Bushaltestelle
Zum 1. Januar 2022 müsssen alle Haltestellen in in Deutschland barrierefrei sein.
© Stadt Frankfurt am Main

Neues Gesetz

Haltestellen müssen schnell barrierefrei werden

Bisher wenig beachtet tritt im Januar 2022 ein neues Gesetz zur Barrrierefreiheit in Kraft. Es betrifft Bushaltestellen und Straßenbahnlinien. Zuständig sind die Kommunen. KOMMUNAL hat sich umgehört und gibt Tipps, wie Städte und Gemeinden barrierearm werden können.

Der Bordstein an der Bushaltestelle ist genauso hoch wie überall an der Straße. Der Fahrplan des Linienbusses ist in einem ganz normalen Rahmen angebracht, wer sich Mühe gibt, kann ihn gerade noch so lesen. Der Gehsteig ist schmal: Rollstuhlfahrer oder Mütter und Väter mit Kinderwagen können kaum drehen. Das ist der Alltag an deutschen Haltestellen, auch im Oktober 2021. Dabei sollte es eigentlich längst anders sein. Das Personenbeförderungsgesetz nämlich schreibt vor, dass zum 1. Januar 2022 alle Haltestellen in Deutschland barrierefrei sein müssen, sofern in der örtlichen Nahverkehrsplanung keine Ausnahmen geregelt seien.

Barrierefreiheit an Haltestellen nicht einklagbar

„Es ist schön, dass es diese Gesetzesnovelle gegeben hat“, sagt Christina Marx, Leiterin der Abteilung Aufklärung bei der „Aktion Mensch“. „Aber für uns ist es mehr als nur ein Wermutstropfen, dass die Barrierefreiheit von Haltestellen nicht einklagbar ist und Ausnahmen weiterhin zulässig bleiben.“ Denn heute sind selbst große Städte noch weit von einem barrierefreien Haltestellennetz entfernt: In Frankfurt am Main etwa sind von 1.350 Haltestellen nach Angaben der städtischen Nahverkehrsgesellschaft traffiQ bislang 760 Stationen barrierefrei umgebaut. Fast die Hälfte fehlt also noch. Immerhin: Die Stadt gibt jährlich rund 3,5 Millionen Euro für den Haltestellenumbau aus. „Die barrierefreie Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, der wir zügig nachkommen müssen“, sagt Mobilitätsdezernent Stefan Majer. Deswegen sollen im Herbst und Winter weitere Haltestellen barrierefrei ausgebaut werde

Schild Rollstuhlfahrer Barrierefreie Rampe

Kommunen für Umbau zuständig

Zuständig für den Umbau von Bus-, Straßenbahn und U-Bahn-Haltestellen sind die Kommunen. Das führt dazu, dass sich auch kleinere Gemeinden mit dem Thema beschäftigen müssen: Im hessischen Naumburg etwa gab die Stadtverordnetenversammlung im September grünes Licht für den Umbau von vier Bushaltestellen. „Der barrierefreie Ausbau von Bushaltestellen wird vom Land Hessen gefördert und bedeutet in der Hauptsache, dass die Haltestellen einen Bord erhalten, an den der Bus so anfahren kann, dass zwischen dem Gehweg und dem Bus nur noch ein kleiner Spalt besteht, der mit Rollstühlen oder Rollatoren problemlos überwunden werden kann“, so die Stadtverwaltung. Zu der Barrierefreiheit gehören auch Querungshilfen für Sehbehinderte und Unterstellmöglichkeiten, von denen aus man den anfahrenden Bus sehen kann und die auch für den Fahrer einsehbar sind



Denn bei der Barrierefreiheit im ÖPNV geht es längst nicht mehr nur um die Frage, wie der Rollstuhlfahrer in den Linienbus kommt. „Wir sagen: Wir brauchen eine Barrierefreiheit für alle“, sagt Karl-Peter Naumann, Mitglied im Bundesvorstand des Fahrgastverbands „Pro Bahn“. „Jeder, ganz gleich ob Rollstuhlfahrer, ob Familie mit Kinderwagen, älterer Mensch mit Rollator oder Reisende mit viel Gepäck, muss ohne Schwierigkeiten auf einen Bahnsteig oder in den Bus kommen können.“ Die Bedürfnisse der einzelnen Fahrgastgruppen sind dabei aus Sicht von Naumann höchst unterschiedlich. So müsse bei Umsteigepunkten genau darauf geachtet werden, dass die zurückzulegenden Wege kurz seien. „Auch ein langer Weg kann eine Barriere sein“, so Naumann. Er habe kürzlich selbst wieder erlebt, wie eine Bekannte von ihm im Elektrorollsuhl plötzlich viel schneller am Ziel war als er selber.

