Klärwerk Abwasser Wasser reinigen
In Wasser und Abwasser muss kräftig investiert werden.
© Adobe Stock

EU-Abwasserrichtlinie

Streit um Umbau von Kläranlagen

Pharma-Unternehmen sollen sich am Ausbau zusätzlicher Reinigungsstufen des Abwassers in den Klärwerken beteiligen. Die Industrie will dagegen klagen. Die neue EU-Abwasserrichtlinie fordert eine vierte Reinigungsstufe. Kommunen in Hessen zeigen, wie es geht – mit moderner Technik und klarem Umweltfokus.

Die Wasserqualität in Europa zu verbessern - dafür soll KARL sorgen. Das ist der Name der neuen EU-Kommunalabwasser-Richtlinie, die derzeit für Aufregung sorgt. Denn sie sieht vor, dass diejenigen, die mit ihren Produkten das Wasser am meisten belasten, zur Kasse gebeten werden. Die Hersteller von Arznei- und Körperpflegeprodukten sollen sich künftig an den Kosten der Abwasserbehandlung beteiligen. Denn das Wasser ist zunehmend mit Rückständen von Arneimittel, Chemikalien und Hormonen belastet. Doch die Industrie wehrt sich: Erste Klagen gegen die EU-Vorgabe sind angekündigt.

Neue EU-Richtlinie kostet Deutschland knapp 9 Milliarden Euro

Auf die Kommunen kommen mit der neuen Richtlinie große Investitionen zu: Ein Gutachten des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) beziffert die Kosten für den Ausbau und Betrieb der zusätzlichen Reinigungsstufen in Deutschland bis zum Jahr 2045 mit knapp 9 Milliarden Euro kosten. Nach der neuen EU-Richtlinie werden laut Gutachten in Deutschland bis 2045 etwas über 150 Anlagen mit einer Ausbaugröße von mehr als 150.000 Einwohnerwerten zum Ausbau einer vierten Reinigungsstufe verpflichtet. Weitere Anlagen müssen ertüchtigt werden, wenn sie zwischen 10.000 und 150.000 Einwohnern liegen und innerhalb noch zu definierender Risikogebiete einleiten. Somit müssten insgesamt 570 Klärwerke stufenweise umgebaut werden. Der Verband Pharma Deutschland, die Interessensvertretung von rund 400 Unternehmen, geht von weitaus höheren Baukosten aus - sie seien laut einer Untersuchung rund vier Milliarden Euro höher als das Gutachten des VKU vorhersage.

In den nächsten 20 Jahren muss die kommunale Wasserwirtschaft in Deutschland 800 Milliarden Euro investieren, um die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung in der gewohnten Qualität und Sicherheit zu erhalten, so die Prognose des Verbandes kommunaler Unternehmer.

Bisher ist in Deutschland die dreistufige Abwasserreinigung Standard:

  1. Mechanische Reinigung: Entfernung grober Partikel wie Sand, Papier oder Speisereste.
  2. Biologische Reinigung: Mikroorganismen bauen organische Substanzen ab.
  3. Chemische Reinigung: Phosphate und andere chemische Reststoffe werden ausgefällt

Die neue EU-Vorgabe fordert nun eine vierte Reinigungsstufe, die gezielt Spurenstoffe und Mikroverunreinigungen entfernt – ein wichtiger Schritt für den Schutz der Gewässer und des Trinkwassers.

Best Practice: Kläranlage Bickenbach als Vorreiter in Hessen

Die Gemeinde Bickenbach im Hessischen Ried hat jetzt im April 2025 als eine der ersten Kommunen in Hessen eine vierte Reinigungsstufe in Betrieb genommen. Die moderne Anlage entfernt Mikroverunreinigungen wie Medikamentenreste, Haushaltschemikalien und Hormone mit einer Kombination aus Ozonierung und Aktivkohlefiltration aus dem Abwasser und trägt so zum Schutz der Gewässer im Hessischen Ried bei. Finanziert wurde das Projekt mit 4,9 Millionen Euro durch das Land Hessen. Umweltstaatssekretär Michael Ruhl lobte die Maßnahme als „wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Spurenstoffstrategie im sensiblen Gebiet des Hessischen Rieds“, wo ein Viertel des hessischen Trinkwassers gewonnen wird.

