Waldkirchen im Bayerischen Wald Luftbild
Waldkirchen im Bayerischen Wald steckt im Lockdown fest.
© Stadt Waldkirchen

Corona-Pandemie

Eine Stadt im Dauer-Lockdown

Die Corona-Regeln legen das Leben im Luftkurort Waldkirchen ganz im Osten der Republik monatelang lahm. Wie Bürgermeister und Bewohner im Dauer-Lockdown um eine Perspektive kämpfen.

In guten Zeiten lebt Waldkirchen vom Tourismus und vom Einzelhandel. 200.000 Übernachtungsgäste zählt der niederbayerische Luftkurort im Grenzgebiet zu Tschechien und Österreich im Jahr. Anders als andere Kommunen in entlegenen Regionen legt die kleine Stadt bei den Einwohnerzahlen sogar zu: Erstmals zählt sie mehr als 11.000 Bewohner, es wird wieder mehr gebaut, die Kindergärten und Schulen sind voll.  Seit November vorigen Jahres liegt das öffentliche Leben brach. Fast ein halbes Jahr lang dauert der Dauer-Lockdown hier schon, die Kinder waren seit Dezember nicht einmal eine Woche in der Schule, die Geschäfte durften selbst für Termin-Shopping nur kurz öffnen und mussten dann wieder schließen. Die Stadt aber duckt sich nicht unter der Last der Verordnungen, sie kämpft.

Dauer-Lockdown - Ostbayern sieht schwarz

„Die Regierung hat uns aufs Abstellgleis gestellt“, kritisiert Bürgermeister Heinz Pollak. Er hat viele Briefe an die Ministerien nach München geschrieben und engagiert sich bei der Initiative „Ostbayern sieht schwarz“, die Perspektiven für die Grenzregion mit ihren hohen Corona-Inzidenzen fordert.  „Es kann sich wohl keiner vorstellen, wie es den Menschen unter den Corona-Bedingungen hier geht“, sagt der Bürgermeister. „Sie schauen jeden Tag wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Inzidenzzahlen, die einfach nicht unter die Werte rutschen, die wir bräuchten, um öffnen zu können.“



Seit März 2020 ging es von Lockdown zu Lockdown, dann seit Ende vorigen Jahres gar nicht mehr heraus.   Wie lassen sich die hohen Inzidenzen erklären, die in dieser Stadt meist über 200 liegen und damit höher als im restlichen Landkreis Freyung-Grafenau? „Ich glaube nicht, dass die Neuinfektionen vor allem durch den Grenzverkehr zustande kommen“, sagt Pollak. Er vermutet andere Gründe: „Bei uns sind die Familienverbünde größer, oft leben noch mehrere Generationen in einem Haus.“  So waren in einer einzigen Familie neun Menschen gleichzeitig mit dem Corona infiziert. Damit schoss die Inzidenz steil nach oben.

Bürgermeister Heinz Pollak Waldkirchen Ostbayern sieht schwarz

Man kann die Leute doch nicht über so lange Zeit wegsperren. Sie werden psychisch krank.“

Heinz Pollak, Bürgermeister von Waldkirchen

Vor dem erneuten Lockdown im November 2020 hatte der Bürgermeister die Politik gewarnt: „Werden die Restaurants und Hotels geschlossen, führt das nur dazu, dass sich viele Menschen heimlich treffen – und gerade bei diesen privaten Feiern finden nachweislich die meisten Infektionen statt.“ Nun sieht er sich in seiner Prognose bestätigt. Bei einem heimlichen Stammtisch zum Beispiel infizierte sich die Hälfte der Teilnehmer. Pollak zeigt ein gewisses Verständnis für die Regel-Verstöße: „Man kann die Leute doch nicht über so lange Zeit wegsperren und komplett isolieren. Sie werden psychisch krank. Die Vereine sind dicht, da kommt es vermutlich in kleinerem Kreis zu Treffen zu Hause.“ Die Neuinfektionen treiben seiner Beobachtung nach zudem auch Arbeiter hoch. „Wer schwere Arbeiten verrichtet, wird und kann verständlicherweise nicht ständig Mundschutz tragen.“ Für die Kontrollen der Corona-Auflagen ist in Waldkirchen nicht das örtliche Ordnungsamt zuständig, sondern das Landratsamt in Freyung und die Polizei.

