Junger Man und junge Frauen wählen (Grafik)
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Kommunalwahlen

Wahlrecht ab 16: Doch wie Wähler gewinnen?

Vereine, die sich mit jungen Menschen treffen, Speed-Datings mit Kommunalpolitikern, projektbezogene Beteiligungen: Die Liste der Versuche, für die Kommunalpolitik zu begeistern, ist lang. Wir zeigen Aktionen und Erfolgsaussichten. In immer mehr Bundesländern gilt das Wahlrecht ab 16.

„Das Wahlrecht ab 16 ist nicht mehr aufzuhalten“, sagt Ralf-Uwe Beck. Der Bundesvorstandssprecher von „Mehr Demokratie e.V.“ kämpft seit Jahren dafür, dass auch Jugendliche an Urnengängen teilnehmen können. Und derzeit sieht es so aus, als ob Beck sein Ziel schon fast erreicht hat: In elf Bundesländern dürfen Jugendliche mittlerweile auf kommunaler Ebene an Wahlen teilnehmen. Nur in Bayern, dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen und Sachsen bleiben sie weiter außen vor.

Wahlrecht ab 16 bereits in elf Bundesländern

In Bremen, Hamburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein können sie auch den Landtag mitwählen. „Und im April hat auch Baden-Württemberg das Landtagswahlrecht für 16-Jährige beschlossen – und das mit einer Landesregierung, an der die CDU beteiligt ist“, sagt Beck. „Und auch in Nordrhein-Westfalen will die CDU ein Wahlrecht für 16-Jährige.“ Die bislang spürbare Blockade der Union, die unter anderem dazu geführt hat, dass das 1998 in Hessen kurzzeitig eingeführte Wahlrecht ab 16 1999 vom Kabinett von Roland Koch wieder rückgängig gemacht wurde, bröckelt aus Sicht von Beck also heftig.

Aktionen richten sich an junge Wähler

Wie aber kann es in einer Kommune gelingen, dass die wahlberechtigten Jugendlichen dann tatsächlich auch zur Kommunalwahl gehen? Gibt es dafür Erfolgsrezepte? Martin Ragg, Bürgermeister im schwäbischen Niedereschach, ist da skeptisch. „Im Kommunalwahlkampf haben wir die Aktion ´Gemeinde- und Ortschaftsräte gehen zur Jugend´ durchgeführt“, sagt Ragg. Dabei seien der Bürgermeister sowie Gemeinderats- und Ortschaftsratsmitglieder zu Vereinen gegangen, in denen sich junge Leute treffen. Man war zu Gast im örtlichen Jugendclub, bei der Bläserjugend oder der Jugendfeuerwehr. Dort berichteten die Kommunalpolitiker dann von ihrer Arbeit in der Schwarzwaldgemeinde.

Über die Kommunalwahl wurde gesprochen. Und über die Arbeit in den Gremien ebenso wie über aktuelle Themen. „Es hat sich durchaus auch eine Diskussion entwickelt“, erinnert sich Ragg. „Aber meist war es dann fokussiert auf Einzelprojekte, etwa die Dirt-Bike-Strecke oder den Skaterplatz.“ Ein kommunalpolitisches Engagement konnte sich dagegen kaum ein Jugendlicher vorstellen. „Die Jugendlichen haben uns stets freundlich empfangen und sich 'brav' angehört, was wir zu sagen hatten“, sagt Ragg. „Aber das 'Feuer' für die Kommunalpolitik zu entfachen, ist uns nicht so recht gelungen, weshalb wir die Aktion auch nicht mehr wiederholten.“

Bürgermeisterin Stockelsdorf

Man merkt, dass die Begeisterung bei Themen, die den Einzelnen direkt betreffen, am größten ist.“

Julia Samtleben, Bürgermeisterin von Stockelsdorf



Auch die Stockelsdorfer Bürgermeisterin Julia Samtleben ist sich unsicher, wie man junge Wähler wirklich erreicht. „Wenn ich ein Patentrezept hätte, würde ich es verraten“, sagt die Rathauschefin des Lübecker Vororts im Gespräch mit „KOMMUNAL“. „Ich glaube, man muss Kinder und Jugendliche und ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen.“ Politisch setzt sie sich deswegen für ein Kinderwahlrecht für unter Sechzehnjährige ein, um den Familien und damit den Kindern eine stärkere Stimme zu geben. „Um Kinder und Jugendliche zu begeistern, hilft vielleicht eine projektbezogene Beteiligung“, sagt Samtleben – und schlägt damit in dieselbe Kerbe wie Martin Ragg aus Niedereschach. „Auch bei Erwachsenen merkt man, dass die Begeisterung bei Themen, die den Einzelnen direkt betreffen, am größten ist.“ In der Gemeinde Stockelsdorf denke man deswegen über die Schaffung einer App nach, mit deren Hilfe Kinder und Jugendliche stärker am Geschehen in der Kommune beteiligt werden könnten. Und die Bürgermeisterin hat auch die sozialen Netze. „Informationen über TikTok oder Instagram erreichen schon Kinder am besten.“ Doch die Zahl der Kommunalpolitiker, die derzeit auf TikTok zu finden sind, bleibt überschaubar: Als kürzlich im brandenburgischen Potsdam-Mittelmark ein neuer Landrat gewählt werden musste, hatte der örtliche CDU-Bewerber Christian Große dort einige Videos veröffentlicht. Gewählt wurde er aber nicht.

