Bevölkerungsschutz
Föderalismus in Zeiten von Krisen und Katastrophen
Wir sind zwar nicht im Krieg, wir sind aber auch schon lange nicht mehr im Frieden.“
Generalleutnant André Bodemann, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr
Sind Bund, Länder und Kommunen auf die nächste Krise wie Krieg, Terror, (Natur-)Katastrophen und Cyberangriffe vorbereitet? Die Antwort ist kurz und eindeutig: „Nein“. Auf hybride Bedrohungslagen und Kriegsführung sind Bund, Länder und Kommunen aktuell nicht vorbereitet. Das Szenario ist ein Stresstext für die staatliche Sicherheit: Viele Angriffe erfolgen auf vielen Ebenen und verschiedenen Orten gleichzeitig. Das Sprengen von Gas-Pipelines, die Zerstörung zentraler Datenleitungen der Bahn, das Lahmlegen von Krankenhäusern und Landratsämtern, ist längst keine Ausnahme mehr, sondern fast alltäglich.
Krisen und Katastrophen: Ernstfall gehört nicht mehr nur dem Bund
Desinformationskampagnen, Cyberattacken, Terroranschläge. Während der Bundesverteidigungsminister von der Bundeswehr einen „Operationsplan Deutschland“ (OPLAN) erarbeiten lässt, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor wenigen Wochen angekündigt, das deutsche Gesundheitswesen auf künftige militärische Konflikte vorzubereiten und dabei eng mit dem Verteidigungs- und Innenministerium zusammenzuarbeiten. Das gemeinsame Ziel: Sicherheitsbehörden, Katastrophenschutz und Krankenhäuser sollen vernetzt werden. Bundeswehr und Zivilschutz müssen in Zukunft stärker kooperieren. Die Trennung zwischen Landesverteidigung, Katastrophenschutz und Zivilschutz ist überholt. Der Ernstfall gehört nicht mehr nur dem Bund.
An Analysen, Mahnungen und Empfehlungen mangelt es nicht. So stellte der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in seiner Stellungnahme „Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise“ bereits vor drei Jahren fest: «Deutschland leistet sich in der öffentlichen Verwaltung Strukturen, Prozesse und Denkweisen, die teilweise archaisch anmuten.« Und der Sachverständigenrat Gesundheit bescheinigte in seinem Gutachten „Resilienz im Gesundheitswesen“ vor zwei Jahren dem Gesundheitswesen ein „Schönwettersystem“, das an einem „Daten- und Umsetzungsdefizit“ kranke. In Zeiten hybrider Bedrohungen braucht es eine Zeitenwende für die IT-Sicherheit.
Die öffentliche Verwaltung in Deutschland
mutet teilweise archaisch an.“
Bevölkerungsschutz als Gemeinschaftsaufgabe
Bei Katastrophen von nationaler Tragweite hat der Bund bislang keine Zuständigkeit. Der Katastrophenschutz liegt bei den Landkreisen, kreisfreien Städten und den Bundesländern. Die Bürgermeister spielen beim Katastrophenschutz kaum eine Rolle. Bei bundesweiten Notlagen braucht Deutschland künftig einen neuen zivilen Krisenmechanismus. Ein Krisenstab mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen wäre im Katastrophenfall befugt, einheitliche und verbindliche Regeln zu erlassen. Mikromanagement und -steuerung der Notstandsentscheidungen obliegen dann Ländern und Kommunen. Das zentralistische Modell wird mit dem dezentralen verbunden, der Grad an Verbindlichkeit der Rahmenbedingungen und Regeln erhöht und die Entscheidungshoheit liegt vor Ort bei den Ländern und Kommunen. Der Bevölkerungsschutz wird zur Gemeinschaftsaufgabe nach Artikel 91a GG.
Neuer Operationsplan für Bündnis- und Landesverteidigung
Der neue Operationsplan bedeutet eine Neukonzeption der Bündnis- und Landesverteidigung. Aus Sicht der Kommunen geht es dabei vor allem um den Schutz kritischer Infrastrukturen und die Verlegung tausender Soldaten der NATO nach Deutschland. Im Ernstfall müsste Deutschland aufgrund seiner geostrategischen Lage als „Host Nation“ den Transit alliierter Truppen unterstützen. Zivilverteidigung und Katastrophenschutz verfügen mit dem Technischen Hilfswerk und den Freiwilligen Feuerwehren hierzulande über bewährte Strukturen.
Das neue überragende Staatsziel lautet Resilienz. „Resilienz“ bedeutet neben der Stärkung der Widerstandsfähigkeit öffentlicher Strukturen auch die Fähigkeit zu Selbstschutz und Selbsthilfe der Bevölkerung. Die föderale Struktur der Bundesrepublik bietet in ihrer Praxis zwar etliche Angriffsflächen, trägt aber auch aufgrund ihrer dezentralen Strukturen zur Widerstandsfähigkeit bei. Ziel muss sein, die Stärke dieser Strukturen besser zu nutzen.
Das Grundgesetz sieht vor, dass sich Länder und Kommunen um den Katastrophenschutz in Friedenszeiten kümmern, während der Bund Vorkehrungen im Fall eines Krieges trifft. Hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe und Desinformationskampagnen verwischen jedoch die Grenzen zwischen Frieden und Krieg. Innere und äußere Sicherheit lassen sich immer weniger trennen. Im Fall eines Ernstfalls von nationaler Tragweite obliegt dem Bund in Zukunft die Abwehr, die Länder bilden das Mittelfeld und die Kommunen übernehmen die Führung im Sturm. Zur Abwehr gehört eine einheitliche IT-Infrastruktur und der Schutz kritischer Infrastrukturen. Im Mittelfeld geht es um das gemeinsame Katastrophenmanagement der Länder und die Einbindung von THW, Bundeswehr und Landes- und Bundespolizei. Um Kommunen besser vor Cyberangriffen zu schützen, sollte die öffentliche Verwaltung als kritische Infrastruktur eingesetzt werden.
Wehrpflicht wieder einführen, Freiwilligendienste ausbauen
Eine resiliente Gesellschaft wird ohne die Eigenverantwortung und das Miteinander der Bürgerinnen und Bürger nicht funktionieren. Sie braucht die Akzeptanz und die Zuversicht aller Akteure, eine positive Zukunfts- und Zielorientierung. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht, eine allgemeine Dienstpflicht oder der Ausbau von Freiwilligendiensten: Es braucht mehr Engagement und Bereitschaft der Bürgergesellschaft, an der Schnittstelle Landesverteidigung und Katastrophenschutz mitzuwirken. Stresstests bedeuten für Bund, Länder und Kommunen: kooperatives Üben, Üben, Üben. Eine resiliente Krisenpolitik ist flexibel, adaptiv und schnell und braucht einen vorausschauenden, vorbereiteten und risikobereiten Staat.
Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik. Sein aktuelles Buch: „Eine bessere Zukunft ist möglich: Ideen für die Welt von morgen“ (Kösel).