
Bürgermeisterportrait
Sie nennen ihn alle nur „den Willi“
Es ging um das älteste Gebäude von Neuenkirchen. Ein stattliches Fachwerkhaus, das immer weiter verfiel. Die Erben des Bauwerks in der 14.000 Einwohner zählenden Gemeinde im münsterländischen Kreis Steinfurt, dicht an der niederländischen Grenze gelegen, konnten sich nicht einigen und waren auch nicht zu Gesprächen mit dem Bürgermeister bereit. Bis es eines Morgens in Bochum plötzlich an der Tür eines Erben klingelte. Draußen stand Wilfried Brüning, Bürgermeister von Neuenkirchen, und in der Hand hielt er ein lokales Bier: „Guten Morgen, ich bin der Bürgermeister, mit dem Sie nicht reden wollen.“
Gegen den Leerstand: Im Wohnmobil bis Bochum
Über Nacht war Brüning mit seinem Wohnmobil und dem heimatlichen Gerstensaft nach Bochum gefahren, um den Erben zu überzeugen. „Ich bin ein netter, höflicher Kerl, aber wenn ein Mensch mit mir partout nicht reden will, dann werde ich irgendwann bockig“, sagt Brüning. „Und da habe ich gedacht: Ich fahr da jetzt einfach mal hin.“ Das hat Eindruck hinterlassen, und das aus der Heimat mitgebrachte Bier tat dann sein Übriges: Am Ende hatte Brüning den Erben überzeugt. Heute ist das alte Haus verkauft, saniert und strahlt im neuen Glanz.
Hemdsärmelig, engagiert und durchsetzungsstark – so lässt sich der Bürgermeister, den in Neuenkirchen alle nur „den Willi“ nennen, wohl am besten charakterisieren. Eigentlich hat er Bauingenieurwesen studiert, führte 20 Jahre lang ein Planungsbüro. Doch dann wurde der begeisterte Amateurfußballer, der auch noch zehn Jahre Vorsitzender des zweitgrößten Sportvereins am Ort war, gefragt, ob er nicht für das Amt als Bürgermeister kandidieren wolle. Nach Rücksprache mit der Familie trat er an. Er wurde in der Stichwahl mit knapp 70 Prozent der Stimmen gewählt. Seitdem ist in Neuenkirchen einiges passiert: Schon am Ortseingang wirbt eine Tafel damit, eine „parkuhrfreie Gemeinde“ zu sein. Und anders als in anderen Orten gibt es keinen Leerstand. Die Läden im Ort sind alle vermietet. „Ich komme ja hier aus der lokalen Wirtschaft“, sagt Brüning. Als es ein Förderprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen gegen den Leerstand in Innenstädten gab, ließ der Bürgermeister seine Kontakte spielen. Ein Laden für Friseurbedarf erweiterte seine Verkaufsfläche. Eine Fahrschule eröffnete, ein Tätowierer machte sich in Neuenkirchen selbständig. „Ich bin gut vernetzt mit den Unternehmen und den Menschen hier vor Ort, da schafft man es, auch leere Läden zu vermieten.“
Wichtig ist Brüning die Digitalisierung: Auf der Website der Gemeinde findet sich ein digitales Rathaus. Alle Dienstleistungen, die man im Ort digital in Anspruch nehmen kann, sind dort aufgelistet. „Der Bauherr bekommt mittlerweile digital Informationen über den Stand seines Verfahrens, zum Beispiel darüber, ob noch Unterlagen nachgereicht werden müssen“, sagt Brüning. „Das war früher viel komplizierter und geht nun relativ einfach.“
Ein Projekt, für das sich Brüning sogar auf der Bundesebene engagiert hat, ist der „Grüne Wasserstoff“. Denn rund um Neuenkirchen, in der flachen Landschaft des Kreises Steinfurt, finden sich viele Windkraftanlagen. Doch um damit Wasserstoff zu produzieren, braucht es einen Elektrolyseur. Der aber galt lange als Störfallanlage: „Da findet ein chemischer Prozess statt“, sagt Brüning. „Und deswegen waren für Elektrolyseure, gleich welcher Größenordnung, 1.000 bis 1.500 Meter Abstand zur nächsten Wohnbebauung vorgeschrieben.“ Brüning fuhr nach Berlin, nahm Kontakt zu Bundestagsabgeordneten auf, engagierte sich bei der Gründung des „Bundes der Wasserstoffregionen“. Das Baugesetzbuch wurde schließlich geändert. Unterhalb von fünf Megawatt Leistung gelten die Abstandregeln nicht mehr. In Neuenkirchen wird in einem Gewerbegebiet nun die Aufstellung eines Elektrolyseurs erwogen. „Unser Ziel ist es, den Wasserstoff, den unsere Unternehmen hier verbrauchen, auch selbst zu erzeugen“, sagt Brüning.
Winfried Brüning und seine Vision fürs Rathaus
Wie Wilfried Brüning der Sprung aus 20 Jahren Selbstständigkeit ins Rathaus gelang? „Mit Wertschätzung“, sagt Brüning. Als er anfing, habe er mit jedem der 108 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Einzelgespräch geführt. „Mir geht es darum, dass jeder, der hier arbeitet, mit seiner Arbeit wertgeschätzt wird.“ Wozu auch gehört, dass sich Brüning vor seine Mitarbeiter stellt, wenn es darauf ankommt. „Wenn es im Rathaus eine Panne gab, und der Gemeinderat fragt, wer den Fehler gemacht hat, bin das immer ich“, sagt Brüning. An schönen Sommertagen holt er schon einmal den Grill raus und brät auf dem Parkplatz hinter dem Rathaus für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Würstchen.