Tag der Erneuerbaren Energien in Oederan
Oederan feierte den Tag der Erneuerbaren Energien jedes Jahr, zumindest bis zur Corona-Pandemie. Dazu findetauch ein Markt statt.
© Stadt Oederan

Klimaschutz

Tag der Erneuerbaren Energien erfunden - doch es dreht sich kein Windrad

Eine 8.000-Einwohner-Stadt zwischen Dresden und Chemnitz hat den Tag der Erneuerbaren Energien erfunden. Das war 1996. KOMMUNAL wollte wissen, was sich seither im sächsischen Oederan beim Klimaschutz getan hat. Die Kommune betreibt erfolgreich Klimaschutzpolitik - doch Windräder lehnt sie ab.

Der Bürgermeister hat sein Büro derzeit im ehemaligen Gerichtsgebäude. Im Erdgeschoss führt – ein bisschen gruselig -  eine düstere Steintreppe in den unterirdischen Gang hinüber zum alten Gefängnis. Das einstige Gericht dient seit Jahren als Ausweichquartier der Stadtverwaltung, denn das Rathaus auf dem Marktplatz in Oederan wird immer noch saniert. Im Hof der momentanen Unterkunft ist die neue Zeit aber schon längst sichtbar angebrochen: Dort steht das E-Auto der Stadtverwaltung. Eigentlich. „Wie meistens, ist gerade jemand damit unterwegs“, sagt Bürgermeister Steffen Schneider mit Blick auf die verwaiste Ladestation. Man merkt, das freut ihn. In seinem Amtszimmer oben angekommen, fällt einem gleich die Sammlung des „european energy award“ auf dem Sideboard ins Auge. Den Zertifizierungs-Preis für die Erfolge der Kommune bei Energieeffizienz und Klimaschutz hat die Stadt Oederan gleich viermal verliehen bekommen.

Tag der Erneuerbaren Energien

Kleine Stadt, große Wirkung. Die Nachwendegeschichte der sächsischen Kleinstadt am Fuße des Erzgebirges ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte in Sachen kommunaler Klimaschutz. Denn hier wurde 1996 – zehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – der Tag der Erneuerbaren Energien erfunden.  KOMMUNAL will beim Besuch in Oederan natürlich wissen, wie das damals war, fünfeinhalb Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. Eine Zeit, in der die neuen Bundesländer noch viele andere große Probleme zu bewältigen hatten.  Steffen Schneider, der heutige Bürgermeister, arbeitete damals als Hauptamtsleiter im Rathaus. Weil der eigentliche Erfinder des Tages der Erneuerbaren Energien der damalige Energiebeauftragte der Stadt war, bittet der Bürgermeister ihn aus dem Nachbarbüro zum Gespräch dazu. Eberhard Ohm erzählt auf ruhige, unaufgeregte Art, wie es dazu kam, dass Oederan in den Nachwendejahren eine  Klimaschutz-Aktion mit ungeahnten bundesweiten Folgen startete. „Bei uns hatte sich im Januar 1989 ein kirchlicher Ökokreis gegründet, es war längst klar, dass es nicht mehr so weitergehen konnte. Zu  DDRZeiten wurde ja kaum auf Luftreinhaltung geachtet“, schildert Ohm die Anfänge.

Solargestützte Nahwärmeversorgung

Im wiedervereinigten Deutschland habe die Stadt dann schnell die neuen Chancen genutzt. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft entschied sich mit der Stadt für eine solargestützte Nahwärmeversorgung für 600 Wohnungen im Plattenbaugebiet. Die Kohleofen-Heizungen wurde durch eine zentrale Erdgaswärmeversorgung ersetzt. Mit einer 700-Quadratmeter-Solarthermie-Fläche bekam Oederan damit eine der größten Anlagen damals in Deutschland, das Modellprojekt wurde vom Sächsischen Umweltministerium gefördert und zudem wissenschaftlich begleitet. Als sich die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zum  10. Mal jährte, nahm die Stadt zwischen Dresden und Chemnitz  das traurige Jubiläum zum Anlass, um zu zeigen: „Es geht auch anders.“ Die Stadt wollte den Bürgern aber nicht nur das moderne Heizwerk demonstrieren, sondern auch andere klimafreundliche Möglichkeiten, die sie selbst nutzen können.