"Mach´s ab 16" - Kampagne des Landesjugendrings

Ein anderes Brandenburger Projekt scheint zumindest etwas mehr Erfolg gehabt zu haben: Zu den Landtagswahlen 2019 hatte der Landesjugendring eine eigene Kampagne gestartet, um das Wahlrecht

für 16-Jährige stärker bekannt zu machen. „Mach´s ab 16“ heißt die Website, die Informationen über den Urnengang für Jugendliche altersgemäß vermittelt. Dazu kamen zahlreiche Aktionen: Im Vorfeld der Wahlen wurden Speed-Datings mit Brandenburger Politikern organisiert. Auch herkömmliche Fragerunden oder einen analogen Wahl-o-Maten gab es, um die Jugendlichen zu animieren, sich mit den Wahlen zu beschäftigen. Der Erfolg jedoch blieb auch auf der Landesebene durchwachsen: An den Landtagswahlen beteiligten sich 58 Prozent der 16- bis 18-Jährigen. Das waren mehr als 2014, als nur 42 Prozent der Wahlberechtigten aus dieser Altersgruppe zur Wahl gingen. Doch bei beiden Landtagswahlen lag die Wahlbeteiligung in der jüngsten Wählergruppe weiter deutlich unter dem Landesdurchschnitt aller Alterskategorien. Es bleibt deswegen schwierig, junge Wähler zum Urnengang zu motivieren.

Politikunterricht in den Schulen

Was also raten die Verfechter des Wahlrechts ab 16? Der „Mehr Demokratie“-Bundesvorstandssprecher Ralf-Uwe Beck setzt vor allem auf den Politikunterricht an den Schulen. „Wenn die erste Wahlteilnahme noch in der Schulzeit liegt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sich im Unterricht ein anderes Demokratielernen einstellt“, meint er. Dann gebe es nicht nur trockenen oder abstrakten Unterricht über Wahlen, Parlamente und Kommunen. „Es gibt dann einen Anlass in der Lebenswelt der Jugendlichen, der dazu führt, dass sie sich damit beschäftigen.“ Aus seiner Sicht sollte das Thema Wahlen und Abstimmungen aber noch viel intensiver in den Lehrplänen der Schulen vorkommen

„Das ist eine wesentliche Chance, auch für die Demokratie ingesamt“, sagt Beck. „Jemand, der sich sehr früh selbst an Wahlen beteiligt, wird Zeit seines Lebens dabei bleiben und vielleicht sogar bei allen künftigen Wahlen mitmachen – wer dagegegn erst sehr spät das erste Mal an einer Wahl teilnimmt, dem fällt es eher schwer, sich demokratischen Gepflogenheiten zu nähern.“ Oder, etwas volkstümlicher ausgedrückt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.

Kommunen könnten Erstwähler-Empfang ausrichten

Und was bedeutet das für die Kommunen? „Man sollte das Wahlrecht ab 16 Jahren proaktiver angehen“, meint Beck. Er könne sich zum Beispiel einen Empfang vorstellen, auf dem der Bürgermeister die Erstwähler begrüßt. „Man sollte den Jugendlichen vermitteln: Du bist Bürger, nutze Deine Rechte – Du bist wertvoll für uns.“ Dort, wo das Wahlrecht ab 16 bereits gilt, müssten sich Parteien und Wählergruppen dann auch stärker auf die Jugendlichen einstellen: Nötig sei dann, eine andere Sprache zu sprechen, die für junge Leute verständlich sei. Und auch die eigene Programmatik müsse dann verjüngt werden. Das sei auch aus einem anderen Grund nötig, sagt Beck. „In der demographischen Entwicklung sehen wir, dass die Jugendlichen immer mehr in die Minderheit geraten. Die Älteren werden immer mehr – aber die jungen Leute müssen deren politischen Entscheidungen am längsten aushalten.“

Junge Bewerber in Niedereschach

In Niedereschach immerhin hat sich am Ende dann doch noch ein ganz banaler Weg gefunden, wie die Kommunalwahlen für junge Leute interessant wurden: „Bei der letzten Wahl haben sich einige jüngere Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen lassen“, sagt Martin Ragg. Am Ende seien einige von ihnen in den Gemeinderat und die drei Ortschaftsräte gewählt worden. „Ich glaube, die Wähler goutieren das besonders, wenn junge Leute, gerade auch junge Frauen, den Mut für eine Kommunalwahlkandidatur aufbringen.“ Gut möglich also, dass jüngere Menschen genau dann stärker zur Wahl gehen, wenn auf dem Stimmzettel für die Kommunalwahl Menschen stehen, die vom Alter her gesehen eher dem eigenen Lebensumfeld entsprechen und die die Jugendlichen vielleicht sogar persönlich kennen.

Fotocredits: Bürgermeisterin Julia Samtleben: Benjamin Lassiwe