Wildpoldsried im Allgäu Energiedorf, Kühe, Windräder
Wildpoldsried im Allgäu Energiedorf
© Gemeinde Wildpoldsried

Klimaschutz

Ohne Putins Gas gut versorgt

Das kleine Wildpoldsried im Allgäu erzeugt achtmal so viel Energie als es verbraucht – und ist damit schon jetzt unabhängig von Russland. Das Erfolgsrezept der Energiegemeinde: Alles Engagement im Ort ist miteinander verzahnt, auch die Bürger und Vereine profitieren von den Windrädern.

Wiesen und sanfte Hügel umschmiegen das Dorf, und wie es sich für eine echte Landidylle gehört, grast das Jungvieh auf der Weide. In den Himmel ragen Windräder. Sie sind höher und von weitem sichtbarer als der Turm der alt-ehrwürdigen katholischen Pfarrkirche. Die meisten Wildpoldsrieder stört das nicht. Sie haben sich an den Anblick der flügelschlagenden Riesen gewöhnt. Denn die andernorts stark umstrittenen Windkraftanlagen sind nicht wegzudenken aus der Philosophie, nach der das Dorf im Oberallgäu seit vielen Jahren lebt: Ökologie und Ökonomie mit regionaler Wertschöpfung zu verbinden. Dass die Energiewende mit einer hundertprozentigen Klimaneutralität auf diesem schönen Fleckchen Erde schon geglückt ist, macht Wildpoldsried zur kleinen Berühmtheit. Mehr als 800 Besuchergruppen machten sich in den vergangenen Jahren auf in die kleine innovative Gemeinde, Interessierte aus der ganzen Welt wollen wissen, wie kommunaler Klimaschutz gelingen kann. Darunter waren Gäste aus der Bundes- und Landesregierung und viele Bürgermeister und Gemeinderäte aus allen Teilen Deutschlands.

Gas von Putin braucht in Wildpoldsried niemand

Seitdem der russische Präsident Wladimir Putin den verheerenden Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, richtet sich die Aufmerksamkeit noch stärker als bisher schon auf die Vorreiter-EnergieKommune ganz im Süden Deutschlands.  Denn die Wildpoldsrieder erzeugen schon jetzt achtmal so viel Strom als sie selbst benötigen, allein mit den neun Bürgerwindkraftanlagen sparen sie mehr Co2  ein, als alle 2600 Einwohner der Gemeinde verbrauchen. Auch die Wärme bekommt das Dorf zum überwiegenden Teil durch erneuerbare Energien – über Holzpellets, Scheitholz, Biogasabwärme und über Wärmepumpen. Das bayerische „Lederhosen und Laptop-Motto“, in dem Allgäu-Ort wird es tatsächlich gelebt: Moderne und Tradition – hier findet beides seinen Platz. In Wildpoldsried hat die Dorf-Idylle auch noch Nachhaltigkeits-Charakter. „Unsere Bürger sind stolz darauf, nicht auf Energieimporte angewiesen zu sein“, sagt Bürgermeisterin Renate Deniffel. Sie hofft, dass der UkraineKrieg und Deutschlands erschreckende langjährige Abhängigkeit von russischem Gas die große Politik umdenken lässt. „Auch die Politiker wachen jetzt auf“, beobachtet sie.

Forderung: Hürden müssen beseitigt werden

Renate Deniffel Bürgermeisterin der Energiegemeinde Wildpoldsried

Es darf nicht wichtiger sein, einzelne Vögel zu schützen als sich von unberechenbaren Menschen wie Putin oder von Ölscheichs unabhängig zu machen."

