Hassmails: Wenn Worte zu Waffen werden
Thomas Purwin hat die Notbremse gezogen. Vor wenigen Wochen trat der SPD-Vorsitzende im münsterländischen Bocholt von allen Ämtern zurück, KOMMUNAL berichtete. Der Grund dafür waren Hassmails. 15 Mails am Tag hatte er erhalten – mit wüsten Beschimpfungen, Morddrohungen, der Abbildung eines Galgens.
So wie der 35-Jährige sind in den letzten Monaten zahlreiche Kommunalpolitiker an die Grenzen ihrer persönlichen Belastungsfähigkeit gekommen. Oft, aber nicht immer, war es das Thema Flüchtlingspolitik. Bei Purwin zum Beispiel war es eine Debatte über die Anhebung der Grundsteuer, die mit der Flüchtlingspolitik vermischt wurde. In den Mails erklärten die anonymen Absender, die Stadt wolle den Grundsteuersatz anheben, um Geld für Flüchtlinge zu haben. Für Flüchtlinge täte man alles, für einheimische Rentner nichts.
Von der Hasswelle sind nicht nur größere Städte betroffen
Der KOMMUNAL-Deutschland-Report geht in seiner jüngsten Ausgabe der Frage nach, wie es zu der Gewaltwelle kommt und vor allem, wie Bürgermeister, Kommunalpolitiker und Verwaltungsmitarbeiter mit Hassmails und Beschimpfungen umgehen sollen. Denn das Problem gibt es deutschlandweit. Eine KOMMUNAL-Umfrage unter knapp 1.000 deutschen Städten und Gemeinden ergab im vergangenen Sommer, dass fast jede zweite Kommune bereits betroffen war.
Der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Oersdorf etwa wurde mit einem Knüppel krankenhausreif geschlagen, nur einen Tag später landete eine Mail in der Verwaltung mit dem Text: "Aus Knüppel wird Hammer, aus Hammer wird Axt" - der Bürgermeister lag eine Woche lang im Krankenhaus, macht inzwischen unter Polizeischutz weiter seine Arbeit.
Diskussion um Anonymität von Abgeordneten
Von politischer Seite kommt inzwischen auch die Forderung, private Wohnadressen von Politikern nicht mehr zu veröffentlichen. Sie sind spätestens auf dem Wahlzettel zu finden und somit öffentlich. Die Brandenburger Landtagsabgeordnete Andrea Johlige etwa - auf ihr Wahlkreisbüro wurden mehrfach Anschläge verübt - fordert in der neuen Ausgabe der KOMMUNAL, die Wahllisten zu verändern.
Hassmails konsequent zur Anzeige bringen
Immerhin, es gibt auch erste Hilfsaktionen. Sachsen etwa hat inzwischen eine zentrale Ermittlungsstelle mit dem Namen "Operatives Abwehrzentrum gegen Extremismus" bei der Leipziger Polizei angesiedelt. Allein dort gehen fast täglich Anzeigen ein. Auch die Gerichte gehen gegen die Autoren von Hassmails vor. Grundvoraussetzung dafür aber ist das, was der ehemalige Staatsanwalt Karl-Christian Schelzke als Maxime für den Umgang mit allen Hassmails empfiehlt, die nicht auf konkrete kommunalpolitische Konflikte zurückzuführen sind: „Strafanzeige, Strafanzeige, Strafanzeige.“
Welche Tipps Betroffene geben, was jeder tun kann - in der März-Ausgabe von KOMMUNAL berichten Betroffene, Experten und Politiker über ihre Erfahrungen!