Wärmewende
Der Bund heizt den Kommunen ein - sie sollen die Wärmewende vorantreiben.
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Heizungsgesetz

Kommunen als Retter der Wärmewende

Weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien – die Deutschen müssen künftig umweltschonender heizen. Dafür sollen vor allem die Städte, Gemeinden und Landkreise sorgen, nach den Vorgaben der Bundesregierung im Heizungsgesetz möglichst schnell. Diese Kommunen machen es schon vor!

Jürgen Weber lebt auf dem Bauernhof.  Die Wärme im Haus liefert ihm und seiner Familie eine Wärmepumpe, den Strom eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Thermische Sonnenkollektoren versorgen einen 5000-Liter-Pufferspeicher, die wassergeführten Kaminöfen unterstützen die Heizungsanlage bei der Wärme- und Warmwassererzeugung. Der Hofbesitzer hat das Haus von innen isoliert und eine Dreifachverglasung eingebaut. „Es klappt, auch in einem über 100 Jahre alten Gebäude auf fossile Brennstoffe zu verzichten“, sagt er. Dafür hat Weber viel investiert, aber auch Fördermittel verbaut. Doch wie soll das, was im Kleinen gelingt – auch im Großen umgesetzt werden?

Wärmewende: Heizungstausch steht an

Die Ampelkoalition im Bund will, dass in Deutschland künftig alle Gebäude ihre Wärme klimaneutral erzeugen oder eine auf diesem Weg gewonnene Wärme aus einem Wärmenetz beziehen. Ursprünglich sollte schon 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden. Ein Szenario, das wohl schon allein wegen fehlender Handwerker und Geräten nicht umzusetzen ist. Für neue Heizungen in bestehenden Gebäuden ist eine Übergangfrist vorgesehen. Ziel aber bleibt: Deutschland soll 2045 klimaneutral sein, spätestens dann soll es keine fossil betriebenen Heizungsanlagen mehr geben. In der Zeit können Hauseigentümer beim Heizungstausch abwägen, ob sie auf eine Wärmepumpe umsteigen oder ihr Haus an ein Fernwärmenetz anschließen lassen. 

Ein gewaltiger Kraftakt steht den Kommunen bevor. Denn mehr als 80 Prozent der Wärme in Deutschland wird immer noch durch fossile Energieträger gedeckt. Von den rund 41 Millionen Haushalten in Deutschland heizt nahezu jeder Zweite mit Erdgas, knapp 25 Prozent mit Heizöl, gut 14 Prozent der Haushalte werden mit Fernwärme versorgt.  Das Heizungsgesetz, um das schon seit Monaten gestritten wird, setzt nicht nur Immobilieneigentümer unter Druck, es bringt vor allem die Kommunen in massiven Handlungszwang. Denn für den Bund scheint klar: Sie sollen nun die Wärmewende wuppen. Damit die Hauseigentümer sich darauf einstellen können, ob ihr Haus an ein Fernwärmenetz angeschlossen wird, verpflichtet die Bundesregierung alle Kommunen, in den nächsten Jahren Wärmepläne zu erstellen. In einigen Bundesländern gibt es diese Pflicht schon – etwa in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein.

Jürgen Weber

Bund und Länder müssen vorangehen. Ich kann immer nur etwas verlangen, wenn ich selbst dazu bereit bin.“

Jürgen Weber, früherer Bürgermeister von Steyerberg

Auch die Gemeinde, in der Bauernhof-Besitzer Jürgen Weber lebt, hat bereits einen solchen Wärmeplan. Weber war von 2013 bis 2021 Bürgermeister in Steyerberg. Ein Ort mit acht Ortsteilen im südlichen Niedersachsen - 5200-Einwohner, viel Natur und Landwirtschaft. Wie im Kleinen, so im Großen:  Nicht nur bei sich zuhause, sondern auch in der gesamten Gemeinde sollte der Klimaschutz eine große Rolle spielen. „Wir wollten uns früh als nachhaltige und klimagerechte Kommune aufstellen“, erzählt er, „und wollten das ganzheitlich angehen“, berichtet der frühere Bürgermeister KOMMUNAL. 