Renate Deniffel, Bürgermeisterin von Wildpoldsried

Ihrer Ansicht nach ist es höchste Zeit, die überzogenen Barrieren in den Genehmigungsverfahren zu senken. Dabei findet die Bürgermeisterin deutliche Worte: „Es darf nicht wichtiger sein, einzelne Vögel zu schützen als sich von unberechenbaren Menschen wie Putin oder von Ölscheichs unabhängig zu machen.“ Die Kommunalpolitikerin fordert: „Bundes- und Landesregierung müssen endlich unsinnige Hürden beseitigen, damit die Energiewende gelingen kann.“  Dazu gehört für sie neben dem Naturschutz auch die umstrittene bayerische 10-H-Regel. Die Vorschrift besagt seit 2014, dass zwischen Windrad und Wohnbebauung ein Abstand eigehalten werden muss, der das Zehnfache der Höhe des Windrads beträgt. Doch auch andere Hemmnisse halten Wildpoldsried davon ab, noch mehr Windenergie zu erzeugen.

Zwei Visionäre und Macher ebnen Weg

Renate Deniffel ist seit etwa zwei Jahren Bürgermeisterin. Im März 2020 wurde die Kreis- und Bezirksrätin mit 91 Prozent in das neue Amt gewählt. Ein großer Vertrauensvorschuss, der zeigt, dass der von ihr unterstützte Nachhaltigkeitskurs bei den Wählern ankommt.  Angeschoben haben ihn andere: „Wildpoldsried wäre nicht das, was es heute ist, ohne unsere zwei Visionäre und Macher“, sagt die Bürgermeisterin. Der eine ist ihr Amtsvorgänger Arno Zengerle, der andere Land- und Energiewirt Wendelin Einsiedler. Die beiden hatten sich schon in der Jungen Union umweltpolitisch engagiert – und es war klar für sie, dass sie ihre leidenschaftlich verfolgten Ziele mit regenerativen Energien in ihrem Heimatort verwirklichen wollten.

Energiedorf: Bürger an Windparks finanziell beteiligt

Energiewirt Einsiedler plante Anfang der 1990er Jahre die ersten Windkraftanlagen. Die Bürger konnten sich von Anfang daran beteiligen und von den Erlösen profitieren.  Dazu wurde eine GmbH & Co.KG gegründet.  Anfangs beteiligten sich die Bürger nur zögerlich. In der ersten Kommanditgesellschaft für zwei Windräder machten 30 Bürger mit, in der zuletzt gegründeten Gesellschaft waren es schon über 300. Das Interesse wurde immer größer. „Bei den zuletzt aufgestellten Anlagen mussten die Einlagen der Kommanditisten auf 5000 Euro gedeckelt werden, damit alle interessierten Bürger zum Zuge kamen“, erzählt die Bürgermeisterin.  „Inzwischen haben wir 900 Gesellschafter, die an den neun Windkraftanlagen und an den zwei interkommunalen Anlagen und damit auch an den Einnahmen beteiligt sind.“ Der finanzielle Anreiz bei immer weiter steigenden Strompreisen sei wichtig neben dem „guten Gefühl, unseren Enkeln gegenüber ein Stück Welt gerettet zu haben“, sagt Renate Deniffel.

Photovoltaik bringt weiteren Strom

Damit alle an einen Strang ziehen konnten, waren die Wildpoldsrieder früh beteiligt worden - bei Informationsveranstaltungen zur Bürgerwindkraft, aber dann auch über Umfragen. „So was geht nicht von heute auf morgen“, sagt der Erneuerbare-Energie-PionierWendelin Einsiedler. „Man muss den Bürgern schon Wissen um die Anlagen vermitteln.“ Das Modell der Bürgerwindkraftanlagen hat sich sichtlich bewährt. „Die Leute stehen anders dazu, als wenn Investoren gekommen wären und einfach nur unseren Höhenzug verbaut hätten“, betont die Bürgermeisterin. Die 830 Prozent Strom, die Wildpoldsried aus den regenerativen Energien erzeugt, verdankt die Gemeinde auch ihren 300 Photovoltaikanlagen. Die Kommune selbst hat die Dächer ihrer Gebäude schon seit fast 20 Jahren mit PV belegt. Hauptsächlich aber sind es die Bürger und Landwirte, die so zu Stromerzeugern werden. "Bei den älteren Anlagen wird der Strom noch komplett ins allgemeine Stromnetz eingespeist“, erläutert die Bürgermeisterin. Den Strom der jüngeren Anlagen hingegen verbrauchen die Hausbesitzer meist selbst oder speichern ihn zusätzlich in einer „Sonnenbatterie“. Auch die Pumpen der Trinkwasserversorgung und Kläranlagen werden mit Strom von der Sonne betrieben.

