Einzelhandel mit Local Commerce stärken
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Local Commerce, freies WLAN - Was stärkt den Einzelhandel?

4. Dezember 2018
Wie können wir den Einzelhandel stärken? Wie schaffen wir es, dass nicht nur die großen Filialisten sondern auch die kleinen inhabergeführten Läden überleben? Helfen Local Commerce-Plattformen? Oder etwa doch das freie WLAN in der Stadt? Auf all diese Fragen antwortet ein Experte

Wer durch die Innenstadt schlendern will, findet verbarrikadierte Geschäfte, staubige Schaufenster und halb abgerissene Sticker mit dem Spruch „Wir schliessen“ vor. Und das nicht nur in einer bestimmten Stadt sondern gleich in mehreren. Denn: Immer mehr Innenstädte veröden. Das liegt daran, dass sich kleine Läden nicht mehr gegen große Online-Händler wie Amazon behaupten können.

Laut Handelsverband Deutschland sollen bis zum Jahr 2020 circa 50.000 inhabergeführte Geschäfte schließen. Doch Stadtentwickler und Händler haben dem Strukturwandel längst etwas entgegenzusetzen. So starten immer mehr Interessengemeinschaften Initiativen, die den Umsatz der lokalen Händler wieder befeuern sollen.

In den letzten Jahren wurden vor allem die sogenannten Local-Commerce- bzw. digitale City-Initiativen bekannt. Hierfür schließen sich lokale Händler zusammen und verkaufen ihre Produkte gemeinsam über eine Plattform. Den Auftakt machte im Jahr 2014 das Projekt „Online City Wuppertal“.

Doch: Wie erfolgreich sind solche Local Commerce Plattformen wirklich?  

Eine kurze Recherche im Internet zeigt, wie umstritten Local Commerce Plattformen sind. So beschreibt ein T3N-Redaktuer in einem Artikel, dass er Gänsehaut bekomme, wenn er sich die Initiativen anschaut. Sie seien häufig komplett „chancenlos“, da sie sich nur an die lokalen Zielgruppen wenden. Das Alleinstellungsmerkmal „Wir kommen alle aus einer Stadt“ bezeichnet er sogar als „dämlich“. Seine Überzeugung:

Beim Verkauf sollte es um Überzeugung und nicht um Mitleid gehen.

Auch der Betriebswirt Andreas Hesse von der Hochschule Koblenz äußerte Kritik an den Local Commerce Plattformen. Seine Studenten befragten 200 Teilnehmer von Local Commerce-Projekten und fanden heraus, dass diese nicht mehr verkauft hätten oder mehr Menschen in den Läden begrüßen konnten. So wird Hesse auf der Nachrichten-Website Heise zitiert: „Local Commerce Plattformen sind kein Allheilmittel und auch keine Selbstläufer. Viele Plattformen setzen in Sachen Marketing vor allem auf Lokalkolorit. Aber Kunden sind keine Samariter: Sie wollen den besten Service – und nicht den lokalen Einzelhandel retten.“ Andere Experten wiederum bemängeln, dass die Studie wissenschaftlich nicht tragbar sei. Eine Studie von ibi research kommt zum Ergebnis, dass ein lokaler Online-Marktplatz nicht den Produktabsatz aber dafür die digitale Sichtbarkeit erhöhen kann.

Local Commerce: Es geht hierbei um viel mehr als nur um reine Absatzzahlen

Auch die konkreten Ergebnisse der Online City Wuppertal verheißen auf den ersten Blick nichts Gutes. So lag der monatliche Umsatz des Portals zwischen 600 und 1300 Euro – für alle 60 Verkäufer insgesamt. Laut Zahlen aus dem Jahr 2017 sollen lediglich 3 Prozent der Wuppertaler die Plattform wirklich kennen. Die Händler präsentieren sich dort mit unterschiedlichen Bemühungen und Erfolg. Von einem Flopp sprechen die einen, andere bejubeln über 30 Prozent höhere Umsätze im Laden. Wieder andere haben sich mit gut 10 Prozent Umsatzanteil ein Standbein im Online-Geschäft aufgebaut.

Der ehemalige Projektmanager der Online City Wuppertal, Andreas Haderlein, verbucht die Local Commerce Plattform ebenfalls als Erfolg: „Beim Local Commerce geht es nicht darum, online das schnelle Geld zu machen. Es geht um eine basale digitale Infrastruktur, auf der sich lokale Gewerbetreibende auch in Zukunft kooperativ entfalten können und dem Kunden vor Ort auf seiner Suche nach Produkten online entgegenkommen. Organisches Wachstum ist dabei der einzig gangbare Weg. Außerdem sollte sich bei vertriebsorientierten lokalen Online-Marktplätzen zunächst vor allem auf die Ropo-Effekte fokussiert werden.“ Was Haderlein damit meint, ist Research online, Purchase offline, also der Hintergrundgedanke, die Kunden mithilfe von Local-Commerce-Initiativen online auf das Sortiment aufmerksam zu machen und sie für den Einkauf in die Läden zu ziehen.

