Nachbarschaftshilfe macht stark. Katastrophenschutz lebt vom Ehrenamt.
Nachbarschaftshilfe macht stark. Katastrophenschutz lebt vom Ehrenamt.
© Nachbarschaftshilfe Tegernseer Tal

Ehrenamt

Die Lehren aus der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie führt zu großen Veränderungen, die auch nach der Krise bestehen bleiben werden. Umso mehr stellt sich die Frage, welche Lehren die Kommunen aus den Erfahrungen ziehen und wie sich Kommunen für vergleichbare Krisen in der Zukunft wappnen können. KOMMUNAL hat sich in Deutschland umgehört und stellt verschiedene Ideen und Ansätze vor. Welche Rolle spielt das Ehrenamt?

Ganz gleich, welcher Größe und Struktur – die Krise hat alle Kommunen vor große Herausforderungen gestellt. „Die Kommunen hatten alle mit ähnlichen Problemen zu kämpfen und keine hatte eine Blaupause für diese Ausnahmesituation“, so Carsten Kühl vom Deutschen Institut für Urbanistik. Ein kommunaler Bereich, der durch die Pandemie noch einmal stark in den Fokus gerückt wurde, ist die Stadtentwicklung. Schon vor Corona war der Leerstand der Innenstädte durch die Digitalisierung ein Thema, nun wurde er noch einmal verstärkt. „Der zunehmende Büroleerstand ist Folge des erzwungenen Experiments der Digitalisierung durch Corona: Von einem Tag zum anderen musste ins Homeoffice gewechselt werden. Dieser Veränderungsprozess ist nicht mehr aufzuhalten und wird die Aufenthaltsqualität in Innenstädten stark beeinflussen“, so Kühl. Umso wichtiger sei es, gerade jetzt neue Nutzungskonzepte zu entwickeln. „Nur die Verantwortlichen vor Ort wissen ganz genau, was möglich ist und wo was gefragt ist.

App in Solingen
Ehrenamt wird möglich mit einer App

Darin liegt eine große Chance für die Politik vor Ort“, meint Kühl. Die Ideen für die Umgestaltung der innerstädtischen Räume seien vielfältig, etwa die Umdefinition von Büroräumen in den oberen Etagen in Wohnräume und die Errichtung von kulturellen und sozialen Einrichtungen in den Erdgeschossen. Zudem hätte die Pandemie noch einmal verdeutlicht, wie wichtig die Begrünung der Innenstädte sei. Was die sonstigen kommunalen Aufgabenbereiche anbelangt, hat die Pandemie aus Sicht von Kühl gezeigt, dass es Ad-hoc-Herausforderungen geben könne, auf die sich Kommunen weder für den Fall der Fälle adäquat vorbereiten könnten, noch sei es ihnen möglich, diese von einem auf den anderen Tag zu stemmen. „Für solche lang anhaltenden Extremsituationen braucht es erweiterte Lösungsmodelle samt Taskforce und Krisenpräventionsplänen – und gegebenfalls auch erweiterte Handlungskompetenzen für schnelles unbürokratisches Handeln vor Ort“. 

Digitalisieren – auch im Katastrophenschutz

Wie können sich Kommunen systematisch auf Krisenfälle vorbereiten? Geht es um das Bestehen einer kommunalen Verwaltungsstruktur auch im Ausnahmezustand, so steht an erster Stelle die Frage danach, welche Leistungen im Krisenfall aufrechterhalten werden müssen. Was also hat Priorität, wenn Normalbetrieb nicht mehr möglich ist? Die Antwort darauf kann je nach Krisenauslöser anders lauten. Stehen die Leistungen nach einem Verwaltungsscreening fest, muss an zweiter Stelle geklärt werden, welches Personal dafür erforderlich ist und wie dieses organisiert wird. An dritter Stelle steht, die Digitalisierung als Kommune weiter vorantreiben, weil diese raum- und zeitunabhängiges Arbeiten erst ermöglicht.  

Wie sehr es helfen kann, wenn die Digitalisierung bereits fortgeschritten ist, hat man in der Stadt Solingen gemerkt. Bereits vor einigen Jahren wurde dort ein umfassendes Digitalisierungsprojekt gestartet. So wurde die Schul-Digitalisierung schon 2016 für insgesamt 56 Schulstandorte vorangetrieben und waren zu Beginn der Pandemie bereits alle Schulen glasfaserverbunden und mit flächendeckendem Wlan ausgestattet. „All das haben wir überlegt, als wir von Corona noch gar nichts wussten. Das hat uns während der Pandemie dann sehr geholfen“, so Ressortgeschäftsführer Dirk Wagner. Ähnliches gilt für die Verwaltung.

Bereits 2017/18 wurden Videokonferenzen getestet und alle Besprechungsräume mit Zoom ausgestattet, zudem wurden ein einheitliches Dokumenten-Management-System und eine zentrale Poststelle eingeführt. „Die Infrastruktur war also da und wir haben kein völliges Neuland betreten“, so Wagner. Zudem sei mittlerweile ein großes IT-Team Teil der Solinger Verwaltung, das schnell auf die Krisensituation reagieren konnte und unter anderem eine regelmäßige Streamkonferenz direkt aus einem Rathaus-Studio zur Information der Bürger installiert hat – ein Angebot, das sehr gut angenommen wurde und auch nach der Pandemie beibehalten werden soll. 

