Im ländlichen Raum
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Den ländlichen Raum fördern – Alles, was Sie wissen müssen

Die gute Nachricht: Ein Großteil der Menschen in Deutschland interessiert sich nach wie vor für das Leben im ländlichen Raum. Doch: Veraltete Infrastruktur und Versorgungslücken führen zu einer stetigen Abwanderung. Das Problem ist mittlerweile auf allen Ebenen der Politik erkannt worden, doch an der aktiven Förderung fehlt es in vielen Bereichen weiterhin. Das soll der frisch beschlossene Koalitionsantrag mit dem Namen „Gutes Leben und Arbeiten auf dem Land“ ändern.
Zuletzt aktualisiert: 05.04.2019

Ländlicher Raum versus urbane Räume

In vielen Studien zu Wirtschaftskraft, Lebensqualität oder auch Demografie sind die Kategorien „ländlicher Raum“ und „urbane Räume“ heute Antagonisten. Doch wo genau liegt die Trennung zwischen beiden? Eine allgemeingültige Definition für den ländlichen Raum gibt es nicht. Eine in der Politik häufig genutzte Definition kommt vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Das BBSR unterscheidet zwischen Kernstädten, verdichteten und ländlichen Räumen. Eine Deutschlandkarte des BBSR soll Aufschluss darüber geben, welche Kreise in Deutschland als ländlich zu bezeichnen sind:

Deutschlandkarte - Urbane Räume versus ländlicher Raum

Welche Probleme stellen sich im ländlichen Raum?

Dass sich das Leben in städtischen und ländlichen Räumen unterscheidet ist in Deutschland nicht neu. Die Universitäten liegen jeher in den Städten – natürlich gibt es Ausnahmen, etwa wenn Universitäten einzelne Institute in kleinere Kommunen auslagern -, Medien siedeln sich dort an, wo Landes- und Bundespolitik gemacht werden und auch das geschieht in den Städten. Dagegen finden sich Land- und Forstwirtschaft mehrheitlich in ländlichen Räumen. Über die letzten Jahrzehnte haben die Medien immer stärker an Relevanz gewonnen, immer mehr Menschen möchten studieren. Gleichzeitig verlieren originär ländlich geprägte Betätigungsfelder an Relevanz. Kleine landwirtschaftliche Betriebe müssen schließen und große Landwirtschaftskonzerne mit schon jetzt teilautomatisierten Höfen benötigen immer weniger Personal. So ziehen gerade junge Leute immer häufiger aus den ländlichen Räumen in die Stadt, um dort zu studieren, weil sie dort bessere Jobchancen haben oder weil es ihnen an kulturellen Angeboten auf dem Land fehlt. Mit diesem demografischen Wandel des ländlichen Raums setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang, aus der sich die Kommunen selbst kaum befreien können. Die Arbeitskraft im Ort nimmt ab, medizinische Versorgung verschlechtert sich, Kinderbetreuungsangebote werden zurückgefahren, der öffentliche Nahverkehr nicht weiter ausgebaut und die Infrastruktur wird nicht modernisiert. In der Folge sinkt die Attraktivität des Ortes, noch mehr Menschen wandern ab und die Kommunen haben es schwer neue Einwohner für sich zu gewinnen.

Die Menschen, die in diesen Kommunen zurückbleiben, fühlen sich oft „abgehängt“, wie es in den Medien heißt. Gleichwertige Lebensverhältnisse zu den Städten können derart strukturschwache Kommunen aus eigener Kraft – etwa über die Stadtentwicklung – nicht mehr herstellen. Das Grundgesetz definiert diese „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ (Art. 72 GG)  allerdings als Politikziel und räumt der Bundesebene ein Gesetzgebungsrecht ein, wenn die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse eine bundesgesetzliche Regelung nötig macht. Hier sehen die kommunalen Spitzenverbände die Bundesregierung in der Pflicht die ländliche Entwicklung zu unterstützen. Mit der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, dem Aktionsbündnis „Leben auf dem Land“ oder auch dem neuen Koalitionsantrag „Gutes Leben und Arbeiten auf dem Land“ unternimmt die Bundesebene mittlerweile erste Anstrengungen für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Und auch auf EU-Ebene wird der ländliche Raum gefördert. Das LEADER-Programm fördert bereits seit 1991 modellhaft innovative Projekte im ländlichen Raum. Denn das Interesse der Bevölkerung auf dem Land zu leben ist da. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen wollen nur 16 Prozent der Deutschen in einer Großstadt leben.