„Es war eine Win-Win-Situation. Wir gaben dabei den Betreibern die Gelegenheit, ihre Energieanlagen vorzustellen. Und die Oederaner erfuhren alles über Solar-, Wind- und Wasserkraft.“ 26 Anlagen zwischen der Oberlausitz und dem mittleren Erzgebirge konnten besichtigt werden. Es dauerte nicht lange, da zogen andere Bundesländer im Osten wie Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt nach. „1998 trafen wir dann die Stromrebellen aus dem Schwarzwald, sie haben unsere Initiative aufgenommen und weitergetragen“, erzählt Ohm. „Es ist ein tolles Gefühl, dass unsere Idee bundesweit Nachahmer fand“, sagt der Vater des Tages der Erneuerbaren Energien.

Eigene Internetseite zum Energietag gestartet

Im Jahr 2000 startete Oederan die Internetseite www. energietag.de. 2003 nahmen bereits über 1.000 Anlagenbetreiber beim Tag der Erneuerbaren Energien in ganz Deutschland teil – immer am letzten Samstag im April. In den vergangenen zwei Jahren wegen Corona allerdings nur virtuell. An dem Tag findet sonst in Oederan gleichzeitig der Natur- und Frühlingsmarkt statt und es können die örtlichen Klimaschutz-Vorzeigeprojekte besichtigt werden. Und davon gibt es inzwischen viele in Oederan: Das Prunkstück ist die Nahwärmeinsel in der Altstadt.

Eberhard Ohm und Bürgermeister Steffen Schneider
Der Vater des Tages der Erneuerbaren Energien, Eberhard Ohm (l.) und Bürgermeister Steffen Schneider in der Heizzentrale der Nahwärmeinsel.

Beim KOMMUNAL-Besuch führen Bürgermeister Schneider und Eberhard Ohm, heute für Energie- und Gebäudemanagement zuständig, durch das Herzstück der Energieversorgung im Altstadtquartier. Beeindruckend: In einem denkmalgeschützten Wohnhaus ist die Energiezentrale für 21 Häuser untergebracht. Von hier aus werden neben den privaten Wohn- und Geschäftshäusern die Stadtbibliothek, Museum, Archiv, Bürgersaal und das umzubauende Rathaus versorgt. CO2-arm. „Mit dem Blockheizkraft, dem Pelletkessel und dem Erdgas-Spitzenlastenkessel wird bis zu 950 Kilowatt Wärmeleistung erzeugt“, erläutert Bürgermeister Schneider. Es riecht nach Holz, und gemäßigte Sauna-Wärme umgibt einen inmitten kühler innovativer Technik. Das Wärmeinsel-Projekt hat die Stadt gut 2 Millionen Euro bei einer 77-prozentigen Förderung von Bund und Land gekostet. Stolz ist Oederan auch auf seine vielen Photovoltaik-Dächer und die zertifizierte Passiv-Sporthalle

mit einer speziellen Dämmung aus geschäumtem Altglas und mit Solarzellen auf dem Dach.  Für Bürgermeister Schneider steht fest: „Eine Kommune, die in den Klimaschutz investiert, spart damit langfristig.“

Ortsansicht Oederan
Oederans Ortskern wird über eine umweltfreundliche zentrale Nahwärmeanlage versorgt.

Windkraftanlagen lehnt Oederan ab

Aber wo bleibt die Windkraft in Oederan? Bei dem Thema kommt der Bürgermeister richtig in Schwung. „Wir können uns als Stadt der Erneuerbaren Energien vor Anfragen von Windparkbetreibern kaum retten“, berichtet er. Die interessierten Projektierungsfirmen hätten zumeist schon vor Jahren klammheimlich mit den Landeigentümern ohne Wissen der Stadt Verträge abgeschlossen, um Potentialflächen zu sichern. Im Ergebnis habe das zu erheblichen Widerständen sowohl im Stadtrat als auch in der Bevölkerung geführt.  Zwei Bürgerinitiativen haben sich  formiert – und auch der Bürgermeister, das wird bald deutlich, möchte lieber auf andere Formen der erneuerbaren Energien vor Ort setzen. „Schauen Sie mal, unser Kirchturm ist 62 Meter hoch, die neuen Windräder sind 250 Meter hoch“, sagt Schneider während des Rundgangs durch die Altstadt.

