Bürgerkommune: Die engagierte Stadt!
Text über Bürgerkommune von Annette Lübbers
Schwerte in Westfalen: Geprägt wurde die kleine Stadt im Mittelalter nicht nur von seinen Schützenvereinen, sondern auch von seinem Schichtwesen. Eine ganz besondere Tradition aus dem 15. Jahrhundert, die es nur in wenigen deutschen Städten gab: Als Schicht wurde ein städtischer Unterbezirk bezeichnet, der aus einer Nachbarschaft von etwa 30 Häusern bestand. Die Bewohner sorgten gemeinsam für den Brandschutz, hielten die Wege in Ordnung, pflanzten und schlugen Bäume, verteilten das Holz und besorgten gemeinsam mit den Schützen den Wachdienst für ihren Bezirk. Unter der Leitung eines Schichtmeisters trugen so alle Bewohner zum „Schicht-Wohl“ bei. „Heute“, sagt Herbert Dieckmann, Ratsmitglied in Schwerte, „ist die Politik dort eingezogen, wo sich damals die Bürgerschaft engagierte.“ Herbert Dieckmann möchte – gemeinsam mit vielen anderen Schwertern – in moderner Form an das traditionelle Schichtwesen anknüpfen:
Schwerte soll eine Bürgerkommune werden. Eine Kommune, in der Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement zur Regel und nicht zur Ausnahme gehören.
Bürgerkommune: Man muss die Wünsche der Bürger ernst nehmen
Bereits seit fünf Jahren gibt es eine jährliche Vernetzungskonferenz, deren Mitglieder unter dem Titel „Mitmachen – Mitbestimmen – Mitgestalten“ versuchen, die Kräfte in der Stadt zu bündeln. Beteiligt sind das bürgerschaftliche Engagement, an Fragen der Stadtentwicklung interessierte Wirtschaftsakteure sowie kommunalpolitisch aktive Kräfte. Aber erst mit der Teilnahme am bundesweiten Förderprogramm „Engagierte Stadt“ kam neuer Schwung in die alte Idee. Ein Konsortium – bestehend aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und verschiedenen Stiftungen – bewilligte Schwerte im September 2015 erstmals Fördergelder in Höhe von 50.000 Euro für zwei Jahre. Seitdem tagt in der westfälischen Kleinstadt eine sogenannte Entwicklungsgruppe. Insgesamt 26 Männer und Frauen aus Verwaltung, Kommunalpolitik, Wirtschaft und bürgerschaftlichem Engagement treffen sich regelmäßig und streiten über geeignete Maßnahmen, um Bürgerschaftsbeteiligung nachhaltig zu entwickeln. Mit dabei ist auch Philipp Halbach. Der Unternehmer hat nicht lange überlegt, als er um Teilnahme gebeten wurde: „Als Familienunternehmen sind wir natürlich stark mit der Stadt verwurzelt. Für mich war das deshalb eine spannende Herausforderung, die ich gerne angenommen habe. Ich denke, dass Politik und Verwaltung gut daran tun, Antennen für die Wünsche ihrer Bürger zu entwickeln und diese Wünsche dann auch ernst zu nehmen.“ Einfach war der Start nicht. Anke Skupin, Projektkoordinatorin im Kultur- und Weiterbildungsbetrieb der Stadt, erinnert sich: „Die ersten Sitzungen mit so unterschiedlichen Akteuren verliefen natürlich erst einmal holprig. Den Wirtschaftsvertretern ging vieles zu langsam und die Verwaltungsfachleute fanden die Rahmenbedingungen schwierig.“
Seitdem hat sich in Schwerte eine Menge getan. Eine spezielle Webseite zum Bürgerengagement dient als Portal, das Information, Beteiligung und Bürgerengagement unter einem Dach vereint. Die Entwicklungsgruppe hat Ende 2017 Eckpunkte verabschiedet. Zu den Punkten gehören unter anderem die Einrichtung und Etablierung eines Gremiums Bürgerkommune, die Sicherstellung eines transparenten Informationsflusses zwischen Stadt und Bürgern und die Stärkung einer Kultur der Wertschätzung ehrenamtlichen Engagements. Eine Koordinierungsstelle soll den Prozess begleiten und eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Verwaltungsangestellten aus unterschiedlichen Bereichen, soll die Bürgerbeteiligung in die bestehenden Verwaltungsstrukturen einpassen und weiterentwickeln.