Einkaufssammelaktion als Motivation

Die Gemeinde bot ihren Bürgern zwischen 2002 und 2009 einen ganz besonderen Service: Nämlich eine Einkaufssammelaktion, die den Einkauf  für den Einzelnen günstiger macht. Wie das funktionierte? „Die Bürger meldeten sich für die Einkaufsaktion an,  ein Planer vor Ort beriet die Interessierten. Dann kaufen wir für alle ein.“  Mittlerweile benötigten die Wildpoldsrieder dabei keine Unterstützung mehr. Die Gemeinde bietet den Bürgern auch an, die Heizungspumpen auszutauschen.  Teilweise betreuen die Vereine die PVAnlagen. Als Gegenzug bekommen sie die Erlöse, die einzelne Dächer bringen, für ihre Vereinsarbeit.

Eins verschweigt die Bürgermeisterin nicht. Ganz unabhängig von den Stromnetzen ist auch Wildpoldsried nicht. Denn es hat noch kein eigenes Stromnetz, sondern nutzt öffentliche Stromnetze vom Überlandwerk. „Trotzdem erreichen wir, 100 Prozent klimaneutral zu sein.“  Putins Gas braucht die Gemeinde aber nicht. Und wie stemmen die Wildpoldsrieder die Wärmeversorgung?

Nahwärmenetz im Orstzentrum

Schon 2005 wurde das Nahwärmenetz im Ortszentrum gebaut. Elf Ölheizungen in öffentlichen und kirchlichen Gebäuden verschwanden. Stattdessen wurde es mit Holzpellets beheizt. Inzwischen sind 80 Häuser angeschlossen. Seit 2009 wird Abwärme aus Biogas genutzt. Energie-Pionier Wendelin Einsiedler verlegte auf eigene Kosten eine 4 Kilometer lange Gasleitung von seinem Hof außerhalb des Dorfes in die Ortsmitte- und speist seither die Abwärme ins kommunale Nahwärmenetz ein. Auch das Gewerbegebiet wird so inzwischen komplett damit versorgt. Die Heizzentrale befindet sich im Haus der früheren Raiffeisenbank und heutigem Energie-Hotel, das zum Ökologischen Bildungszentrum gehört.

Heizzentrale in Wildpoldsried
Heizzentrale in Wilpoldsried.

Energiewissen schon im Kindergarten

Schon im Kindergarten lernen die Kinder, wie sie Energie sparen können. Seit vier Jahren bietet die Gemeinde auch Ausbildungskurse im Rahmen des „Marshallplans mit Afrika“ im Ökologischen Bildungszentrum an. Ausbilder in berufsbildenden Schulen bringen afrikanischen Kollegen alles zum Thema Photovoltaik bei.  Bei einer Führung durch das mit Preisen mehrfach ausgezeichnete Wildpoldsried erfahren die Gäste auch, dass die Straßenbeleuchtung längst auf LED umgestellt ist und die Gemeinde stark auf E-Mobilität setzt. Vor den örtlichen Betrieben gibt es immer mehr Ladestationen, demnächst sollen eine Mitfahrplattform und Car-Sharing angeboten werden.  Expertenwissen ist hier in großem Maße vorhanden. „Unter unseren 14 Gemeinderäten haben wir vier echte Energieexperten“, sagt Renate Deniffel. Ihr Amtsvorgänger engagiert sich auch weiter. „Ein solches Projekt gelingt nur, wenn alle ihre Ideen einbringen und das Dorf zusammenhält“, beschreibt die Bürgermeisterin das Erfolgskonzept von Wildpoldsried."