Steyerberg hat bereits ein Klimabüro

So wurde Steyerberg eine „100-Prozent-erneuerbare-Energie-Kommune“ und 2016 als kleinste deutsche Gemeinde in den Kreis der 41 „Masterplankommunen 100% Klimaschutz“ aufgenommen. Drei Windparks gibt es inzwischen in der Gemeinde, eine Wasserkraftanlage, Bioenergie und viel Photovoltaik – damit versorgen sich die Haushalte bereits jetzt bilanziell mit mehr als 100 Prozent aus erneuerbaren Energien. Ein Klimabüro berät die Bürger. Der Bedarf nach Beratung wird in den nächsten Jahren bundesweit steigen. Nach den geplanten Vorgaben des Bundes muss sich künftig jeder Immobilienbesitzer vor der Umrüstung und dem Einbau einer Heizung bei einem qualifizierten Berater informieren.

Größtes Fernwärmenetz im ländlichen Raum

Mit knapp 29 Kilometern Rohrlänge hat das kleine Steyerberg inzwischen das größte Fernwärmenetz im ländlichen Raum in Norddeutschland. Wie ging die Kommune bei der Wärmewende vor?  „Ich würde jeder Kommune dazu raten, so wie wir eine Genossenschaft zu gründen, das hat den Vorteil, dass jedes Mitglied gleiches Stimmrecht hat, also auch ein Einfamilienhausbesitzer gegenüber einem großen Unternehmen“, sagt Weber.  Eine Genossenschaft als ein Non-Profit-Unternehmen ist nicht auf Gewinne aus. Mitglied kann in der „BürgerEnergie Steyerberg- Fernwärme eG“ nur werden, wer ausschließlich die ökologisch gewonnene Wärme bezieht.  Der Genossenschaft haben sich knapp 360 Mitglieder mit 420 Gebäuden angeschlossen. 360 Hausanschlüsse sind fertiggestellt und 135 werden inzwischen mit Fernwärme versorgt.

Doch woher kommt die Fernwärme? Die angeschlossenen Haushalte, Schule und Kita sowie die Gemeindeverwaltung bezogen die Wärme fast ausschließlich aus der Abwärme eines Blockheizkraftwerkes einer Biogasanlage und aus der Abwärme eines Chemieunternehmens am Ort. Auch andere Kommunen wie Neuburg an der Donau lassen die von ortsansässigen Unternehmen erzeugte Wärme nicht mehr ungenutzt.

Pyrolyseanlage und Geothermie als Optionen

Das Modell hat allerdings einen Haken - die Abhängigkeit von einem Unternehmen. Durch die Energiekrise musste der Steyerberger Chemiebetrieb die Produktion einstellen. Wann es weitergeht, ist noch offen. Derzeit ist man auf der Suche nach einer zweiten Wärmequelle neben der Biogasanlage. „Wir prüfen den Einsatz einer Pyrolyseanlage", sagt Weber. Dabei handelt es sich um verschiedene thermo-chemische Umwandlungsprozesse, in denen organische Verbindungen bei hohen Temperaturen und weitgehend unter Ausschluss von Sauerstoff gespalten werden“, erläutert Weber. „Beim Prozess wird CO2 gebunden und es entsteht Biokohle, die unter anderem in der Landwirtschaft genutzt werden kann."

Eine weitere Option für Steyerberg ist die Tiefengeothermie. Hierbei wird die Wärme der Erde aus einer Tiefe von 3.000 Metern genutzt. In diesen Tiefen findet man Temperaturen von 90 bis 120 Grad vor. In Bayern schlossen sich  gleich drei Gemeinden -  Aschheim, Feldkirchen und Kirchheim  - zum ersten interkommunalen Geothermieprojekt in Deutschland zusammen. Nachdem Bohrungen ergeben hatten, dass die geologischen Voraussetzungen für Geothermie als Wärmeträger ausreichen, erhielten die Kommunen Erdwärme aus Geothermieanlagen. Heute werden 1100 Haushalte und Gewerbebetriebe sowie kommunale Gebäude über das Fernwärmenetz versorgt. Rund 80 Kilometer Fernwärmetrassen sind dafür verlegt worden.