Dringender Handlungsbedarf beim Breitbandausbau

Dass der Breitbandausbau in Deutschland schleppend verläuft, beweisen unterschiedliche Studien und Länderrankings. Unter anderem zeigt es der Breitbandatlas des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Gerade einmal etwas mehr als zwei Prozent der deutschen Haushalte haben eine Glasfaserleitung bis ins eigene Haus oder die eigene Wohnung. Die meisten Haushalte werden über alte Telefonkabel mit Internet versorgt. Diese erreichen derzeit häufig noch Geschwindigkeiten, die für die übliche Nutzung ausreichen. Das wird sich allerdings in naher Zukunft ändern, wenn sich Smart City- und Automatisierungslösungen weiterentwickeln. Der Glasfaserausbau oder auch ein flächendeckendes 5G-Netz ist dann zwingend nötig. Die Breitbandausbauziele der Bundesregierung wurden in der Vergangenheit stets als zu gering kritisiert, um dann verfehlt zu werden. Besonders betroffen ist davon der ländliche Raum. Denn von den 32,5 Millionen Breitbandanschlüssen, die es derzeit in Deutschland gibt, liegt die Mehrheit in den Großstädten.

Breitbandausbau im ländlichen Raum

Das schließt ländliche Räume von vielen aktuellen Entwicklungen aus, die das Leben erleichtern und Kommunen attraktiver machen können. Zu nennen wären da neben vielen weiteren Anwendungsgebieten Smart City-Lösungen, Home Office-Regelungen, digitale Bildung, vernetzte Mobilität oder auch die digitale Verwaltung. So werden Privatpersonen und Unternehmen gleichermaßen beeinträchtigt. Nicht nur beim Glasfaserausbau, auch bei der Diskussion um 5G scheint der ländliche Raum als Verlierer dazustehen. Denn kommerzielle Unternehmen haben mehr Interesse daran Großstädte zu versorgen, in denen deutlich mehr potenzielle Kunden bedient werden können. Deshalb ist hier eine Förderung des ländlichen Raums essenziell.

Dringender Handlungsbedarf bei der ärztlichen Versorgung

Immer weniger Mediziner möchten sich mit einer eigenen Praxis niederlassen. Der Beruf des Hausarztes ist derzeit enorm überaltert. Während 2018 bereits 2.800 Hausärzte fehlten, geht die Kassenärztliche Vereinigung davon aus, dass es 2030 aufgrund von Verrentungen bereits 11.000 fehlende Ärzte sein werden. Auch hier ist der ländliche Raum überproportional betroffen. Die Gründe sind die gleichen wie bei der generellen Überalterung ländlicher Kommunen: Die bessere Infrastruktur in der Stadt, der Schulplatz für die Kinder, der sogenannte "Klebe-Effekt" - wonach Studierende sich häufig während des Studiums in der Großstadt verlieben und Familien gründen, danach nicht aufs Land zurückkehren.

Dass gerade auf dem Land die Hausärzte fehlen, ist wegen einiger anderer Entwicklungen im ländlichen Raum besonders kritisch. Der demografische Wandel auf dem Land sorgt dafür, dass hier überdurchschnittlich viel medizinische Versorgung benötigt wird. Zudem sind viele alte Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt und die öffentlichen Verkehrsmittel auf dem Land sind in den meisten Orten nicht gut genug ausgebaut. Eine Lösung könnte die Telemedizin sein. Doch auch hier gibt es Probleme im ländlichen Raum durch den fehlenden Breitbandausbau. Beim Ärztemangel arbeiten also viele Entwicklungen gegen gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Es gibt allerdings auch schon einige Versuche, die Niederlassung auf dem Land attraktiver zu machen. So hat Nordrhein-Westfalen bereits eine Landarztquote eingeführt und auch in anderen Bundesländern wird die Quote diskutiert. Außerdem steht eine bessere Vergütung von Landärzten zur Debatte. Verschiedene Förderprogramme helfen Medizinern finanziell, wenn sie sich niederlassen wollen.

