Bürokratie-Wahnsinn
Ein Lärmaktionsplan für einen Acker
Wann muss ein Lärmaktionsplan erstellt werden?
Denn die neue Umgehungsstraße B56n führt an einer Ecke der Gemeinde vorbei und überschreitet dort die berechneten Dezibelwerte der EU-Grenze. Deshalb mussten Bürgermeister Timo Czech und seine Verwaltung den Pinsel der Bürokratie schwingen und einen Lärmaktionsplan schreiben – um sicherzustellen, dass niemand, der dort niemals wohnen wird, vor Lärm geschützt wird. „Für den Acker ist keine Wohnbebauung geplant“, sagt Czech. „Er ist nicht einmal im Regionalplan berücksichtigt.“
Das ist der EU allerdings egal, denn die Richtlinie für Umgebungslärm ist völlig unabhängig davon, ob Menschen in der Nähe leben oder nicht. Kommunen sind genau dann dazu verpflichtet Lärmaktionspläne aufzustellen, wenn eine Lärmkartierung ergeben hat, dass im Gemeindegebiet Flächen als lärmbetroffen gelten. Das ist gegeben, wenn diese entlang von Hauptverkehrsstraßen, Haupteisenbahnstrecken, Großflughäfen oder in Ballungsräumen berechnete Lärmpegel über 55 dB(A) am Tag oder über 50 dB(A) in der Nacht erreichen. Egal, ob sich an der Fläche Wohnungen, ein Schulhof, ein Industriebetrieb oder auch ein Acker befinden.

Nörvenichs Kampfjets sind vom Lärmaktionsplan ausgenommen
Was die Kommunikation dieses Vorgangs an die Bürgerinnen und Bürger in Nörvenich besonders schwierig macht, ist eine Ausnahme der EU-Richtlinie: Ein Lärmaktionsplan ist nämlich nicht nötig, wenn der Lärm durch militärische Tätigkeiten hervorgerufen wird. Bereits seit 1952 befindet sich ein Fliegerhorst in Nörvenich, von dem fast täglich Kampfjets starten und landen, um Übungen zu fliegen. Dass die Eurofighter und Tornados täglich mit ohrenbetäubendem Donnern über die Gemeinde jagen, ist für die Lärmaktionsplanung genauso irrelevant wie dass die Bundesstraße B477 mitten durch den Hauptort führt – sie ist schlicht nicht stark genug befahren. Aber das kleine Stück B56n am Rand eines Ackers? Da greift die EU-Richtlinie gnadenlos zu.
„Das versteht doch kein Mensch“, sagt Czech. Er sagt es sachlich und doch mit hörbarem Unmut. Denn während sein Rathaus dringend Personal braucht, um neuen Wohnraum zu schaffen oder Flüchtlinge unterzubringen, mussten Mitarbeiter monatelang an einem Papierwerk feilen, das am Ende rund 6.500 Euro in Personalkosten verbraucht, keine realen Effekte hat und nicht kommunizierbar ist.
Und das wird sich wiederholen: Alle fünf Jahre muss Nörvenich den Plan fortschreiben, die Bürgerschaft beteiligen, Stellungnahmen abwägen, Ratsbeschlüsse fassen. Alles für Null betroffene Menschen. Und damit auch für null Maßnahmen zum Lärmschutz. Im Lärmaktionsplan heißt es dazu: „Da die kartierten Lärmquellen in der Gemeinde Nörvenich keinerlei Personen betreffen und dementsprechend auch keine Maßnahmen zur Lärmminderung getroffen werden, wird die Anzahl der entlasteten Personen ebenfalls mit Null beziffert.“ So steht es im Plan, so ist es von Ministerium und EU abgenickt, so wird es in fünf Jahren erneut gefordert.
Diskussionsversuche mit Ministerium und EU blieben bisher ohne Erfolg
Der Bürgermeister hatte lange versucht, das Unheil abzuwenden. Er schrieb ans NRW-Umweltministerium – dort zuckte man mit den Schultern und verwies auf die EU-Richtlinie, die keine Ausnahmen zulässt. Er bat in Brüssel um Nachsicht – bisher ohne Antwort.
„Ich habe mich geweigert, mich medienwirksam vor diesem Acker ablichten zu lassen“, sagt Czech. „Das wäre ja nur noch eine Steilvorlage für alle, die Politik und Demokratie ins Lächerliche ziehen wollen.“ Doch genau das geschah: Der Bund der Steuerzahler setzte den Fall ins Schwarzbuch, Fernsehteams pilgerten ins Dorf, Zeitungen titelten gar von einer angeblichen Lärmschutzwand für den Acker. „Das war eine klare Falschmeldung“, sagt Czech. „Eine Lärmschutzwand war natürlich nie im Gespräch.“
Bürokratie-Wahnsinn verspielt das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern
So lustig dieser Bürokratie-Wahnsinn klingen mag, Czech ist sich der Gefahren, die er birgt, bewusst. „Solche Vorgänge beschädigen das Vertrauen der Menschen in die Politik. Die Leute verstehen es nicht – und ehrlich gesagt: ich auch nicht.“
Das Ministerium in Düsseldorf hält dagegen. Würde Nörvenich den Plan verweigern, drohten Strafzahlungen an die EU, weil Deutschland wegen fehlender Lärmaktionspläne schon im Vertragsverletzungsverfahren steckt. Also bleibt dem Rathaus nichts anderes übrig, als weiter Papier zu produzieren.
Nörvenich ist damit ein Beispiel, das weit über die kleine Gemeinde hinausweist. Es zeigt, wie Regelwerke, die in Brüssel und Düsseldorf sinnvoll erscheinen mögen, auf der kommunalen Ebene groteske Blüten treiben. Bürgermeister Czech bringt es nüchtern auf den Punkt: „Wir müssen solche Vorgänge ändern oder abschaffen. Sonst verspielen wir das Vertrauen in die Demokratie.“


