Leipzig
In Leipzig finden sich in der Innenstadt Inseln zum Entspannen.
© Gudrun Mallwitz

Empfehlungen und Beispiele

Tipps für die Erlebnis-Innenstadt

Was bringt Menschen dazu, trotz Online-Angeboten „in die Stadt“ zu gehen? Was Experten zur Zukunft unserer Innenstädte raten und diese positiven Beispiele zeigen!

Leipzig, im Sommer 2021. Die Menschen sind zurück in der Innenstadt. Das Leben in den Straßen wie angeknipst nach den langen, bleiernen Corona-Monaten. Auf dem Markplatz vor dem Alten Rathaus eine Atmosphäre wie im Süden: An den Ständen liegen Obst und Gemüse in satten Farben, Sommerblumen-Sträuße verlocken zum Kauf. In den Cafés um den Platz herrscht Hochbetrieb. Ein paar Straßen weiter ein anderes, nicht weniger entspanntes Bild: Einige sitzen auf dem Rasen vor der ThomasKirche, ein junges Mädchen lehnt an einem Baum, andere haben sich auf den Steinen um die Grünfläche ein Plätzchen gesucht. Im Schatten der Bäume genießen sie ihr Eis. Kleine Inseln mit großer Wirkung im Leipziger Einkaufs- und Touristenviertel.

Innenstadt lockt mit Kultur und Erholungsinseln

Was sich an diesem Sommertag so unglaublich gut angefühlt hat, ist das, was Planer „Aufenthaltsqualität“ nennen. Sie zieht sich durch die gesamte Leipziger Innenstadt:  In der Fußgängerzone bitten zwei Frauen einen jungen Gitarristen um ein Autogramm, dankbare Zuhörer lauschen derweil einer Musikcombo mit Violine, Cello und Akkordeon. In einer solchen Stimmung steigt auch die Einkaufslaune. Das beweisen die gefüllten Taschen. Auf dem Burgplatz, nicht weit vom Trubel, hat die Stadt Sand aufschütten lassen und Liegestühle aufgestellt. Einen Foodtruck und eine Strandbar gibt es hier auch und sportliche Angebote wie einen Kickertisch. Beim „Familiensommer Burgplatz“ treten jeden Abend Leipziger Künstlerinnen und Künstler auf. 

Weg von klassischen Einkaufsmeilen

„Die Menschen wollen rausgehen, einander treffen und das urbane Leben genießen. Das haben Corona und die Einschränkungen des vergangenen Jahres uns deutlich gemacht“, sagt Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister von Leipzig. „Wir brauchen einen Wandel weg von klassischen Einkaufsmeilen hin zu attraktiven Orten, an denen sich die Menschen gerne treffen.“ Ein solcher Mix schließe den Handel nicht aus, werde aber neu kombiniert, etwa mit Werkstätten für Handwerker, Co-Working-Spaces oder regionalen Händlern für nachhaltige Waren. „Auch Schulen, Kitas, Bibliotheken und Universitäten können die Stadtzentren beleben“, so Jung. Doch ohne kontinuierliche Unterstützung werde es nicht gehen

„Für diesen Wandel fordern wir von der nächsten Bundesregierung ein verlässliches Förderprogramm Innenstadt. Wir schlagen 500 Millionen Euro pro Jahr für die kommenden fünf Jahre vor“, sagt der Präsident des Städtetages. „Damit wollen wir Leerstände vermeiden, öffentliche Räume aufwerten und Innenstädte beleben.“ Die kommunalen Spitzenverbände, also auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund, haben die Entscheidung begrüßt, wonach der Bund für Modellprojekte in den Innenstädten einmalig 250 Millionen Euro bereitstellt. Doch dies sollte nur ein erster Schritt sein.

Jung

„Für den Wandel fordern wir von der nächsten Bundesregierung ein verlässliches Förderprogramm Innenstadt. Wir schlagen 500 Millionen Euro pro Jahr für die kommenden fünf Jahre vor."