"Sie müssen mehr tun, als einen verkaufsoffenen Sonntag zu planen"

Und auch Haderlein äußert Kritik an den Interessengemeinschaften: „Sie müssen mehr tun, als Events organisieren und einen verkaufsoffenen Sonntag zu planen.“ Während Haderlein bei Veranstaltungen noch mitgeht, hält er von Sonntagsöffnungszeiten wiederum nicht viel: „Diese tun lediglich den großen Händlern in bester Innenstadtlage wie etwa Kaufhof gut. Denn die filialisierten Handelsgeschäfte können ihre Mitarbeiter bezahlen. Kleinen inhabergeführte Läden hingegen fehlt meist das nötige Kleingeld, um sonntags Personal vorzuhalten.“

Freies WLAN in der Stadt? Totaler Unsinn!

Haderlein vertritt nicht nur in Bezug auf den Ausgang der Online City Wuppertal eine andere Meinung, sondern auch in anderen Themenfeldern der Stadtentwicklung. So etwa schätzt der Buchautor und Wirtschaftspublizist freies WLAN in der Innenstadt weit weniger wichtig ein, um mehr Menschen in die City zu ziehen: „Zunächst sollte sich jede Stadt überlegen, wer überhaupt die Hoheit über das WLAN-Netz hat und welche Funktion es auch in werblicher Hinsicht für Innenstadtakteure haben kann. Steht ein großer Anbieter wie die Telekom, UnityMedia oder Vodafone dahinter, dann werden die kleinen Händler sich wohl kaum Werbung auf der Vorschaltseite leisten können. Außerdem: Da heutzutage mutmaßlich jeder Normalverdiener einen Mobilfunkvertrag mit Internetzugang abgeschlossen hat, kann das freie WLAN möglicherweise eine Zielgruppe anziehen, die man in der Innenstadt gar nicht haben will. Das Kernproblem ist auch nicht das fehlende WLAN in der Stadt, sondern die schlechte Online-Sichtbarkeit der Händler und deren verfügbaren Waren.“

Laut Haderlein kämpfen die meisten Händler damit, dass sie nicht wissen, wie sie auf Google gefunden werden können, wie sie auf Facebook Werbung schalten oder ihre Warenwirtschaft für das digitale Zeitalter rüsten können. „Hier muss Abhilfe geschaffen werden! Und digitales Dachmarketing für den Gewerbestandort zu etablieren ist der Schlüssel dazu. Die Verantwortlichen aus Citymanagement und Stadtmarketing müssen hierzu einen als Veränderungs- und Kooperationsmanagement begriffenen innerstädtischen Moderationsprozess in Gang bringen und begleiten.“

Für den Tourismus könnte das freie WLAN aber von Vorteil sein, so der Autor.

Smart City als Verkaufsmotor?

Machen Sie die Händler topfit!
Bieten Sie Workshops an, in denen Sie den Händlern zeigen, wie sie ganz oben auf Google gefunden werden
Erklären Sie den Händlern, wie sie Werbung auf Facebook oder Instagram schalten, um mehr Umsatz zu generieren. Zeigen Sie, wie sie die Anzeige für die richtige Zielgruppe auswählen.
Erklären Sie, welches Potential in den neuen Medien, wie etwa Pinterest oder Instagram steckt. Und wie man hier am besten Werbung schaltet.
Machen Sie die Einzelhändler mit Online-Verkaufsplattformen wie Amazon bekannt.
Organisieren Sie Einkaufs-Events, die mehr Menschen in die Inennstadt ziehen.
 

Auch von digitalen Trends wie der mitarbeiterfreien Kasse hält Haderlein nicht viel: „Auch hier profitieren wieder einmal die Großen, weil sie allein schon aufgrund der Anschaffungskosten für inhabergeführte Geschäfte gar nicht in Frage kommen.

Anstatt die Händler mit vermeintlichen digitalen Innovationen zu verwirren, finde ich einen schrittweisen Ausbau der Kern-Marketing-Elemente wichtig. Das heißt, die Händler per Learning-by-Doing bei der Online-Auffindbarkeit zu unterstützen, sie aber gleichzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass auch das Niveau des Point-of-Sale, also Ladenbau, Aufenthaltsqualität, Kundenansprache und Service zeitgemäß sein sollten.“

Andere Stadtentwickler hingegen setzen gerade auf digitale Innovationen, wie etwa digitalisierte Parkbänke, um mehr Menschen in die Innenstadt zu ziehen. Welcher Schritt nun der richtige ist,  scheint weiterhin ein Zankapfel unter den Experten zu bleiben.