nach der Bundestagswahl 2021 muss sich im Verhältnis zwischen Kommunen, Ländern und Bund einiges ändern, meint unser Zukunftsforscher
nach der Bundestagswahl 2021 muss sich im Verhältnis zwischen Kommunen, Ländern und Bund einiges ändern, meint unser Zukunftsforscher
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Neustart im Föderalismus

Bundestagswahl 2021: Kommunen können Krise

Der deutsche Föderalismus braucht einen Neustart, sagt unser Zukunftsforscher Daniel Dettling. Mit Blick auf die Bundestagswahlen heißt das aus seiner Sicht: „Statt den Bürgern von oben herab zu sagen, was sie zu tun haben, geht es darum, sie zum Mitmachen einzuladen.“

Spätestens nach der Bundestagswahl 2021 wird ein Umdenken im Verhältnis zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund einsetzen müssen. Die Corona-Krise hat die Notwendigkeit effektiven staatlichen Handelns in einer existentiellen Weise gezeigt. Äußere und innere Krisen lassen sich weder mit überbürokratisierten und schwach geführten Institutionen noch mit einer Rhetorik ideologischer Freiheit und Eigenverantwortung bewältigen. Gefordert und vorausgesetzt wird eine effektive Exekutive, eine vermittelnde Judikative und eine vorausschauende und ausgleichende Legislative. Staatliche Systeme müssen transparent und erreichbar sein. Die Bürger empfinden sich zunehmend als Prosumenten: als Produzenten öffentlichen Gemeinwohls und zugleich als Konsumenten staatlicher Leistungen und immer weniger als Verwaltungsobjekte.

Bundestagswahl 2021: Können autoritäre System Krise besser als die Demokratie? 

Corona stellt die Systemfrage auf neue und radikale Weise. Können autoritäre Systeme eine Pandemie besser bekämpfen als demokratische? Wo Diktaturen auf Überwachung, Verbote und Sanktionen setzen, verstehen sich liberale Demokratien als „Überraschungsgesellschaften“. Ihr aufgeklärter kooperativer Individualismus kann in Krisenzeiten zur großen Stärke mutieren, wenn Politik die Individuen nicht als Infektionstreiber und Störer, sondern als Ideengeber und Problemlöser betrachtet. Nach „weniger Demokratie im Lockdown-Ausnahmezustand“ geht es künftig um die Weiterentwicklung der Demokratie im Normalzustand durch Aufklärung und Beteiligung. Statt Basta-Politik und Alternativlosigkeit geht es um innovative Verfahren und Instrumente des Mitgestaltens. Bei den jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigt sich nicht zuletzt der Durchbruch einer "Politik des Zuhörens", die auf eine neue Weise mit Interessenskonflikten und Bürgerprotesten umgeht. Es geht um eine Kommunikation des Zuhörens, die Handlungsfähigkeit und Kompromissfähigkeit der Bürgergesellschaft schult und nutzt. Politik wird hier als Vermittler und Konsensproduzent gefordert. Statt den Bürgern von oben herab zu sagen, was sie zu tun haben, geht es darum, sie zum Mitmachen einzuladen. In einer Koproduktiven Demokratie haben Bürger die Freiheit, Neues auszuprobieren und ihre Ideen mit der gesamten Gesellschaft zu teilen. Die Erfahrungen mit kommunalen Bürgerforen und -räten machen Mut und sollten auch auf nationaler und europäischer Ebene als verpflichtendes konsultatives Element etabliert werden. Bürgerbefragungen und Abstimmungen können bei nationalen oder europäischen Grundsatzfragen wie eine Impfpflicht oder die Einführung einer CO2-Steuer für die nötige Be- oder Entschleunigung sorgen. Intelligente Formen der direkten Demokratie zerstören das Repräsentationsprinzip nicht, sondern stärken es. Vor allem auf kommunaler Ebene.