"Wir müssen wirklich handeln"

Die ohnehin fortschrittliche digitale Ausrichtung wurde durch die Pandemie laut Wagner noch einmal verstärkt. „Wir haben extrem Fahrt aufgenommen, auch deshalb, weil sich all die oft sehr anstrengenden Diskussionen, ob das überhaupt nötig ist, mit einem Mal erübrigt hatten. Wir hatten Telearbeit und Homeoffice ja schon immer forciert, aber nun mussten wir wirklich handeln.“  

Dies schlägt sich in ganz konkreten Zahlen nieder. Waren zu Beginn der Pandemie nur etwa 10 Prozent von 2000 Arbeitsplätzen Homeoffice-geeignet, sind mittlerweile 1300 Mitarbeiter in der Lage, von zuhause aus zu arbeiten und sollen in Solingen durch Shared-Office-Bereiche und Home-Office mittelfristig rund 50 Prozent der Büro-Räumlichkeiten eingespart werden. „Wir werden sicher nicht mehr in die Zeit zurückfallen, die wir vorher hatten“, sagt Wagner. 

Je digitaler desto flexibler ist nur eine Lehre aus der Pandemie. Eine ganz andere betrifft den direkten zwischenmenschlichen Kontakt, der angesichts von Quarantäne und eingeschränkten Ausgangsradien noch einmal mehr an Bedeutung gewonnen hat. Füreinander da sein, sich umeinander kümmern – wie selten zuvor sind soziale Kernthemen in den Mittelpunkt gerückt. Dies hat man auch bei der Nachbarschaftshilfe Tegernseer Tal gemerkt, die bereits 2014 von verschiedenen Kommunen und Kirchengemeinden rund um den Tegernsee gegründet worden war und seither die Aufgabe verfolgt, die Lücke zwischen dem Hilfsbedarf und den staatlichen Hilfsangeboten im Verbund zu schließen.

Ehrenamtliche Hilfe vor Ort

Von Besuchsdiensten über Einkäufe bis hin zu Arztbesuchen hat die Nachbarschaftshilfe fünf Jahre lang ehrenamtliche Hilfe angeboten und koordiniert, wie Leiterin Ariane Friedrich berichtet. Dann kam Corona und es galt, die Nachbarschaftshilfe nun in Form von kontaktlosen Hilfsangeboten für die Menschen zu organisieren. „Unsere Arbeit hat sich verändert, besonders das Spektrum unserer Angebote“, so Friedrich. Und auch der Blick auf das soziale Engagement sei durch die Krise ein anderer geworden. „Wir merken, dass sich seither mehr Leute fragen, wie sie helfen können“, so Friedrich und auch die Bürgermeister der Kommunen seien entsprechend intensiv involviert. „Das Bewusstsein war schon immer da, dass es diese Hilfsangebote braucht“, sagt Friedrich. „aber in der Krise wurde es besonders deutlich“. Als kommunale Unterstützung wurde ab Beginn der Pandemie auch der Tegernseer Tal Tourismus miteingebunden, der eine Hotline eingerichtet hat, die den Einkaufsdienst koordiniert; außerdem wird seit kurzem eine durch Spenden finanzierte kostenlose Fahrt zum Impfzentrum angeboten. „Wir haben uns so organisatorisch auf gute Füße gestellt“, erzählt Friedrich, zudem ist die Zahl der freiwilligen Helfer gestiegen. 

Wie sich direkte Hilfe und Digitalisierung in der kommunalen Arbeit verbinden lassen, wird in Buxtehude erprobt. Mit „BUXTEHUDE HILFT!“ wurde im April 2020 bereits kurz nach Pandemie-Beginn eine bedienungsfreundliche und flexible Plattform geschaffen, auf der sich Betriebe, Kulturschaffende und engagierte Bürger gleichermaßen präsentieren können. „Wie kann man Hilfe anbieten, ohne durch das Nadelöhr der Verwaltung zu müssen?“, diese Frage stand am Anfang, wie Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt erzählt. Dabei sollte das vorhandene Netzwerk vor Ort intensiv eingebunden werden. „Gesagt, getan“ – so lautet der Slogan des Stadtmarketings, das diesem entsprechend die Seite bis heute steuert und begleitet. Zusätzlich zur Präsentation verschiedener Hilfsangebote wurde die Plattform auch zu einem wichtigen Kommunikationskanal für die Stadt, um detailliert über die jeweils aktuellen Regelungen und Fördermöglichkeiten zu informieren. 

Ehrenamt gestärkt durch Corona

Das Feedback seitens der Bürger und Geschäftsleute ist sehr positiv. Im Schnitt 2000 Seitenaufrufe pro Monat wurden bislang erfasst, die Tendenz ist steigend, besonders seit klar ist, dass die Krise weiter andauert. „Die Krise hat uns ja gezeigt, wie wichtig es ist, gerade dann, wenn es schwierig ist, aufeinander zu schauen und sich umeinander zu kümmern“, so die Bürgermeisterin. Dabei habe sich die Seite ‘BUXTEHUDE HILFT!‘ zu einem guten und sehr unkomplizierten Informationskanal entwickelt. „Ohne Corona hätte es diese Plattform nicht gegeben – nun soll sie unbedingt auch nach der Pandemie bestehen bleiben“, so Oldenburg-Schmidt. 

Noch ist die Pandemie längst nicht ausgestanden, viele Kommunen aber haben sie bislang kreativ gemeistert und erste Schlüsse für die Zukunft daraus gezogen. Dabei ist die Bedeutung der Kommunen einmal mehr bewusst geworden, wie auch Carsten Kühl vom DIFU sagt. „Ich glaube, dass die Kommunen der großen Politik gezeigt haben, dass es ohne sie nicht geht, wenn der Staat in eine so schwere Krise gerät. Daraus können die Kommunen nun eine große Stärke ziehen und Unterstützung einfordern.“