Burkhard Jung Präsident des Deutschen Städtetages

Gewerbemieten in Top-Lagen sinken massiv

Die Krise der Innenstädte hat sich durch die Corona-Pandemie und den zunehmenden Online-Handel zugespitzt.  Einer Untersuchung des Immobilienverbandes IVD zufolge nimmt der Leerstand vor allem in Klein- und Mittelstädten deutlich zu.  „In 1A-Lagen stehen derzeit 15 Prozent der Läden leer, in kleineren und mittleren Städten sind es in 1B-Lagen bis zu 25 Prozent“, bestätigt Michael Reink, Standort-Experte beim Handelsverband Deutschland.  Er fasst für KOMMUNAL die neuesten Erkenntnisse zusammen: „Wir bekommen mit, dass die Mieten in den Top-7-Standorten in Deutschland extrem fallen – um 30 bis 40 Prozent. Sie waren seit Jahren viel zu hoch. In den kleineren Städten bleiben sie weitgehend stabil, aber wir haben in den dortigen Top-Standorten auch in den B-Lagen Mietnachlässe von 20 bis 30 Prozent. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend nicht auffangen lässt. Das alte Mietniveau ist in den nächsten Jahren nicht mehr zu erreichen. Die Mieten werden dauerhaft niedriger sein.“ Die Mietnachlässe beziehen sich auf Neuvermietungen. Bei laufenden Mietverträgen bedürfe es individueller Einigungen zwischen Vermietern und Mietern.

Eine Lösung sieht Reink in einer anderen Vertragspolitik. „Unsere Unternehmen sagen: Erhöhte Leerstandquoten müssen nicht sein, wenn die Mieten so reduziert werden, dass sie zu den Umsätzen passen, die am Standort erwirtschaftet werden. Und  die Umsätze werden durch den Onlinehandel zurückgehen. 

Geschäfte in ihrer Existenz gefährdet

Prognosen zufolge gelten auch wegen der Corona-Krise rund 120.000 Geschäfte in der Innenstadt mit 250.000 Arbeitsplätzen in ihrer Existenz gefährdet. Wie angespannt die wirtschaftliche Lage vieler Einzelhändler ist, zeigt, dass bei fast jedem dritten Mietverhältnis zudem Mietrückstände zu beklagen sind.“

Strategiepapier bündelt Tipps zur Innenstadt

Wie viele Positionspapiere schon für die Innenstädte geschrieben wurden! Von Verbänden, Kommunen und Ministerien. Seit kurzem liegt ein neues spannendes Strategiepapier mit 66 Beispielen und 37 gemeinsamen Empfehlungen vor. Es trägt den Titel „Die Stadt von morgen – multifunktional, resilient, kooperativ“. Erarbeitet hat das knapp 50-seitige Manuskript der Beirat Innenstadt beim Bundesinnenministerium. Dem erst Ende vorigen Jahres gegründeten Gremium gehören der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Städtetag und der Bundesverband Die Stadtentwickler an. Mitgewirkt haben der Tourismusverband, der Bundesverband Paket und Expresslogistik, der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten und die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, unter anderem aber auch Vertreter des zentralen Immobilienausschusses.  Damit sind unterschiedliche Interessen in das Papier eingeflossen. Der Beirat mit den vier Arbeitsgruppen Handel und Wirtschaft, Grünflächengestaltung, Mobilität und Wohnen, wird auch in der nächsten Legislaturperiode weiterarbeiten können, das ist durch einen Beschluss des Bundestages gesichert.

Fußgängerzone Passau
Die belebte Fußgängerzone in Passau.

Was bringt die Menschen dazu, auch in Zukunft „in die Stadt“ zu gehen? Es gibt nicht die eine Innenstadtstrategie, das eine Patentrezept für die Innenstadtentwicklung, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. „Wir brauchen für jede Stadt und jede Gemeinde individuelle Lösungen.“ Aber es gehe nur gemeinsam – branchenübergreifend und auf alle Ebenen.

Die wichtigsten Empfehlungen für eine erlebnisreiche Innenstadt

● Für eine nachhaltige und multifunktionale Innenstadt-und Zentrenentwicklung einen starken gesellschaftlichen Konsens über die vielfältige urbane Nutzungsmischung herstellen. Es braucht ein neues Miteinander von Verwaltung, Politik und Eigentümern und der Immobilienwirtschaft sowie Gewerblicher Wirtschaft, Handwerk, Gastronomie Bildung und Kultur, Verkehr und Logistik.

● Die Transformation der Innenstädte erfordert eine leistungsfähige Organisationsstruktur in der Kommune mit ausreichend personellen und finanziellen Ressourcen. Verwaltung soll als Impulsgeber agieren und neue Allianzen ermöglichen.