Die ersten Projekte werden umgesetzt
Einige Punkte aus der gemeinsam erarbeiteten Vorhabenliste wurden bereits umgesetzt. Etwa das Projekt Schülerhaushalt: In einem Pilotprojekt haben die Schüler einer Schwerter Grundschule im Januar gemeinsam und demokratisch über ein von der Stadt und Sponsoren zur Verfügung gestelltes Budget entschieden. Ziel des Projektes: Förderung des Verständnisses von demokratischen Entscheidungsprozessen. Sabine Reetz, stellvertretende Bereichsleiterin Schule und Sport der Stadt Schwerte: „Die Kinder haben diesen Prozess mit einem unglaublichen Eifer und einer beispielhaften Ernsthaftigkeit betrieben. Ein wirklich tolles Projekt, das auf jeden Fall auch an weiteren Schulen umgesetzt werden soll.“ Als weiteren Meilenstein auf dem Weg zur Bürgerkommune gilt den Projektmitgliedern der Bürgerbrunch, zu dem die Stadt Schwerte und das Freiwilligenzentrum „Die Börse“ erstmals im Dezember 2017 eingeladen hatten. Bei Kabarett und Musik wurden alle ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürger geehrt.
Besonders stolz sind die Mitglieder der Entwicklungsgruppe aber auf die Stadtteilkonferenzen, die es zukünftig regelmäßig in Schwerte geben soll.
An sogenannten „Thementischen“, deren Inhalte vorab aus Initiativen und Vereinen abgefragt werden, sollen Verwaltungsmitarbeiter den Dialog mit den Bürgern suchen.
Anke Skupin: „Wir glauben, dass die frühe Beteiligung der Bevölkerung an städtischen Projekten mit dafür sorgen wird, dass die Bürger sich ganz anders mit städtischen Vorhaben identifizieren, als wenn sie – meist zu einem sehr späten Zeitpunkt – nur informiert werden. Natürlich werden die Entscheider nach wie vor im Rathaus sitzen, aber durch die Einbeziehung der Bürger werden beide Seiten – hoffentlich – klüger agieren.“ Und Jochen Born, Diplom-Pädagoge und Mitglied der Entwicklungsgruppe, fügt an: „Die Stadtteilkonferenzen sorgen für Informationsaustausch und Diskussion. Beides ist notwendig, wenn Meinungsbildungsprozesse qualifiziert ablaufen sollen.“ Stadtteilkonferenzen: Eine Form der Bürgerbeteiligung, die dem mittelalterlichen Schichtwesen nahe kommt und zukünftig Fehlentscheidungen wie die von 1992 verhindern soll. Damals beschloss die Stadt das beliebte städtische Elsebad, 1939 am Rand von Schwerte erbaut, zu schließen. Nur um das Bad sechs Jahre später – nach einem erfolgreichen Bürgerbegehren – wieder zu eröffnen. Das zwischenzeitlich für viel Geld gebaute Freizeit-Allwetterbad wurde dagegen schon nach wenigen Jahren wieder abgerissen. Herbert Dieckmann konstatiert: „Diese Millioneninvestition belastet bis heute den städtischen Haushalt.“ Lehrgeld, das die zukünftige Bürgerkommune Schwerte nicht noch einmal bezahlen will.
Eine Bürgerkommune hat positiven Einfluss auf das Leben der Bürger
Sabine Reetz glaubt, dass das Projekt Bürgerkommune langfristig aber auch die Strukturen und das Selbstverständnis von Verwaltung und Kommunalpolitik positiv verändern wird: „Ein zentraler Satz in meiner Ausbildung lautete noch: Prüfen Sie als allererstes, ob Sie für ein Anliegen überhaupt zuständig sind. Der Satz hat – leider – bis heute Gültigkeit. Und das geht gar nicht.“ Und Sigrid Reihs, Vorsitzende des Freiwilligenzentrums „Die Börse“, ergänzt: „Ich denke, dass der Prozess hin zur Bürgerkommune die Frustpotentiale sowohl für die Bürger als auch für Politiker und Verwaltungsangestellte verringern wird.“