
Studie zu den Gründen
Wenn die vorläufige Haushaltsführung zur Regel wird
Die Haushaltssatzung tritt nach dem Grundsatz der zeitlichen Bindung automatisch mit Ablauf des 31.12. außer Kraft. Wurde das Haushaltsaufstellungsverfahren für das kommende Jahr allerdings noch nicht abgeschlossen, führt dies ab 01.01. zu einer sog. satzungslosen Zeit bzw. vorläufigen Haushaltsführung. Die Lücke zwischen dem Außerkrafttreten der Haushaltssatzung des abgelaufenen Haushaltsjahres und der verspäteten öffentlichen Bekanntmachung der Haushaltssatzung des neuen Haushaltsjahres schließen die Landesgesetzgeber durch ein Nothaushaltsrecht, um die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu sichern.
Regel statt Ausnahme - das ist das Ergebnis der Studie
Die Einhaltung des Vorherigkeitsgebotes ist in Sachsen-Anhalt die Ausnahme statt der Regel. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung am Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz in Kooperation mit Jennifer Eiert, tätig im Jobcenter Börde und Stadträtin in Oschersleben (Bode), sowie Sebastian Eckert, Sachgebietsleiter der Kämmerei beim Salzlandkreis. Inhaltlich wurden die öffentlichen Bekanntmachungen der Haushaltssatzungen der elf Landkreise und drei kreisfreien Städte in Sachsen-Anhalt der Jahre 2013 bis 2023, also insgesamt über einen Zeitraum von elf Jahren, ermittelt und ausgewertet.
Das Vorherigkeitsgebot wurde in elf Jahren nur bei sieben von 154 Haushaltssatzungen eingehalten, also lediglich in 4,5 v.H. der Fälle. Dabei ist bemerkenswert, dass fünf Einhaltungen aus dem zweiten Jahr eines Doppelhaushaltes resultierten, sodass das Vorherigkeitsgebot lediglich zweimal bei einem Einjahreshaushalt eingehalten werden konnte. Im Ergebnis gelang es den Landkreisen und kreisfreien Städten in Sachsen-Anhalt im Untersuchungszeitraum 147-mal, also zu 95,5 v.H., nicht, das Vorherigkeitsgebot einzuhalten.
Dieser rechtswidrige Zustand ist damit der praktische Regelfall und ein rechtskonformes Aufstellungsverfahren die Ausnahme. Für die Hälfte der Haushaltssatzungen konnte die öffentliche Bekanntmachung in den Monaten Januar und Februar nachgeholt werden.
Die zeitlich andauerndste vorläufige Haushaltsführung erfolgte bis zum 20.12., also 354 Tage, ein Landkreis konnte für ein Kalenderjahr keine Haushaltssatzung erlassen. Der durchschnittliche Überziehungszeitraum aller Landkreise und kreisfreien Städte betrug rund 80 Tage, also fast drei Monate.
Wie ein rechtskonformer Zustand hergestellt werden kann
Die Rechtsverletzung ist teilweise auf externe Faktoren zurückzuführen. So sind z.B. bei den Landkreisen wichtige Informationen für die Haushaltsplanung zu spät verfügbar. Dabei bedarf vor allem das Festsetzungsverfahren des Kreisumlagesatzes einer grundlegenden Neuausrichtung. Allein dieses - zu Recht - intensive Verfahren muss so gestaltet werden, dass sowohl die Landkreise als auch die von einer Erhöhung des Kreisumlagesatzes betroffenen Städte und Gemeinde im Stande sind, das Vorherigkeitsgebot einzuhalten. Unter den derzeitigen Gegebenheiten wird das nicht gelingen. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, die Einhaltung des Vorherigkeitsgebotes nicht nur einzufordern, sondern die Einhaltung auch praktisch möglich zu machen.
Festzuhalten ist außerdem, dass vor allem bei Kommunen mit langjährigen und intensiven Konsolidierungsprozessen häufig kaum Unterschiede zwischen den Einschränkungen des Nothaushaltsrechts zu der bereits stark eingegrenzten konsolidierungsgeprägten Haushaltsführung bestehen. Das führt zu einer gewissen Leichtigkeit, ja Gleichgültigkeit, im Umgang mit dem Vorherigkeitsgebot, das zwingend vermieden werden muss.
Aber nicht nur externe Faktoren können benannt werden, auch verwaltungsintern müssen Hausaufgaben erledigt werden. Die Verwaltung muss ggf. den Planungsprozess frühzeitiger beginnen und mit mehr Personal untersetzen. Und auch die Kommunalpolitik trägt Verantwortung: Die Haushaltsdebatten sollten zielgerichtet und mit der nötigen Zeitsensibilität geführt werden. Sie sind nicht der richtige Ort für Schaufensteranträge, Nebenkriegsschauplätze und politische Generalabrechnungen. Die Vertretung ist kein Parlament.
Zu den Autoren:
Matthias Wiener ist Abteilungsleiter der Finanzbuchhaltung bei der Stadt Dessau-Roßlau und Hochschuldozent für Öffentliche Finanzwirtschaft und Kommunalverfassungsrecht am Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz. Daneben ist er Lehrbeauftragter und Fachkoordinator für Kommunales Haushalts- und Kassenrecht am Studieninstitut für Kommunale Verwaltung Sachsen-Anhalt e.V. sowie Fachberater des Fachverbandes der Kommunalkassenverwalter Sachsen-Anhalt e.V. für kommunales Haushalts-, Kassen-, Vollstreckungs- und Abgabenrecht.
Oliver Junk ist Professor für Verwaltungsrecht mit dem Schwerpunkt Kommunalrecht am Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz. Er studierte von 1996 bis 2001 Rechtswissenschaften in Marburg/Lahn und Bayreuth. Er wurde mit einer kommunalrechtlichen Arbeit zum Thema „Das Konnexitätsprinzip in der Bayerischen Verfassung (2006) promoviert. Das Kommunalrecht kennt Prof. Dr. Oliver Junk auch aus der Praxis. Von 2002 bis 2011 war er ehrenamtlicher Stadtrat der Stadt Bayreuth, von 2011 bis 2021 hauptamtlicher Oberbürgermeister der Stadt Goslar.