Wasserprobe

Langfristige Strategie für das Hessische Ried

Seit 2016 schon hatten die Kommunen Bickenbach und Seeheim-Jugenheim gemeinsam mit dem Abwasserverband am Projekt gearbeitet. Nach einer intensiven Planungs- und Testphase ging die Anlage 2025 offiziell in Betrieb. Ende  2020 kam der Förderbescheid des Landes. Der Spatenstich war im April 2022. Zuerst gab es eine Testphase, die nun beendet ist. „Mit dieser Anlage sind nun drei vierte Reinigungsstufen in Hessen im Betrieb – zwei auf kommunalen Kläranlagen und eine auf einer Industriekläranlage“, sagte Staatssekretär Ruhl. „Weitere vierte Reinigungsstufen auf Kläranlagen im Ried befinden sich bereits in der Planung, und für vier Anlagen sind bereits Förderbescheide für den Ausbau ergangen."

Mörsfelden-Walldorf als Vorreiter

Bereits 2023 war die Stadt Mörfelden-Walldorf die erste Kommune in Hessen, die das Wasser mit einer weiteren Reinigungsstufe gezielt von Schadstoffen befreite - wie etwa von Medikamenten-Rückständen oder Pestiziden. Sie hat dafür als eine von wenigen Kläranlagen in Deutschland eine vierte Reinigungsstufe. Wissenschaftler stellen schon jetzt fest: Der Bach neben der Kläranlage erholt sich.

Die vier Reinigungsstufen kurz erklärt:

1. Mechanische Reinigung – Der grobe Schmutz muss raus

Die mechanische Reinigungsstufe ist der erste Schritt in der Abwasseraufbereitung. Hier werden grobe Verunreinigungen wie Hygieneartikel, Papierfetzen, Sand oder Speisereste entfernt. Das geschieht durch Rechen, Sandfang und Absetzbecken. Ziel ist es, all das herauszufiltern, was das nachfolgende biologische System belasten oder verstopfen könnte.

2. Biologische Reinigung – Mikroorganismen als Helfer

In dieser Stufe übernehmen Mikroorganismen die Hauptrolle. Sie „fressen“ organische Stoffe wie Eiweiße, Fette oder Zucker und wandeln sie in Biomasse um. In sogenannten Belebungsbecken wird das Abwasser mit Sauerstoff versetzt, damit die Mikroorganismen effektiv arbeiten können. Danach setzt sich der entstandene Belebtschlamm im Nachklärbecken ab – das gereinigte Wasser fließt weiter.

3. Chemische Reinigung – Für die unsichtbaren Rückstände

Jetzt werden die Phosphate und andere chemische Reststoffe in Angriff genommen. Mit speziellen Mitteln, wie Eisenchlorid werden diese im Wasser gebunden und als Schlammteilchen abgeschieden. Gleichzeitig verbessert das die Trennung von Wasser und Schlamm. Diese Stufe ist besonders wichtig für den Schutz unserer Gewässer vor Überdüngung.

4. Erweiterte Reinigung – Kampf gegen Spurenstoffe und Mikroplastik

Die vierte Reinigungsstufe kümmert sich um das, was bisher kaum beachtet wurde: winzige Rückstände von Medikamenten, Hormonen, Industriechemikalien oder Mikroplastik. Diese Spurenstoffe können schon in kleinsten Mengen Umwelt und Gesundheit belasten. In dieser Stufe kommen neue Verfahren wie Ozonung oder Aktivkohlebehandlung zum Einsatz. Besonders effektiv ist die Pulveraktivkohle, die Spurenstoffe wie ein Schwamm bindet und dann mit dem Schlamm entfernt wird. Einige Systeme kombinieren das gleich mit einer weiteren Phosphatentfernung.

Das Gutachten zu den zusätzlichen Kosten durch die neuen Reinigungsstufen für die kommunale Abwasserwirtschaft als PDF zum Herunterladen:

Das Gutachten zum Investitionsbedarf für Abwasser- und Wasserversorgung:

Fotocredits: Adobe Stock