Regionale Maßnahmen helfen
Studie: Der Lockdown beeinflusst das Infektionsgeschehen kaum
Es gibt eine Alternative zum Lockdown. Das sagen die Mediziner Thomas Voshaar und Dieter Köhler sowie der Physiker Gerhard Scheuch. Denn aus ihrer Sicht kommt es vor allem auf wenige Maßnahmen an. Die müssten aber viel konsequenter umgesetzt werden.
Die drei Wissenschaftler haben ein großes Renommee: Thomas Voshar ist Chefarzt am Krankenhaus Betanken in Moers und Facharzt für Innere Medizin, Dieter Köhler war lange Chefarzt im Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft Schmallenberg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Gerhard Scheuch ist Geschäftsführer der GS Bio-Inhalation GmbH, arbeitete 18 Jahre am Helmholtz Zentrum in München und war lange Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin.
Lockdown oder nicht - die Zahl der Infizierten beeinflusst das kaum
Die drei Wissenschaftler haben in ihren Forschungen die These erstellt, dass die Infektionskurven chaotisch, aber in Clustern verlaufen. Das heißt übersetzt, dass es keine vernünftige Hypothese gibt, die das Auf und Ab des Pandemiegeschehens erklärt. Besonders auffallend sei der chaotische Verlauf, wenn man die Häufigkeit regional auf die Bundesländer, einzelne Regionen oder gar Cluster herunterbricht. So waren Bundesländer im Osten der Republik in der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020 kaum betroffen, dafür aber umso mehr von der zweiten Welle.
Genauer angesehen haben sich die Forscher das Beispiel der US-Bundesstaaten North Dakota und South Dakota. South Dakota hatte so gute wie keine Einschränkungen. Das heißt, die Schulen waren geöffnet, die Restaurants ebenfalls. North Dakota hingegen hatte strikte Maßnahmen. Trotzdem waren die Infektionszahlen in den beiden Bundesstaaten im Spätherbst 2020 nahezu deckungsgleich im Zeitverlauf und in der Häufigkeit. In North Dakota waren die Zahlen sogar etwas höher.
Daraus und aus ihren weiteren Daten leiten die Forscher unter anderem ab, dass es etwa keinen Zusammenhang zwischen geöffneten Restaurants und der Steigerung der Zahlen gibt. In einem Gastbeitrag für den Focus erläutern sie, dass aus ihrer Sicht zu früh Rückschlüsse aus Zahlen gezogen werden. Wörtlich sagen sie: "Konvulsive Aussagen aus rein epidemiologischen Daten stiften oft Verwirrung, weil deren Beobachtungen keine kausalen Zusammenhänge aufdecken können". Es habe sich zur Kultur entwickelt, die erforderlichen Untersuchungen zur Überprüfung der Hypothese einfach wegzulassen und diese gleich als "Wahrheit" zu verbreiten. "Mitunter werden aus solchen Seifenblasen sogar Rechtsverordnungen" kritisieren die Wissenschaftler.
Statt Lockdown: Was das Infektionsgeschehen wirklich beeinflusst
Die Wissenschaftler gehen sogar noch einen Schritt weiter und zeigen anhand von Zahlen auf, dass in Deutschland beispielsweise die Infektionszahlen nach der Beendigung des ersten Lockdowns lange Zeit nicht gestiegen sind. In den Wochen nach dem 11. Mai gab es keinen Anstieg der Infektionszahlen. Der deutliche Anstieg kam erst wieder im Spätherbst. Der Lockdown wirkt daher nur auf den ersten Blick, so ihre These.
Im Ergebnis müsse das Geschehen sehr viel stärker lokal beobachtet werden. "Wir brauchen keine bundesweiten Lockdowns, sondern Maßnahmen müssen lokal organisiert und umgesetzt werden", so die drei Wissenschaftler. Im Ergebnis fordern sie deutlich mehr Möglichkeiten der Landkreise und kreisfreien Städte. Hier könne das Geschehen lokal sehr viel besser beobachtet werden.
Das wichtigste aber sei, dass es eine Handvoll Maßnahmen gibt, die von der Bevölkerung akzeptiert und dann auch wirklich konsequent umgesetzt werden. Als wichtigste Punkte nennen sie Maske, weniger Kontakt, Lüften über Filteranlagen und das Verbot von Großveranstaltungen. Dazu braucht es strenge Einlasskontrollen in Pflegeheimen und Krankenhäusern sowie möglichst viele Schnelltests vor allem vor diesen Einrichtungen.
Wenn diese Punkte konsequent eingehalten würden, dürfte das Infektionsgeschehen deutlich eingedämmt werden. Die Bevölkerung rufen die Wissenschaftler zudem auf, sich so viel wie möglich draußen aufzuhalten. "Einsperren im Haus ist kontraproduktiv" so die Forscher zu möglichen Ausgangssperren. Im Freien liege die Ansteckungsgefahr (mit Maske) unter 0,001 Prozent.
Kann der Lockdown dank Schnelltests bald beendet werden?