Sein Blick wandert hinauf zur Kirchturm-Spitze.  „Wir wollen keine Verspargelung der Landschaft, wir wollen unsere Hügellandschaft unversehrt erhalten“, sagt ausgerechnet der Mann, der nun schon in der zweiten Amtsperiode die Stadt der Erneuerbaren Energien führt.  Doch Oederan wäre nicht Oederan, wenn es nicht einen Alternativplan hätte. „Wir sind besonders den hier lebenden Menschen, der Tourismuswirtschaft und der Landwirtschaft in diesem Zusammenhang verpflichtet und deshalb ist Photovoltaik für uns die Lösung. Nach unseren aktuellen Vorstellungen könnten locker mehr als das Anderthalbfache des Jahresstromverbrauchs der Stadt erzeugt werden - ohne unzumutbare Veränderung des Landschaftsbildes", so Schneider.

Grafik Kirchturm Windrad



Der  Ausbau der erneuerbaren Energien geht in Deutschland noch zu langsam voran. Voriges Jahr konnten laut Bundesumweltamt 19,3 Prozent des deutschen Endenergie-Verbrauchs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Das Sorgenkind ist

mittlerweile die Windkraft. In diesem Jahr gingen in den ersten neun Monaten nach einer Flaute zwar wieder mehr Windenergie-Anlagen ans Netz, doch der Rückstand lässt sich nur schwer aufholen. Das hat verschiedene Gründe. Viele Kommunen, die Windparks planen, stoßen bei der Bevölkerung auf Widerstand. „Ich würde mir wünschen, dass die Bedürfnisse der Menschen vor Ort mehr berücksichtigt werden“, sagt auch Oederans Bürgermeister Schneider. „Regierungen sollten nicht nur strikt ihre Pläne für die jeweilige Energieart umsetzen wollen. Flexibilität ist gefragt.“

Windkraftausbau soll vorangetrieben werden

Doch oft  kollidiert diese Einstellung  mit den klimapolitischen Zielen der Landesregierungen und des Bundes. Die künftige Bundesregierung will den Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch beschleunigen. Zwei Prozent der Landesflächen sollen für die Windkraft an Land ausgewiesen werden. In den ersten drei Quartalen 2021 wurden  über Windkraftanlagen acht Prozent weniger Strom als im Vergleichszeitraum 2020 erzeugt. Als Hauptgründe nennt die Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien Statistik (AGEE-Stat) mehr windschwache Zeiten und zu wenig neue Windanlagen. Da die Sonne nicht so oft schien, konnte auch über Photovoltaikanlagen nicht so viel Strom gewonnen werden. Die Ausschreibungsmodalitäten sorgen zudem dafür, dass sich ein Windpark nicht mehr so schnell verwirklichen lässt. Die mögliche Ampel-Koalition hat angekündigt, die Verfahrensdauer deutlich zu verkürzen. „Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat immerhin dazu geführt, dass PV und Wind heute die kostengünstigsten Energieträger sind“,  betont der Bundesverband der Erneuerbaren Energien.

Bürokratische Hürden, fehlende Akzeptanz

„Die wesentliche Ursache für die unzureichende Ausbaudynamik bei der Windenergie an Land liegt meist nicht an der fehlenden Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger für die Energiewende, sondern ist vor allem durch ch die bestehenden administrativen Hürden begründet“, zeigt man sich dort überzeugt. Doch ohne die Menschen werden sich die Pläne nicht umsetzen lassen. Eine Studie will daher erkunden, wie sich die Akzeptanz etwa von Windanlagen erhöhen lässt. Sie wird von der Agentur für Erneuerbare Energien, vom Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme und vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung durchgeführt und läuft seit Juni 2020 bis 31. Oktober 2022.

Letzte Station unserer Besichtigungstour in Oederan ist der Platz, an dem alles begann: das alte Heizwerk. Die Garage, wie sie genannt wird. Denn die 25 Meter hohen Schlote sind längst abgerissen. Auf dem Platz vor dem grauen Bau hatten die Oederaner den ersten Tag der Erneuerbaren Energie gefeiert. Von hier aus kann man den ganzen Ort sehen. Eine kleine Stadt mit großer Wirkung.



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Fotocredits: Fotos: Gudrun Mallwitz/adobestock/Grafik Melina Werner