
Absage von Volksfesten
Oktoberfest lebt – Dorfkirmes stirbt?
Das Herz der Kommune steht still. Ob Schützenumzug, Maifest oder Straßenkarneval – für viele Orte sind diese Anlässe mehr als nur ein paar Bierbänke und eine Blaskapelle. Hier treffen sich Nachbarn, Jung und Alt feiern zusammen, hier funktioniert Gemeinschaft. Wenn solche Veranstaltungen wegbrechen, verliert das Dorf sein Herz. „Die Demokratie stirbt zuerst vor Ort“, warnt Erhardt-Maciejewski im ausführlichen Gespräch – „denn wo Menschen nicht mehr miteinander feiern, da reden sie irgendwann auch nicht mehr miteinander“.
Kostenexplosion statt Lebensfreude
Das Oktoberfest in München verkraftet locker eine Sicherheitsauflage mehr – im Ergebnis wird halt die Maß Bier mal wieder 50 Cent teurer. Ganz anders bei den kleineren Festen: In Marburg scheiterte in diesem Jahr das Kirschblütenfest an absurden Forderungen: Fünf Straßensperrungen hätten eingerichtet werden müssen – unmöglich in der Praxis. SChon vorher war ein deutlich kleineres Fest in Marburg finanziell komplett aus dem Ruder gelaufen. 65.000 Euro zusätzlich für das Sicherheitskonzept wurden fällig.
Noch drastischer trifft es kleine Orte wie Neuenhagen in Hessen, wo das Maifest abgesagt wurde. Sanitätsdienste, Sperrungen, Brandschutz – alles unbezahlbar, obwohl dort „noch nie etwas passiert ist – außer mal einem einzelnen Betrunkenen“, so Erhardt-Maciejewski.
Bürokratie bis zur Lächerlichkeit
Von Schallgutachten, die nicht selten bis zu 30.000 Euro verschlingen, weil sie von professionellen Gutachtern erstellt werden müssen, bis hin zu Asphaltmarkierungen auf Rasenflächen – die Liste der Auflagen ist lang und teilweise grotesk. Jeder Fahrgeschäftsbetreiber muss ohnehin jährlich zum TÜV. Doch Kommunen verlangen oft zusätzliche Prüfungen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. „Das ist Vorschriftenfolklore statt gesunder Menschenverstand“, berichtet unser Chefredakteur über die Nöte der Schausteller.
Auch für Schaustellerfamilien sind die Absagen ein Desaster. Jeder Termin weniger bedeutet massive Einnahmeverluste. Überleben können am Ende nur noch die Großen mit millionenschweren Fahrgeschäften – die klassischen Familienbetriebe bleiben auf der Strecke.
Ehrenamt am Limit
Besonders hart trifft es die Vereine. Früher stemmte der Präsident der Blasmusik nebenbei noch die Organisation des Dorffests. Heute wäre dafür ein halbes Jurastudium und ein Koffer voller Gutachten nötig. Ehrenamtliche können das nicht mehr leisten – und Hauptamtliche sind unbezahlbar. „Die Kommunen sind so pleite wie seit über 20 Jahren nicht mehr“, stellt Erhardt-Maciejewski die Finanzsituation der Städte und Gemeinden dem breiten Publikum vor - Zahlen, die sonst in der Öffentlichkeit nur selten Gehör finden.
Sicherheit ja – aber bitte mit Maß
„Natürlich müssen Brandschutz und Sanitätsdienste ernst genommen werden. Doch absolute Sicherheit wird es nie geben, wie selbst der Anschlag von Magdeburg gezeigt hat“, erinnert Erhardt-Maciejewski an die Realität. Dort gab es ein ausgefeiltes Sicherheitskonzept – und doch wählte der Täter die kleinste Lücke. „Wir sterben aus Angst vor dem Tod“, fasst er die Lage zusammen.
Lösungen liegen auf dem Tisch
Ganz ohne Hoffnung ist die Lage nicht. Einige Kommunen bündeln ihre Kräfte und erstellen Sicherheitskonzepte inzwischen gemeinsam auf Landkreisebene. Erhardt-Maciejewski fordert mehr solcher Kooperationen – und politische Weichenstellungen:
- Tradition vor Vorschrift: Dorffeste sollen als immaterielles Kulturerbe Vorrang vor überzogenen Auflagen haben.
- Mobile Sicherheitsdepots: Länder könnten Container mit Pollern, Absperrungen oder Notbeleuchtung bereitstellen, die Gemeinden ausleihen.
- Digitalisierung nutzen: Checklisten im Netz könnten viele Verfahren vereinfachen und für Vereine handhabbar machen.
- Finanzielle Unterstützung: Statt Millionen in NGOs zur „Demokratieförderung“ zu stecken, könnte ein „Sonderfonds Dorffeste“ direkt vor Ort wirken. „Das ist Demokratie retten ganz konkret“, denn hier entscheidet sich, ob die Menschen den Politikern und dem Staat noch vertrauen oder nicht“, so Erhardt-Maciejewski.
Fazit: Zwischen Maßkrug und Misstrauen
Das Oktoberfest läuft – und in den Schlagzeilen sieht alles rosig aus. Doch gleichzeitig geht im ländlichen Raum eine Ära zu Ende. Das „Volksfeststerben“ ist kein aufgeblasener Begriff, sondern Realität. Wer wissen will, wie dramatisch die Lage wirklich ist und welche Lösungen denkbar wären, sollte sich das vollständige Interview mit Christian Erhardt-Maciejewski anhören.