"Wir haben schnell begriffen, dass das frühzeitige Testen ein Schlüssel für die Öffnung ist. Die Impfungen laufen zu langsam und solange das so ist, müssen wir mit dem Testen schneller werden." Diesen wichtigen Satz hat der Landrat von Böblingen, Roland Bernhard im KOMMUNAL-Interview gesagt. Sein Landkreis ist der erste, der seit 2 Wochen auf Kosten des Kreises Schnelltests für jedermann und das kostenlos anbietet. "Das haben wir einfach umgesetzt, ohne groß zu fragen", so der Landrat. Auch die Forscher sehen in den Schnelltests einen wichtigen Baustein für die Bekämpfung der Pandemie. Der Erfolg gibt dem Landrat bereits nach wenigen Tagen Recht:
"Kurz bevor wir die kostenlosen Tests angeboten haben, lag unsere 7-Tage-Inzidenz bei 47. Eine Woche danach waren wir runter bis auf 31 – ein großer Erfolg", so Bernhard. Und weiter: "Zuletzt sind unsere Zahlen leider wiedernach oben gegangen. Wir haben Ausbrüche in drei Pflegeheimen. In einem Heim mussten wir die Erstimpfung verschieben, weil es bereits zu viele Fälle gab, in einem weiteren Heim haben wir die brititsche Mutation festgestellt. . Das hat unsere Inzidenz jetzt natürlich nach oben getrieben, aber sie wird auch schnell wieder sinken, weil wir kein diffuses Infektionsgeschehen haben, sondern die Ausbrüche benennen können."
Schnelltests sind in großen Mengen vorhanden
Wenig Verständnis hat man im Landkreis Böblingen für die aktuelle Diskussion um Schnelltests. GEsundheitsmininister Spahn ist mit seinen Plänen, die kostenlose Schnellteststrategie zum 1. März zu starten, am Widerstand seiner Kabinettskollegen gescheitert. Es gebe nicht genügend Tests, so eine der wichtigsten Begründungen. Darüber kann man in Böblingen nur den Kopf schütteln. "Nein, Tests sind auf dem Markt ausreichend vorhanden", so die Erfahrung von Landrat Bernhard. Der zuständige Apotheker aus Böblingen, Björn Schittelhelm, der das "Böblinger Modell" mit initiiert hat, wird noch deutlicher: "Die Beschaffung von Schnelltests ist auch deutschlandweit kein Problem. Der Markt ist voll davon, innerhalb eines Tages könnten problemlos zehn Millionen Tests gekauft werden", sagt er.
Diskussion über Impfpass gewinnt an Fahrt
Derweil läuft das Impfen in Deutschland weiter im Schneckentempo. Es gab schon erste Krisengespräche mit Verbänden wie der Chemischen Industrie: Die große Angst: Es könnte bald zu wenig Impfspritzen geben. Auch der Verband der Medizintechnik-Hersteller spricht schon von "Problemen bei der Verteilung der Produkte durch unkoordinierte Mehrfachbestellungen auf Länderebene". Dadurch könnten Fehlproduktionen, Lieferengpässe und Verteilungsprobleme zwischen den Ländern entstehen. Der Chemieverband will deshalb schnell eine Onlineplattform aufbauen, um ein Spritzen-Debakel zu verhindern.
Offen ist auch die Frage, ob die Geimpften dann möglichst bald ihre Grundrechte zurückbekommen. Das könnte mit einem digitalen Impfpass geschehen. Andere Länder sind hier bereits soweit und stellen jedem Geimpften, der das möchte, digital einen Pass aus. Der Reiseanbieter Alltours etwa hat schon angekündigt, nur Geimpfte in seine Hotels zu lassen. Gerade bei Urlaubsreisen könnte künftig auf dem digitalen Flugticket vermerkt sein, ob jemand geimpft ist oder nicht. In Israel (das Land ist mit Abstand vor GB Impf-Weltmeister) gilt bereits: Eintritt ins Fitness-Studio oder ins Restaurant nur mit digitalem Impfpass. Dort kann sich inzwischen jeder, der möchte kurzfristig einen Termin zur Impfung besorgen. Mit der Rückgabe der Grundrechte heizt das Land die Zahl der Impfinteressierten an. Auch hier gibt es Debatten, dass ein Teil der Bevölkerung sich nicht impfen lassen möchte. Der Impfpass und die daraus resultierenden Vorteile "überzeugen" offenbar viele Skeptiker.
In Deutschland lehnen bisher viele Politiker den digitalen Impfpass ab. Sie fürchten eine Zweiklassengesellschaft. Und das sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Doch auch hier hat die Realität vor Ort die Diskussion lange überholt. Der Landkreis Altötting hat im Alleingang den Impfpass mit Hilfe eines Unternehmens digitalisiert - jeder der möchte, bekommt ihn dort für sein Smartphone ausgestellt. KOMMUNAL hatte über die Aktion zum Start ausführlich berichtet.
Fakt ist: Die Bundesregierung prüft die bundesweite Einführung des digitalen Impfpasses bereits laut mehreren Medienberichten. Auch wenn es noch keine offizielle Bestätigung gibt scheint klar: Sobald der Lockdown gelockert wird, könnten Betreiber von Restaurants oder Fitness-Studios auch bei uns prüfen, ob die jeweilige Person bereits geimpft ist.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund erhöht bereits den Druck auf die Bundesregierung in Sachen digitaler Impfpass. Ihr Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte KOMMUNAL, "Wir brauchen mehr Tempo bei der Einführung, eine nachträgliche Einführung würde eine immense Bürokratie nach sich ziehen. Es wäre ein leichtes, in den Impfzentren jetzt auf direkt den digitalen Nachweis durchzuführen. Wenn wir jetzt Zeit versäumen, werden wir den Rückstand nur schwer aufholen. Dann haben wir die gleichen Probleme wie jetzt beim Impfen im Schneckentempo", so Landsberg.