Grundschule nur zweieinhalb Monate im Schuljahr offen

Was die Corona-Pandemie und die strengen Regelungen mit den Menschen macht, sei bei den alten Menschen und Kindern zu sehen, sagt der Bürgermeister. „In unseren Altenheimen vereinsamen die Menschen, die Kinder durften weder zur Schule noch zusammen Fußball spielen.“ Pollak hat selbst einen Sohn. „Unser Bub kam vorigen Sommer in die Grundschule, dort war er bisher nur zweieinhalb Monate – und einmal vier Tage zwischendrin, als Wechselunterricht erlaubt war.“ Dabei sei er so stolz darauf gewesen, endlich ein Schulkind zu sein. „Er hat viele Abende vor dem Einschlafen im Bett geweint“, erzählt der Familienvater.

Örtliches Modehaus Garhammer

Der Luftkurort, keine 30 Kilometer von Passau entfernt, lebt von vielen Stammgästen. Nun sind die Hotelbetten seit Monaten leer, die Restaurants geschlossen, auch das Feinschmecker-Restaurant „Johanns“. Der dortige Küchenchef Michael Simon Reis setzt auf moderne Bayerwaldküche und konnte jüngst seinen Gourmet-Stern verteidigen.  Im Restaurant mit Blick auf die Bayerwald-Bergkette herrscht im Lockdown deprimierende Leere. Das preisgekrönte Restaurant gehört zum örtlichen alteingesessenen Modehaus, das sich immer wieder neu erfindet und rund 100.000 Kunden in seiner Kundendatei hat – darunter Urlauber, die wohl auch wegen dem „Garhammer“ immer wieder nach Waldkirchen kommen.  Die Inhaber Christoph und Johannes Huber haben  mit zwei anderen Unternehmern des Bayerischen Waldes die Aktion „Ostbayern sieht schwarz“ gestartet. Die Hauptforderung der Initiative beim Start im März: Öffnung der Kitas und Schulen, eine sofortige Click & Meet-Öffnung aller Einzelhandelsunternehmen bei einer Inzidenz ab 50 und eine Perspektive für Hotellerie, Gastronomie und den gesamtem Tourismus der Region.

Ostbayern sieht schwarz- Brief an Regierung

In einem Brief an die Regierung in München schrieben die Initiatoren nach der beschlossenen Bundesnotbremse und der neuen CoronaVerordnung in Bayern: „Stand heute bedeutet ihre Entscheidung, alle bayerischen Landkreise mit 7-Tages-Inzidenz über 100 im totalen Lockdown zu belassen, dass rund zwei Millionen Menschen weiterhin keine Aussicht auf Lockerungen haben.“  Die daraus entstehenden physischen und psychischen Belastungen der Bevölkerung seien nicht mehr tragbar. „Die Verzweiflung in unserer Region wird immer größer, der Unmut über die politischen Entscheidungen ist riesig.“ Die Menschen dafür zu bestrafen, dass sie in der Grenzregion wohnen, sei nicht akzeptabel, heißt es in dem Schreiben weiter.

Die Verzweiflung in unserer Region wird immer größer, der Unmut über die politischen Entscheidungen ist riesig.“

Die Verfasser des Briefes an die Regierung

Inzwischen sind die Unternehmen im Handel  bereits rund sieben der letzten 12 Monate komplett geschlossen, in vielen anderen Bereichen wie der Gastronomie und Hotellerie sieht es noch schlimmer aus. Die Initiatoren beteuerten in ihrem Brief damals: „Wir alle, die betroffenen Unternehmen, Tausende von Mitarbeitern und Kunden und die gesamte Bevölkerung der Regionen haben trotzdem den Kurs der Staatsregierung solidarisch mitgetragen und so unseren gesamtgesellschaftlichen Beitrag zur Überwindung der Pandemie geleistet. Aber jetzt können wir nicht mehr.“ Eindringliche Worte, die betroffen machen. Immerhin erhielt die Grenzregion inzwischen wegen ihrer besonderen Belastung  zusätzlichen Impfstoff zugewiesen.

