Hasskommentare sind schlimm genug - Urteile, wie das aus Berlin jedoch zerstören zusätzlich das Vertrauen in Demokratie, Staat und Justiz - ein Kommentar von Christian Erhardt
Hasskommentare sind schlimm genug - Urteile, wie das aus Berlin jedoch zerstören zusätzlich das Vertrauen in Demokratie, Staat und Justiz - ein Kommentar von Christian Erhardt

Gericht sendet fatales Signal

Hasskommentare: Wer sich engagiert, ist lebensmüde

Das Urteil gegen Renate Künast hatte im September auch unter Kommunalpolitikern viele Reaktionen und Kritik ausgelöst. Doch nun hat das Gericht den Beschluss revidiert. Leider nur in Teilen. Und das macht es sogar noch problematischer, meint Christian Erhardt.

Später Teilsieg für Renate Künast. Das Landgericht Berlin hat seine Einschätzung, die Hasskommentare in einem Facebook-Post gegen Renate Künast seien freie Meinungsäusserung, in Teilen revidiert. Immerhin sechs der 22 Äusserungen hat das Gericht nun doch nach eigener Aussage als strafbar eingestuft. Doch das Signal, das das Gericht mit dieser halbherzigen Kehrtwende aussendet, ist fatal. Es signalisiert: Du musst lebensmüde sein, wenn du dich in dieser Gesellschaft engagierst! Denn es zeigt nichts anderes, als dass der Jusitz die Kontrolle im Internet längst entglitten ist, genau wie den Betreibern der sozialen Netzwerke. Die zweite Instanz, in die Renate Künast nun gehen will, wird den Scherbenhaufen aufsammeln und zerbrochenes Vertrauen wieder herstellen müssen. 

 

Hintergrund: In Kommentaren  unter einem Beitrag auf einer rechten Facebook.-Seite, mit dem ein Foto von Renate Künast veröffentlicht worden war, standen beleidigende Äusserungen wie "Pädophilen-Trulla", "Stück Schei..." oder "knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird". In dem eigentlich Post des rechten Bloggers wurde Künast falsch zitiert mit den Worten "Wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok". Den ersten Teil des Zitats hatte die Politikerin vor über 30 Jahren in einem anderen Zusammenhang gesagt ("Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist".) ohne aber den Teil über "Sex mit Kindern". KOMMUNAL hat über den Fall und einen Sieg vor Gericht im Zusammenhang mit dem Blogger an anderer Stelle ausführlich berichtet.

Das Urteil und die Hintergründe

Kommentar: Aussagen des Gerichts machen die Sache nur noch schlimmer 

 

Künast legte gegen das Urteil in Sachen Hasskommentare im Herbst Beschwerde ein. Nun schaute sich das Landgericht die Sache erneut an. Dabei ist es zwar gut, dass wenigstens einige Begriffe nun auch vom Gericht als strafrelevant angesehen werden. Die Begründung der Richter wirft aber aus meiner Sicht ein noch schlechterers Licht auf die Arbeit der Juristen und ist ein fatales Signal in Richtung aller Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen.

Denn allen Ernstes begründen die Richter die Kehrtwende nun unter anderem damit, es sei für das Gericht neu gewesen, dass der Betreiber der Facebook-Seite vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Zudem sei dem Gericht inzwischen ein anderes Verfahren bekannt geworden, dass der Mann öffentlich Hetze gegen Personen betreibe, unter anderem mit einem Blog. Ich möchte den Richtern zurufen: Wie macht ihr eigentlich eure Arbeit? Das war auch damals schon in allen Medien (u.a. bei uns) zu lesen. Das gleichzeitige Verfahren vor einem anderen Gericht in der Sache hätte der Jusitz doch bekannt sein müssen, die Informationen des Verfassungsschutzes wurden offenbar auch nicht abgefragt? Wie arbeiten diese Richter eigentlich? Herrscht hier auch schon Fachkräftemangel?

Justiz und Sozialen Netzwerken ist längst jegliche Kontrolle im Netz entglitten

Christian Erhardt

Hasskommentare sind nur die Spitze des Eisbergs 

Es ist gut und es ist wichtig, dass Renate Künast nun auch gegen diese Entscheidung in der zweiten Instanz vor dem Berliner Kammergericht angreifen will. Denn es geht nicht nur um die konkreten Beschimpfungen. Es geht um den Umgang einer Gesellschaft und der Justiz insgesamt mit solchen Fällen. Längst sind die angeblich sozialen Medien zum Durchlauferhitzer geworden. Es wird Zeit, dass gerade die Justiz hier endlich einen Riegel vorschiebt. Denn es verändert sich das Sagbare, wenn im Netz Wildwest-Manier herrschen darf. Aus Worten werden Taten. Der Justiz ist hier ebenso wie den Betreibern der Netzwerke selbst, längst jegliche Kontrolle entglitten. Eine Situation, die in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar ist. 

Aber die Kehrtwende wirft auch auf Entscheidungen der Justiz insgesamt ein düsteres Bild. Ist die veränderte Wahrnehmung möglicherweise aufgrund des öffentlichen Drucks entstanden? Weil hier mal nicht ein "unbekannter, ehrenamtlicher Kommunalpolitiker", sondern eine "prominente Bundespolitikerin" betroffen war? Allein der Raum für Spekulationen, der sich hier eröffnet, ist ein fatales Signal. Denn es drängt sich ja noch eine Überlegung auf, mit der das Ansehen der Justiz und das Vertrauen von Menschen in den Rechtsstaat insgesamt angekratzt wird. Wollten einige Richter hier einer unbequemen Politikerin, die man wahrlich inhaltlich nicht immer unterstützen mag, mal zeigen, wo der "Volksempfinden-Hammer" hängt? 

Eins ist leider klar: Auf solche Richter können die Haupt- und Ehrenamtlichen Kommunalpolitiker leider nicht zählen. Sie haben signalisiert: Du musst lebensmüde sein, wenn du dich in dieser Gesellschaft engagierst! 

Dieses Gefühl kann nur durch einen erneuten Prozess, in dem die Richter endlich alle Fakten und Hintergründe - von der Beobachtung durch den Verfassungsschutz bis zu den bisherigen Taten des Bloggers - auf den Tisch bringen. Hoffen wir auf die zweite Instanz. Möge sie die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder stärken.