Solingen
Solingen ist mitten im Strukturwandel.
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Portrait

Ein Sozialarbeiter als Bürgermeister in Solingen

Die Stadt ist vor allem bekannt für Ihre Klingen: Solingen im Bergischen Land, mitten im Strukturwandel. Seit dem Jahr 2015 ist der 44 jährige Tim-Oliver Kurzbach ihr Oberbürgermeister.

60.000 Einwohner hat Solingen und viele Jahre lang konnte die Stadt nicht klagen. Doch das hat sich seit einigen Jahren drastisch geändert. „Wir haben hier in den letzten 15 Jahren einen Arbeitsplatzverlust von über 10 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze zu verzeichnen“, sagt Oberbürgermeister Tim-Oliver Kurzbach. „Bei uns sind große alte Industriebereiche weggebrochen.“ Doch während etwa für den Steinkohlebergbau oder die auslaufenden Braunkohletagebaue Fördergelder flossen, muss Solingen den Strukturwandel weitgehend alleine stemmen.

Solingen nicht kaputtsparen

Wie das gelingt? Kurzbach, der von Hause aus Sozialarbeiter ist, setzt auf die Digitalisierung und auf Investitionen. Vor allem auf Investitionen in die Menschen: „Nehmen Sie unsere Schulen“, sagt Kurzbach. Viele Gebäude seien über die Jahre marode geworden. Die Stadt hat sich deswegen für ein Modernisierungsprogramm entschieden, statt überall nur ständig wiederkehrende Schönheitsreparaturen durchzuführen. Das sei auf Dauer kostengünstiger. „Wir haben heute schon erreicht, dass alle Schulen am Glasfasernetz sind, dass wir in allen Schulen WLAN haben und dass wir sieben Stellen für Systemadministratoren an den Schulen neu geschaffen haben.“ Damit setzt Kurzbach etwas um, was ihn auch selbst im Jahr 2015 zum Engagement in der Kommunalpolitik motiviert hatte: Damals erlebte Solingen einen harten Sparkurs. Kurzbach leitete die Wende ein: „Es ging darum, ob wir die Stadt kaputtsparen, oder ob wir bewusst in einige Zukunftsfelder investieren.“ Der neue Oberbürgermeister entschied sich für Letzteres.



„Wir haben auch teilweise rigide Entscheidungen in anderen Bereichen getroffen, wo wir uns von vielen Dingen verabschieden mussten – etwa von Gebäuden“, sagt Kurzbach. „Wir haben früher ja unendlich viel Geld in Reparaturen investiert, obwohl wir wussten, dass es immer wieder nur für drei, vier oder fünf Jahre hielt.“ Nun hat sich die Stadt von gut einem Dutzend Bauten verabschiedet. Dazu kam ein positiver Effekt der Corona-Pandemie: „Wir hatten plötzlich über 1500 Mitarbeiter im Homeoffice – und es hat funktioniert: Sie konnten sehr gut auch von zu Hause arbeiten. Wir hatten Programme im Hintergrund, wir hatten eine digitale Poststelle und eine digitale Ablage.“ Diese Systeme laufen heute weiter. Kurzbach schätzt, dass die Stadt durch die Digitalisierung und das Homeoffice gut 30 Prozent ihrer Büro- und Gebäudekosten einsparen könne. „Unseren Teil zum Sparen haben wir damit getan.“

Solingen betreibt Krankenhaus selbst

Als Sozialarbeiter legt der 44-jährige auch Wert auf rechtzeitige Prävention. Ein Verkauf des kommunalen Krankenhauses an einen Klinikkonzern, wie es anderswo Gang und Gebe ist, kam für ihn nicht in Frage. Abteilungen wurden neu organisiert, Arbeitsabläufe gestrafft, Chefarztposten umbesetzt. Nach 3,8 Millionen Euro Verlust im Jahr 2019 erwirtschaftete das Solinger Krankenhaus 2020 einen Gewinn von 800.000 Euro. Und für die Stadt hat der Eigenbetrieb noch einen anderen Vorteil: In der Pandemie waren die Ansprechpartner direkt vor Ort. Kurzbach musste nicht erst mit einer Konzernzentrale telefonieren, um zu klären, welche Angebote die Klinik in der Krise machen konnte. „Das war ein unschätzbarer Vorteil für Solingen“, resümiert der Oberbürgermeister.

Bürgermeister von Solingen, Tim-Oliver Kurzbach
Bürgermeister von Solingen: Tim-Oliver Kurzbach

Es lohnt sich, zu arbeiten – denn es gibt für alles eine Lösung und eine bessere Zukunft."

Tim-Oliver Kurzbach, Oberbürgermeister von Solingen

Mit seiner beruflichen Herkunft hat der Diplom-Sozialarbeiter auch ein Auge auf die Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. „Wo es viele Menschen gibt, die Hartz-IV-Gelder beziehen, haben wir sehr stark auf Sozialarbeit gesetzt“. Allerdings bemühte sich Solingen, im Unterschied zu anderen Kommunen, um konzentrierte Angebote. „Eine Familie braucht Hilfe bei der Erziehung der Kinder, beim Lebensunterhalt, bei der Gesundheitsversorgung und Beratung. „Aber es kann nicht sein, dass diese Familie dann zu x verschiedenen Ansprechpartnern gehen muss.“ Vielmehr müsse es einen zentralen Ansprechpartner vor Ort geben, der dann für die ganze Familie ansprechbar sein sollte. „Das hat sich als sehr fruchtbar erwiesen“, sagt Kurzbach. So habe die Stadt beispielsweise ihre Kosten für die „Hilfen zur Erziehung“ deutlich senken können: Mitniedrigschwelligen Angeboten in den Quartieren und einem guten Überblick erreichte man die Kinder oft, bevor es wirkliche Probleme gab.

Oberbürgermeister ist katholisch

Getragen wird Kurzbach bei seiner Arbeit als Bürgermeister von seinem katholischen Glauben. Schon als Kind war er Ministrant, später aktiv in katholischen Verbänden, heute ist er Vorsitzender des Diözesanrats im Kölner Erzbistum. Als er 2015 mit seiner Arbeit als Oberbürgermeister anfing, habe er in Solingen tausende Flüchtlinge unterbringen müssen. Dann kam die Pandemie und schließlich habe es auch in Solingen im letzten Jahr ein Hochwasser gegeben. „Wenn du bei all dem nicht eine gute Hoffnung auf eine gute Zukunft hast, dann wird es schwer“, meint er. „Ich kann immer sagen: Es lohnt sich, zu arbeiten – denn es gibt für alles eine Lösung und eine bessere Zukunft.“