Wir brauchen eine Barrierefreiheit für alle,"

Karl-Peter Naumann, Mitglied im Bundesvorstand des Fahrgastverbands „Pro Bahn"

Für die konkrete Gestaltung von Haltestellen gibt es mancherorts ganze Leitfäden im Internet: So hat etwa der Karlsruher Verkehrsverbund eine entsprechende Broschüre in Absprache mit dem Fahrgastbeirat und dem Beirat für Menschen mit Behinderungen der Stadt Karlsruhe erstellt. Er empfiehlt etwa die Höhe von Bordsteinkanten oder taktile Leitsysteme für Menschen mit Sehbehinderungen. Bei Bushaltestellen sollten Kommunen auf den „Kasseler Sonderbord“ setzen, sagt auch Pro-Bahn-Vertreter Naumann. Dabei handele es sich um einen Bordstein mit einer Ausbuchtung. „Damit kann der Bus dicht an den Kantstein heranfahren, ohne dass er sich die Reifen kaputtfährt“, sagt Naumann. „Das gilt übrigens auch für Fernbushaltestellen – auch für sie sind ja die Kommunen zuständig.“

Das Mehr-Sinne-Prinzip

Doch wichtig ist Naumann auch, dass Informationen nach dem „Mehr-Sinne-Prinzip“ angeboten werden: Dass es also auch einen Knopf gibt, wie in Kassel, den Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit drücken können, um sich dann von einer Computerstimme die nächsten Abfahrten der Straßenbahn vorlesen lassen zu können. „An vielen Haltestellen ist man mit einer Sehbehinderung hilflos“, sagt Naumann. „Für Sehbehinderte ist es wichtig, dass alle Anzeigen und alle Blindenleitstreifen mit größtmöglichem Kontrast vorhanden sind.“ Anzeigen mit Leuchtpunkten etwa hätten oft nur mittleren Kontrast zu bieten. Und auch Fahrkartenautomaten seien für Sehbehinderte, „manchmal aber auch für Menschen ohne jede Behinderung“, zuweilen nicht benutzbar – wenn nämlich die Sonneneinstrahlung das Display des Geräts unlesbar macht.

"Aktion Mensch": Barrierefreie Apps



Ähnlich argumentiert auch „Aktion Mensch“-Expertin Christina Marx. Haltestellen müssten „räumlich und kommunikativ barrierefrei“ sein. Rampen und Aufzüge gehörten ebenso dazu, wie eine Möglichkeit, sich Fahrpläne vorlesen zu lassen. Ähnlich wie Naumann empfiehlt sie das

„Mehr-Sinne-Prinzip“ - aber nicht nur für die Haltestellen. „Auch die Apps, die es in den Verkehrsverbünden gibt, müssen barrierefrei sein und von Menschen mit Einschränkungen genutzt werden können“, fordert sie. Denn gerade an Haltestellen, wo nur wenige Mal am Tag ein Bus hält, wird man wohl kaum digitale Infomationssysteme mit Sprachausgabemöglichkeiten installieren. „Hier kann eine App helfen – vorausgesetzt, sie ist so gestaltet, dass sie auch von Menschen mit Einschränkungen verwendet werden kann.“ Und auch das Personal der Verkehrsgesellschaften müsse regelmäßig im Umgang mit Menschen mit Handicap geschult werden. „Die beste barrierefreie Haltestelle nutzt nichts, wenn der Busfahrer zu weit vorfährt und die Tür nicht mehr barrierefrei erreichbar ist.“

Chrstina Marx

Die beste barrierefreie Haltestelle nutzt nichts, wenn der Busfahrer zu weit vorfährt und die Tür nicht mehr barrierefrei erreichbar ist.“

Christina Marx von "Aktion Mensch"



Wozu der Vertreter des Fahrgastverbands, Karl-Peter Naumann, den Kommunen rät? „Setzt Euch mit den Betroffenen zusammen“, sagt Naumann. „Diskutiert mit ihnen, fragt sie nach ihren Bedürfnissen.“ Das gelte im Übrigen nicht nur für Menschen mit Einschränkungen: Bei jeder Haltestellenplanung sollten Fahrgäste und deren Interessen immer mit einbezogen werden, empfiehlt Naumann. „Es gibt genügend Menschen, denen es schwerfällt, über Kopfsteinpflaster zu laufen, ohne dass sie ein besonderes Handicap hätten.“

Und auch Christina Marx rät dazu, sich mit Behindertenverbänden oder einschlägigen Fachstellen zu beraten, bevor irgendwo Planungen für barrierefreie Haltestellen in Auftrag gegeben werden. „Es ist sinnvoll, Menschen mit Behinderungen von Anfang an in alle Planungen mit einzubeziehen“, meint Marx. Denn wenn sich hinterher herausstellen würde, dass eine Haltestelle eben doch nicht barrierefrei sei und aufwendig umgebaut werden müsste, werde es für die Kommune meist nur unnötig teuer. „Doch leider passiert das in der praktischen Kommunalpolitik noch immer viel zu selten.