Demokratie wird glokaler und bürgernäher 

Die zentralen Akteure sind die Bürgermeister. Der Trend zur Glokalisierung führt zu einer Renaissance der Städte und Gemeinden. Herausforderungen wie der Klimawandel und der Schutz gegen Corona werden am besten lokal und mit den Bürgern gelöst. In der Pandemie gehörten die Bürgermeister der Städte Augustusburg, Tübingen und Rostock zu den Trendsettern des neuen Glokalismus. In der Coronakrise standen sie für einen Weg der flexiblen Öffnungen im Lockdown. Statt nur auf Inzidenzwerte zu starren, setzen sie auf einen Mix aus Schnelltests und auf eine effektive (private) App zur Kontaktnachverfolgung. Ähnliches gilt für die kommende Krise, den Klimawandel. Die Verantwortung für die Klimaanpassung liegt hierzulande vor allen bei den Kommunen. Viele Städte erstellen Gefahrenanalysen, um sich besser gegen Hitzewellen und Hochwasser zu wappnen. Etliche Kommunen haben befristete Stellen für Klimaanpassungsmanager eingerichtet. In Nordrhein-Westfalen ist gerade ein Anpassungsgesetz verabschiedet worden. Kernbestandteil sind ein Klimafolgenmonitoring und ein Beirat, der eine Landesstrategie entwickeln soll. Kommunale Konzepte sollen gefördert werden. In den meisten Bundesländern handelt es sich bei der Klimaanpassung um eine freiwillige Aufgabe. Verschuldete Städte, die unter Finanzaufsicht stehen, können nur bedingt Maßnahmen ergreifen. In Kommunen, die besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind – dazu gehören vor allem die großen Ballungsgebiete und hochwassergefährdeten Städte und Gemeinden – sollte Klimaanpassung zur kommunalen Pflichtaufgabe werden.

Bundestagswahl 2021: Drei Dinge werden sich ändern 

Die Antwort auf die Corona- und die Klimakrise ist mehr Katastrophenkompetenz auf kommunaler Ebene. Es geht um drei Punkte: Einen Bewusstseins- und Mentalitätswandel, um das Wissen, dass wir Neuland betreten und Strategien präventiver Gegenwehr. Nichts wird mehr so sein wie früher! Die Zeit nach Corona wird eine andere sein als zuvor. Wir werden uns daher auf die nächste Pandemie und Großkrise vorbereiten: medizinisch, politisch, gesellschaftlich und individuell. Auch die Klimaveränderungen werden wir nicht mehr „zurückdrehen“ können. Wir werden mit den Folgen steigender Temperaturen und einhergehender Hitze- und Dürreperioden leben und uns an sie anpassen. Zweitens betreten wir Krisen-Neuland; wir bringen wenig Erfahrungen im Umgang mit solchen Krisen mit. Der dritte Punkt betrifft unsere Fähigkeiten zur Gegenwehr und Prävention: Wir können uns auf Störungen wie Pandemien und Klimawandel einstellen und sie abzufedern versuchen. Der Bonner Ökonom Moritz Schularick spricht in seinem neuen Buch („Der entzauberte Staat. Was Deutschland aus der Pandemie lernen muss“) vom „Resilienz-Paradox der Risikogesellschaft“: Wir müssen lernen, „neue Risiken einzugehen, um größere Risiken zu vermeiden.“

Krisenprävention muss mehr als 30 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs wieder großgeschrieben werden. Auf europäischer, nationaler und auf kommunaler Ebene. Pandemie-, Klima- und Katastrophenschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Im Verbund mit der EU müssen alle staatlichen Ebenen enger zusammenarbeiten, idealerweise in Echtzeit. Corona und Klimakrise erfordern einen stärker vorausschauenden und risikobereiten Staat. Präventive Krisenpolitik ist auf allen Ebenen flexibel und agil, kooperativ und konsensorientiert und pragmatisch risikobewusst. 

Weniger Hierachie auf allen Ebenen 

Leiten lassen sollten wir uns von dem Wissen, dass jene Gesellschaften und Organisationen besonders widerstandsfähig sind, die einen hohen Grad an Unterschiedlichkeit und Selbstregulation besitzen. Je unterschiedlicher die Experten und Mitarbeiter, je mehr Fähigkeiten und Perspektiven sie mitbringen, desto früher kann eine Katastrophe gesehen und desto agiler kann mit ihr umgegangen werden, wenn sie eintritt. Wo Menschen weniger hierarchisch und stärker in Teams und kooperativ arbeiten, desto besser und schneller können sie vor Ort auf die Herausforderung reagieren. Ein Übermaß an Zentralismus und starre Hierarchien kosten Zeit und Leben. Kommunen können Krise, wenn Bund und Länder sie machen lassen. Wir haben die Wahl: Ein Neustart des Föderalismus mit einem starken Staat und starken Kommunen.