Modehaus Garhammer Waldkirchen
Der Garhammer wird in vierter Generation geführt und ist größter Arbeitgeber am Ort.



Das örtliche Modehaus ist mit rund 500 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber in Waldkirchen – die meisten davon sind Frauen. Der "Garhammer" ist viel mehr als nur ein Anziehungspunkt über die Region hinaus:  Die Inhaber unterstützen Vereine, Schulen, Kitas und soziale Einrichtungen, engagieren sich vorbildlich für die Entwicklung der Stadt und der Region. „Die fleißigen Menschen unserer Heimat haben es in den letzten 25 Jahren geschafft, dass sich aus einer strukturschwachen, abgehängten und oft belächelten Region ein starker Landstrich mit selbstbewussten Bewohnern entwickelt hat“, sagt Christoph Huber, der das Unternehmen in 4. Generation zusammen mit seinem Bruder Johannes leitet.  „Es ist eine Katastrophe“, sagt er. „Wir waren seit März 2020 sieben Monate zwangsgeschlossen. Die meisten unserer Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, die Lager quellen über.“

Es ist eine Katastrophe. Wir waren seit März 2020 sieben Monate zwangsgeschlossen.“

Christoph Huber, Mitinhaber des Modehauses Garhammer in Waldkirchen

Nicht nur, dass nun Unternehmen auf der Kippe stehen-  die wirtschaftlichen soziale und kulturellen Folgen der Pandemie seien verheerend. Wie verschmolzen das Modehaus mit der Bevölkerung ist, zeigte es in der Vergangenheit auch bei seinen Werbekampagnen. So modelten auch schon mal  echte Waldkirchner in den Prospekten, selbst der frühere Bürgermeister und der damalige Stadtpfarrer ließen sich vor vielen Jahren im DesignerAnzug abbilden.  Im Internet bietet „Garhammer“ längst auch „Curated-Shopping“ mit persönlicher Beratung an. „Den Einzelhändlern wird immer wieder vorgehalten, dass sie mehr online gehen sollten“, sagt Huber. „Doch die Gewinne dort sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Wer wirklich mit den Onlineriesen konkurrieren wolle und verdienen möchte, müsse in Millionen-Höhe investieren, um in der Bekleidungsbranche rentabel ein Onlinegeschäft zu betreiben.

Bürgermeister kritisiert Ungerechtigkeiten im Handel

Diese Ungerechtigkeit ist es, die auch Bürgermeister Heinz Pollak zusetzt. Er fordert deshalb eine Internetsteuer bis zu 40 Prozent.  „Der Einkauf sollte teurer als am Ort sein.“  Was den Bürgermeister auch ärgert: „In den Lebensmitteldiscounter darf jeder ohne Test rein. Dort warten die Wühltische mit Kleidung und anderen Waren, in den Lagern unserer Einzelhändler muss die Ware dagegen liegen bleiben.“ Zweimal haben die Waldkirchner  demonstriert: mit einem Autocorso und einer Kundhebung von „Ostbayern sieht schwarz“.

Wenn die Impfung nun vorangeht und auch Waldkirchen sich aus dem Griff der hohen Inzidenzen befreien kann, sind die Beherbergungsbetriebe, Restaurants und Geschäfte startklar, sagt der Bürgermeister. Der Brunnen auf dem Marktplatz sprudelt schon, die Blumen sind gepflanzt. Nächstes Jahr will der Ort 50 Jahre Stadterhebung feiern. Immerhin erst im Herbst. Bis dahin dürfte das Leben auch nach Waldkirchen zurückgekehrt sein

 

Fotocredits: Modehaus Garhammer von außen: Blochers und Partner