Dringender Handlungsbedarf beim Einzelhandel

Kleine Tante Emma-Läden, wie man sie von früher kennt, gibt es kaum noch – weder auf dem Land noch in der Stadt. Der Markt ist nahezu vollständig von den großen Supermarktketten übernommen worden. Diese haben allerdings wenig Interesse daran Filialen in kleinen Dörfern aufzumachen. Ein Supermarkt im Berliner Hauptbahnhof oder auf der Düsseldorfer Königsallee versprechen einen viel höheren Umsatz als ein Dorfsupermarkt in einer 500-Einwohner-Kommune. Dazu kommt: In strukturschwachen Dörfern leben oft mehrheitlich Rentner. Von ihnen haben die Einzelhandelskonzerne weniger Umsatz zu erwarten als von Familien oder alleinstehenden Businessleuten in der Stadt. Deshalb haben viele Dörfer keinen einzigen Laden mehr in dem sich die Einwohner mit den Gütern des täglichen Bedarfs versorgen können. Da alte Menschen zudem in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, kann die Lebensqualität hier deutlich sinken. Während Bund und Länder bei den oben angesprochenen Problemen Hilfe leisten, sind die Kommunen bei der Nahversorgung auf sich allein gestellt. In einigen Kommunen haben genossenschaftliche Supermärkte geöffnet, in anderen fahren mobile Supermärkte von Ort zu Ort. In vielen Orten müssen sich die Einwohner jedoch selbst darum kümmern, ihre Lebensmittel zu bekommen. Hier müssen sie zumeist auf Nachbarschaftshilfe hoffen.

Dringender Handlungsbedarf beim öffentlichen Nahverkehr

Der öffentliche Nahverkehr arbeitet nirgendwo in Deutschland kostendeckend. Daher muss zwischen den Mobilitätsbedürfnissen der Anwohner und der Subventionierungsbereitschaft der Steuerzahler gut abgewogen werden. In kleinen Dörfern wird das schnell zur Herausforderung. Gerade ältere Menschen und Minderjährige sind auf Öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Für sie wären möglichst viele Linien mit einer möglichst hohen Taktung optimal. Doch abseits der Stoßzeiten ist die Auslastung der Busse im ländlichen Raum sehr gering. Dem Steuerzahler zu erklären, warum alle zehn Minuten ein leerer Bus durchs Dorf fährt, will kein Verantwortlicher auf sich nehmen. Deshalb sind die Busfahrpläne im ländlichen Raum oft löchrig. ÖPNV-Nutzer kommen selten mit dem Bus an alle Ziele im Ort, die sie ansteuern möchten und ihre Linien kommen selten. Einen Bus zu verpassen kann leicht einmal bedeuten, dass man ein paar Stunden auf den nächsten wartet. Das hat zur Folge, dass im ländlichen Raum jeder, der Autofahren darf und sich ein Auto leisten kann, daran gewöhnt ist, alle längeren Wege mit dem Pkw zurückzulegen. Für die deutschen Klimaziele ist das nicht förderlich. Dramatischer für die Menschen vor Ort ist jedoch, dass sie – sofern sie keinen Führerschein oder kein Auto haben – in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt sind. Hier gibt es einige Versuche von Kommunen die Situation der Anwohner zu verbessern. Dazu gehören Rufbusse, Bürgerbusse oder auch die Mitfahrbank.

Ist der ländliche Raum wirklich abgehängt?

Langsame Internetverbindungen, fehlende Einkaufsmöglichkeiten und ärztliche Versorgung oder auch der löchrige ÖPNV senken die Lebensqualität im ländlichen Raum. Gleichzeitig dürfen bei dieser Diskussion aber die Vorteile des Landlebens und der Beitrag, den er leistet, nicht vergessen werden. Der soziale Zusammenhalt funktioniert auf dem Land noch deutlich besser als in den Städten, in denen die Menschen oft unter Einsamkeit und fehlender Hilfsbereitschaft der Mitmenschen leiden. Das ehrenamtliche Engagement ist auf dem Land höher, das Vereinsleben ist stärker ausgeprägt.

