Vorsorge gegen Wetterextreme
Starkregen: Digitaler Zwilling im Dienst der Kommunen
Deutschlandweit nehmen Wetterextreme zu - auch in Rheinland-Pfalz. Mit einem groß angelegten Projekt will das Land den Kommunen Werkzeuge an die Hand geben, um sich besser zu schützen. HydroZwilling nennt sich das Simulations-Fachsystem mit 3D-Visualisierung für Sturzfluten und Flusshochwasser. Das Besondere: Die verwendete Modellierungs- und Visualisierungs-Software rechnet die Überflutungsszenarien - auf Grafikkarten und sehr vielen Prozessoren - für extrem große Gebiete in extrem kurzer Zeit.
Das System ist Teil des nach dem Ahr-Hochwasser entwickelten 7-Punkte-Plans Hochwasservorsorge, des RLP-Zukunftsplans Wasser und Leitprojekt der Digitalstrategie des Landes. Bislang gibt es für diese Art von Software nur einige wenige Anbieter. Das Land arbeitet daher mit einer in Sachen "Visuell Computing" führenden österreichischen Forschungseinrichtung, der VRVis GmbH, in einer Entwicklungskooperation zusammen.
Starkregen und Hochwasser: aktuelle Wetterdaten simulieren
Annalena Goll ist die fachlich zuständige Referentin für Hochwasservorsorge und Hochwasserrisikomanagement im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität. Sie hat im Bereich der Hydrodynamischen Simulation promoviert. "Damals mussten wir allerdings nach Eingabe der Daten noch stundenlang, manchmal über Tage, auf Ergebnisse warten. Das geht jetzt deutlich schneller, in wenigen Minuten. Mit dem Projekt HydroZwilling wollen wir in Rheinland-Pfalz dahinkommen, zukünftig Starkregen- und Hochwasserereignisse tatsächlich anhand aktueller Wetterdaten zu simulieren und die flächenhafte Ausdehnung zu prognostizieren.
Bis dahin ist es noch ein Weg, aber schon jetzt lassen sich mithilfe dieser Software eine Menge Informationen, zum Beispiel zu potenziellen Schutzmaßnahmen, ermitteln, die für Kommunen und die für den Schutz der Bevölkerung arbeitende Organisationen wichtig sind", sagt Annalena Goll. Im kommenden Jahr sollen zusätzlich zu den neuen Sturzflutgefahrenkarten, die Ende 2023 bereits veröffentlicht wurden, die Hochwassergefahrenkarten für rund 2.800 Kilometer Fließgewässer in Rheinland-Pfalz mit der Software komplett neu berechnet werden.
Noch ein Problem für den HydroZwilling: veraltete Daten
Für den Schutz und die bessere Vorsorge seiner Kommunen nimmt das Land eine Menge Geld in die Hand: 8 Millionen Euro stehen im Raum. Ein großerer Teil, erläutert Annalena Goll, fließe auch in eine zunächst drei Jahre währende Vermessungskampagne der Fließgewässer und Uferbereiche. "Unsere vorhandenen Daten der Gewässer sind für ein solch hochaufgelöstes System teilweise viel zu alt", erklärt Annalena Goll. Erforderlich ist zukünftig aber auch ein eigener Beitrag der Kommunen. Die kleinteiligen, möglichst exakten Daten, zum Beispiel von Durchlässen, aus den Kommunen müssen nach und nach eingepflegt oder verbessert werden, damit die Software - ein eigener Server ist dafür vonnöten - immer bessere Ergebnisse produzieren kann.
Aber natürlich werden die Kommunen, wenn das Programm erst einmal läuft, auch selber profitieren. Annalena Goll nennt ein Beispiel. "Wenn zukünftig eine Kommune ein neues Baugebiet ausweisen will, dann lässt sich vorab sehr exakt simulieren, welche Auswirkungen die potenzielle Bebauung im Starkregenfall auf die umliegenden Ortschaft haben wird."
Neben den EU-weit vorgegebenen Pflichtszenarien für die Hochwassergefahrenkarten - seltenes, mittleres und häufiges Überflutungsszenario - werden mit dem neuen System auch diverse weitere Überflutungsszenarien für alle Fließgewässer des Landes simuliert. Das System wird die Lücke zwischen Sturzflut- und Hochwassergefahrenkarten schließen und damit sogenannte Wassergefahren nahtlos für die gesamte Landesfläche darstellen. "All das wird den Kommunen hoffentlich zukünftig helfen, sich deutlich vorausschauender als bisher auf Wetterereignisse vorzubereiten", bilanziert die Fachfrau.
Pilotphase startet schon 2025
Im kommenden Herbst wird das System HydroZwilling in einer Pilotphase bereits in zwei ausgewählten Kommunen getestet. Nach entsprechenden Fehleranalysen und Anpassungsleistungen soll die Software auf einer eigens eingerichteten Plattform für ganz Rheinland-Pfalz bis zum Sommer 2025 an den Start gehen. Eine Bedienung wird für die Kommunen via Browser möglich sein. Mithilfe eines etwas schlankeren Zugangs sollen dann auch Eigenheimbesitzer von dem umfangreichen Tool in einer 3D-Umgebung profitieren." Privatanwender werden nicht wirklich selbst simulieren. Aber sie werden anhand der neuesten Modellrechnungen für ihr eigenes Gebäude sehr anschaulich erkennen können, woher das Wasser kommen kann und wo ihr Haus gefährdet ist", unterstreicht Annalena Goll.
Andere Bundesländer sollen profitieren
Das Land Rheinland-Pfalz ist das erste Flächenbundesland, das einen 3D-HydroZwilling für das gesamte Landesgebiet berechnet und für die Öffentlichkeit zugänglich macht. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt steht man mit anderen Landesverwaltungen im Austausch. Bisher rechnen lediglich die Großstädte Köln und Hamburg mit der Software des Forschungszentrums. Annalena Goll: "Natürlich werden wir unsere Erfahrungen gerne mit anderen Bundesländern teilen. Das Vorgehen wird sich sicherlich auf andere Bundesländer übertragen lassen."
Weiterführende Informationen zum Projekt HydroZwilling finden Sie auf der Homepage des Landes Rheinland-Pfalz.