Rohrleitungen

Was sich aus Sicht des ehemaligen Bürgermeisters in Steyerberg auf jeden Fall bewährt hat: Für den gleichnamigen Ortsteil mit rund 1000 Haushalten wurde flankierend ein energetisches Quartierskonzept und ein städtebauliches Sanierungsgebiet erstellt. „Wir wollten weitere Anreize schaffe, um nicht nur den Anschluss an das Fernwärmenetz zu tätigen, sondern auch energetische Maßnahmen wie Dachdämmung, Fenstertausch sowie Barrierefreiheit des Hauses zu ermöglichen“, so Weber. „Über eine Sanierungsvereinbarung mit der Kommune können Eigenheimbesitzer anschließend 90 Prozent der Kosten beim Finanzamt steuerlich geltend machen. Dazu kommen die KfW-Fördermittel und weitere Fördermittel über die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG). Ein zusätzlicher Effekt: „Wir haben allein 675.000 Euro an Aufträge an Schreinereien, Dachdecker, Heizungsinstallateure oder auch Sanitärbetriebe ausgelöst.“ Investiert wurden in Steyerbergs Fernwärmenetz bislang rund 13 Millionen Euro, 5,58 Millionen davon waren laut Weber Fördergeld.

Kommunale Wärmeplanung forcieren

Wie schwierig es dennoch ist, die Bürger von der Energiewende zu überzeugen, hat  Weber selbst erfahren. Er wurde zuletzt nicht wiedergewählt. Sein Nachfolger als Bürgermeister, Marcus Meyer, setzt dennoch weiterhin auf den bisherigen Weg der Masterkommune beim Klimaschutz.

Bürgermeister Steyerberg

Wir können Kommunen nur ermutigen, sich an der kommunalen Wärmeplanung intensiv zu beteiligen und Wärmenetzprojekt zu forcieren.“

Bürgermeister Marcus Meyer

Der Bund übergibt die Verantwortung für die Wärmewende vor allem an die Kommunen. Doch Bund und Länder müssen vorangehen, fordert der langjährige Kommunalpolitiker Weber. „Ich kann immer nur etwas verlangen, wenn ich selbst dazu bereit bin.“  Er fügt hinzu: „Bund, Länder und Kommunen müssen mit ihren Gebäuden Vorbild sein! Was nützt es, dem Kind zu sagen: Du musst beim Fahrradfahren einen Helm tragen, wenn ich selbst keinen trage?“

Dänemark als Vorbild für die Wärmewende

Was in dem Ausmaß in Deutschland unmöglich erscheint, klappt in Dänemark bereits. Seit 2013 sind dort Öl- und Gasheizungen im Neubau verboten. Seit 2016 dürfen keine alten fossilen Heizkessel mehr gegen neue fossile Heizungen ersetzt werden. Rund 65 Prozent aller Haushalte werden mit Fernwärme versorgt, in Deutschland sind es nur rund 16 Prozent. In Kopenhagen sind sogar fast alle Haushalte angeschlossen.  Dänemark gilt weltweit als Vorreiter, Solarwärme in Fernwärmenetze zu integrieren.  Die Weichen wurden dafür als Reaktion auf die Öl-Krise bereits in den 1970-er Jahren gestellt.

Flensburg und Kiel gehen voran

Deutschlands Kommunen stehen nicht am Anfang: Flensburg gilt als Fernwärme-Hauptstadt". Dort werden bereits 98 Prozent der Haushalte mit Fernwärme versorgt, allerdings wird das Netz noch mit Kohle und Gas betrieben. Die Stadt will künftig auf Großwärmepumpen setzen. Dafür soll Wasser aus der Flensburger Förde entnommen werden. Der zusätzlich benötigte Strom soll aus erneuerbaren Energien kommen. Auch Kiel ist schon weit und will das Wärmenetz noch erweitern. In dem kleinen Ort Nechlin in der brandenburgischen Uckermark wird das Wärmenetz zum großen Teil über die Windkraft beheizt. Wasser wird dafür in einem gedämmten Speicher erwärmt, der bis zu einer Million Liter fassen kann. Aus dem Speicher kommt dann die Wärme über die Rohrleitungen in die Haushalte.

Interkommunale Zusammenarbeit

Im Chiemgau wollen nun 31 Kommunen ihre Wärme- und Stromversorgung gemeinsam organisieren. Das Regionalwerk Chiemgau-Rupertiwinkel soll die Planung bündeln und das Projekt dann umsetzen. Geplant sind eine dezentrale Wärmeversorgung und ein übergeordnetes Fernwärmenetz.