aktuellen Form seit 2016. Vor allem ostdeutsche Flächenländer: In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben mehr als zwei Drittel der Kreise und kreisfreien Städte ein Konzept erarbeitet.
  • In den südlichen Ländern Bayern und Baden-Württemberg sowie in Rheinland-Pfalz und dem Saarland hat dagegen ein deutlich geringerer Anteil der Kreise seine integrationspolitischen Ziele in einem Konzept festgehalten. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel verfügen alle Kreise und Städte über ein Integrationskonzept. Dagegen hat in Hessen nur ein deutlich geringerer Anteil der Landkreise und kreisfreien Städte ein Integrationskonzept. Das Land will dies  ändern und fördert inzwischen über das  Programm „WIR – Vielfalt und Teilhabe“. Denn: Die Konzepte sind in der Vergangenheit vor allem dort entstanden, wo etwa die Länder Fördergelder bereitgestellt und Anreize geschaffen haben. Häufig springen die Landkreise für ihre zugehörigen Kommunen ein, um ein Integrationskonzept zu erstellen. Sie verfügen eher über das nötige Geld und Personal, um Konzepte anzuregen und Beteiligungsverfahren zu organisieren.
  • Viele Konzepte richten sich  vor allem an die Bevölkerung mit internationaler Biografie. Zudem geben viele Konzepte zwar das Ziel aus, die Teilhabe aller Bewohner fördern zu wollen, aber die vorgeschlagenen Maßnahmen spiegeln dies nicht wider. Die Auswertung zeigt, dass nur zwischen 31 und 38 Prozent der teilhabeorientierten Konzepte konkrete Maßnahmen vorschlagen, mit denen sie die politische Teilhabe fördern oder die Antidiskriminierungsarbeit vor Ort stärken wollen. Sie rufen etwa Parteien dazu auf, die gesellschaftliche Vielfalt auch in ihren eigenen Reihen abzubilden oder verstetigen die Antirassismusarbeit an Schulen.

Das steht in den Integrationskonzepten

Kreise und Städte wollen Menschen zu einer ihrer Qualifikation entsprechenden Beschäftigung verhelfen oder allen Kindern gleiche Chancen auf einen guten Abschluss bieten können. Außerdem wollen sie politisches oder ehrenamtliches Engagement fördern, Kultur sowie Freizeit und Sport ermöglichen. In der Regel stehen Sprachförderung, Beratung und interkulturelle Öffnung ganz oben.

Sprachkurse, interkulturelles Frauenhaus, niedrige Ticketpreise

Einige Kreise und Gemeinden werben Fachkräfte direkt aus dem Ausland an, wie das bayerische Wunsiedel oder das brandenburgische Frankfurt (Oder). Viele Landkreise und kreisfreie Städte nehmen sich einen umfassenden Maßnahmenkatalog vor, um ihre Integrationskonzepte umzusetzen. Sie wollen etwa gezielte Sprachkurse für Ältere anbieten, ein Frauenhaus interkulturell öffnen oder den Zugang zu Informationen vereinfachen. Landkreise und kreisfreie Städte, die laut Cluster-Analyse mittlere oder geringe Teilhabechance bieten, schlagen rassismuskritische Fortbildungen vor oder wollen die politische Selbstorganisation von Menschen mit Migrationshintergrund stärken.

Weitere Beispiele, die genannt werden: Verwaltungsmitarbeitende erhalten Schulungen zur interkulturellen Kompetenz, es entstehen Nachbarschaftszentren für alle: Mancherorts setzt sich die Gemeinde für niedrigere Ticket-Preise im öffentlichen Nahverkehr ein. Damit reagiere die Politik auf die ungleichen Teilhabechancen von Eingewanderten, ihren Nachkommen und alteingesessenen Bewohner zugleich.

Aus Sicht der Landkreise und Gemeinden setzt ein Integrations-Konzept nach deren Aussage ein wichtiges Zeichen. "Es signalisiert Einwohnern und der Verwaltung, dass die Politik das Thema ernstnimmt und voranbringen möchte", betonen die Experten.

Im Jahr 2020 sind rund 220 000 Personen mehr nach Deutschland zugezogen als fortgezogen. Mehr Informationen.

Die Untersuchungsergebnisse und das ganze Papier finden Sie hier als PDF