● Außerhalb der Verwaltung Managementstrukturen und Organisationsformen zwischen Eigentümern, Vereinen, Standortgemeinschaften und Nachbarschafts- und Quartiersinitiativen schaffen.  Doppelstrukturen vermeiden. Vermittler und Ermöglicher wie City- oder Zentrenmanagement und Agenturen sollen Akteure zusammenführen und neue Kooperationen auf den Weg zu bringen.

● Integrierte Handlungskonzepte für eine nachhaltige Innenstadtstrategie erarbeiten, ämter-, und akteursübergreifend arbeiten und alle Funktionen berücksichtigen – vor allem bei der Mobilität und in Freizeitfragen.

●Vorhandene Einzelkonzepte überprüfen, Leerstands- und Baulandkataster einrichten und weiterentwickeln. Sie ermöglichen bei Ansiedlungsfragen passgenaue Angebote.

● Investitions-Checks durchführen, also bereits geplante öffentliche Investitionen auf den Prüfstand stellen. Öffentliche Bildungs-, Sozial- und Kultureinrichtungen künftig im innenstädtischen Bereich vorsehen.

● Kreative und neue Ideen in den Innenstädten ausprobieren – ob bei der Nutzung von Leerständen, für Zwischennutzungen und Brachen, mehr Grün- und Freiflächen, Gemeinschaftsdachgärten und grüne Oasen schaffen.

● Lernen von guten, aber auch aus schlechten Beispielen  - möglich ist das über die vom Beirat Innenstadt mitinitiierte Best-Practice-Datenbank und die digitale Plattform „www.unsere-stadtimpulse.de“. 

● Ermessensspielräume im Bau- und Planungsrecht zur Innenstadt nutzen, zum Beispiel die (un)befristete Befreiung vom B-Plan. 

● Eine aktive Bodenpolitik betreiben, um die Entwicklung in den Innenstädten besser steuern zu können.

● Städte und Kommunen sollten einen Anteil ihrer Liegenschaften in Erbbaurecht vergeben – für einen erleichterten Zugang zum Grundstücksmarkt.

● Freiflächen mit variablen Nutzungen in den Satzungen festlegen.

● Integrierte Mobilitätskonzepte, Stärkung des ÖPNV, neue Logistikkonzepte verwirklichen.

● Bei der Bauleitplanung Möglichkeiten nutzen, um Mindestanteile von Gewerbe wie Handwerk und innerstädtische Produktion zu sichern

Weitere autofreie Zonen in der Innenstadt

In ganz Deutschland arbeiten die Kommunen an ihren Strategien für die Innenstadt und fürs  Ortszentrum. Nürnberg will in der Altstadt die stark befahrene Königsstraße in eine Fußgängerzone umwandeln. Schwandorf bekommt zum ersten Mal eine Fußgängerzone. Passau hat bereits gute Erfahrungen damit gemacht, eine weitere autofreie Zone in der Innenstadt zu schaffen. Wo einst die Nibelungenhalle stand und nur ein riesige Schotter-Parkplatz nach deren Abriss übrigblieb, liegt heute die „Neue Mitte“. Direkt neben dem Zentralen Omnibusbahnhof eröffnete 2008 auch die Stadtgalerie, ein attraktives Einkaufszentrum. Auch eine kleine Ruheinsel entstand mitten im Einkaufs-Trubel: Gegenüber dem Nikolaikloster wurde ein kleiner Park, der Klostergarten, geschaffen.

Passau: Als Einkaufsstadt dazugewonnen

 Was heftig umstritten begann und als Kompromisslösung nach Bürgerbegehren und Bürgerentscheid schließlich umgesetzt wurde, hat die Besucherfrequenz in der Innenstadt deutlich erhöht. Oberbürgermeister Jürgen Dupper sagt: „Es hat sich bewährt, dass wir das Einkaufszentrum vor über zehn Jahren in der Innenstadt geplant haben und nicht auf der grünen Wiese. Passau hat dadurch als Einkaufsstadt an Ausstrahlung enorm gewonnen.

 Das Strategiepapier als pdf:

Fotocredits: Städtetagspräsident: Michael Bade, Fußgängerzone Stadt Passau.