Und auch der bezahlbare Wohnraum ist ein großer Standortfaktor. Die Mieten steigen zwar auch im ländlichen Raum langsam an, mit den explodierenden Mieten in den Städten ist das jedoch nicht zu vergleichen. Zudem sollte nicht der Eindruck entstehen, der ländliche Raum sei ausgestorben und würde nichts zur Produktivität beitragen, wie das in der Medienberichterstattung immer häufiger der Fall ist. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung lebt im ländlichen Raum. 46 Prozent der Bruttowertschöpfung kommen aus ländlichen Regionen. Und die „Hidden Champions“ sind es, die Deutschland für seine qualitativ hochwertigen Produkte auf der ganzen Welt berühmt gemacht haben. Die Zahlen beweisen: Ein Großteil der Deutschen möchte gerne auf dem Land leben. Wenn die Versorgungslücken geschlossen würden, neuen Möglichkeiten wie der Smart City, dem Smart Home, der Telemedizin, Coworking-Spaces und vielen mehr die Türen geöffnet würden, könnte der ländliche Raum den kleinen Aufwärtstrend, der sich derzeit abzeichnet, mitnehmen und Strukturschwäche und Abwanderung hinter sich lassen.

Welche Maßnahmen werden vom Bund bisher ergriffen?

Mit verschiedenen Fördermaßnahmen unterstützt der Bund gezielt den ländlichen Raum. Die Kommunen kritisieren jedoch, dass viele dieser Maßnahmen deutlich erweitert und die Bewerbungsverfahren vereinfacht werden müssen. Über die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ und das Aktionsbündnis „Leben auf dem Land“ tritt die Bundesebene mit den Ländern und Kommunen in einen Dialog über den Handlungsbedarf auf dem Land. Der Antrag „Gutes Leben und Arbeiten auf dem Land“ soll bestehende Förderungen „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“ erweitern und vereinfachen.

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„Gutes Leben und Arbeiten auf dem Land“

Das von den Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und der SPD entworfene Antrag besteht aus verschiedenen Maßnahmen, die die Regierung auf europäischer und Bundesebene durchsetzen möchte. Im Bundestag wurde er mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, AfD und LINKE beschlossen. Auf EU-Ebene gehört dazu, dass für eine angemessene Mittelausstattung des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) nach dem Jahr 2020 gesorgt werden soll. Auch für den Erhalt der Förderung über das LEADER-Programm will die Regierung sorgen. Darüber hinaus soll es den Kommunen einfacher gemacht werden sich um die ELER-Förderung zu bewerben. Auf Bundesebene steht die Digitalisierung im Zentrum des Entwurfs. Die Regierung möchte auf einen zügigen Glasfaser- und Mobilfunkausbau hinwirken, dafür sorgen, dass die Mobilfunknetzbetreiber die Vereinbarungen des Mobilfunkgipfels einhalten und dass die Versorgungsauflagen der Frequenzversteigerung 2019 eingehalten wird. Es soll ein neues Breitbandförderprogramm vorgelegt werden, dafür gesorgt werden, dass die digitalen Möglichkeiten auch die ehrenamtlichen Strukturen erreichen, dass lokal begrenztes Roaming angeordnet werden kann und dass eine engmaschige Kontrolle des Ausbauwillens der Mobilfunkbetreiber durch die Bundesnetzagentur durchgeführt wird. Nach der Frenquenzauktion soll eine Vergabe von Frequenzen insbesondere für den ländlichen Raum möglich sein, um den Aufbau von autonomen 5G-Firmennetzen zu ermöglichen. Doch nicht nur die Digitalisierung im ländlichen Raum soll durch das Gesetz gefördert werden. Auch das Ehrenamt soll unterstützt und von Bürokratie befreit, die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) soll gemeinsam mit den Ländern weiterentwickelt, die Förderung von Klein- und Kleinstunternehmen soll vereinfacht und die interkommunale Zusammenarbeit im ländlichen Raum gefördert werden.