
Fachkräftemangel
So buhlen Kommunen um Fachkräfte
Was waren das noch für Zeiten, als sich die Bewerbermappen auf den Schreibtischen der Arbeitgeber stapelten. Sie sind vorbei. „Manchmal kann man heutzutage schon froh sein, wenn sich ein einziger Bewerber meldet, der dann auch noch für die ausgeschriebene Stelle geeignet ist“, seufzt der Bürgermeister der 11.000-Einwohner-Stadt Waldkirchen in Niederbayern. Neulich saß ihm ein junger Elektriker gegenüber. Anfang 20, er hatte noch nicht lange ausgelernt. „Der junge Mann fragte mich, wie es bei uns denn mit der 35-Stunden-Woche sei. Ich musste ihm mitteilen, dass es die im öffentlichen Dienst bei vollem Gehalt nicht gibt. Wie es aber mit einem Dienstwagen für ihn aussehe?
Fachkräfte-Engpass: Bewerber anspruchsvoll
Die zweite Antwort gefiel seinem Gegenüber vermutlich ebenfalls nicht. „Bei uns gibt es zwar Arbeitsfahrzeuge, einen Dienstwagen hat leider nur der Bürgermeister“, musste ihm Heinz Pollak eine weitere Illusion rauben. Sie können sich vorstellen, wie das Bewerbungsgespräch ausging. Für den Elektriker übrigens bestens: Er erzählte seinem Arbeitgeber, einem großen Industriegebiet in der Region, dass er die Chance hätte, zur Stadt zu wechseln. „Als er mich anrief, um endgültig abzusagen, klang er richtig happy. Sein bisheriger Arbeitgeber sei bei dort geltender 35-Stunden-Woche nun bereit, nochmal 500 Euro brutto auf sein Gehalt draufzulegen“, so der Bürgermeister. Die Stadt hat 160 Mitarbeiter und sucht nun schon seit Monaten rund zehn neue Beschäftigte, neben dem Elektriker auch Mitarbeiter für den Bauhof sowie Busbegleiter. Dringend gebraucht werden drei Bademeister für den Badepark.
35 Stunden Woche und Dienstwagen für einen jungen Elektriker – da muss die Stadt passen.“
Wo Personal fehlt
Wie Waldkirchen geht es Tausenden von kommunalen Verwaltungen in Deutschland. Mit wachsender Verzweiflung. Denn die geburtenstarken Jahrgänge gehen in den Ruhestand und der so dringend benötigte Nachschub ist rar. Experten zufolge wird der Fachkräftemangel im öffentlichen Sektor am stärksten ausfallen: Bis zum Jahr 2030 werden allein in dem Bereich über 800.000 Fachkräfte fehlen. Das, was Deutschland in diesem Jahr erlebt, ist also nur der Anfang einer herausfordernden Zeit und markiert das Ende der Wird-Schon-Denke. Auf den Flughäfen bleiben die Koffer liegen, weil das Personal in den Corona-Lockdown-Zeiten auf andere Jobs flog, in den Hotels und Gaststätten kommen die Betreiber kaum mehr ins Bett, Bäckereien backen kleinere Brötchen, die Läden sind vielfach nicht mehr wie gewohnt von morgens bis abends geöffnet. In den kommunalen Verwaltungen bleiben Anträge länger unbearbeitet - und mancherorts bleibt das Freibad in diesem Sommer erstmals zu, weil Bademeister und Rettungsschwimmer fehlen. Dramatisch ist die Situation im Betreuungs- und Pflegebereich.
Laut einer aktuellen Studie der BertelsmannStiftung fehlen für eine flächendeckende und gut ausgestattete Ganztagsförderung in der Grundschule bis 2030 mehr als 100.000 pädagogische Mitarbeiter. In Deutschland gibt es derzeit über 1,7 Millionen offene Stellen. „Das ist der höchste Wert, den wir bisher gemessen haben“, sagt Arbeitsmarktexperte Alexander Kubis. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler beobachtet am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit intensiv die Stellenentwicklung in der Republik. „Auf 100 offene Stellen kommen heute 140 Arbeitslose, im Jahr 2005 waren es 1000 Arbeitslose auf 100 offene Stellen“. Früher, so Kubis, konnten sich die Unternehmen die Leute aussuchen, jetzt müssen sie Kompromisse machen. Die demografische Entwicklung sorge dafür, dass Unternehmen viel breiter und viel länger suchen und ihre Personalplanung vorausschauender gestalten müssen.
Arbeitsmarktexperte: Neue Verhandlungsbasis
„Einst kam der Großteil der Beschäftigten aus der Arbeitslosigkeit, heute wechseln 60 Prozent aus einem anderen sozialversicherungspflichtigen Job in den nächsten. Damit ändert sich die Verhandlungsbasis zwischen Arbeitgeber und Bewerbern“, so Kubis. Oft sind die Bewerber für den ausgeschriebenen Job nicht so qualifiziert und müssten nachgeschult werden. „Der öffentliche Dienst kann damit punkten, dass er relativ krisensichere Jobs anbietet. Das ist in der heutigen Zeit Gold wert. Die Bewerberzahlen sind daher immer noch besser als in der Privatwirtschaft“, sagt der Arbeitsmarktexperte. Dennoch: Das Erwerbstätigenpotenzial schrumpft, wie es in der Fachsprache heißt. Es stehen dem Arbeitsmarkt also weitaus weniger Menschen zur Verfügung. „Ein großer Hebel ist die Zuwanderung“, so Kubis. In welchen Maße Flüchtlinge wie aus der Ukraine den Arbeitsmarkt spürbar entlasten, sei noch abzuwarten. Denn viele Kriegsvertriebene wollen zurück in die Heimat.
Die Bewerberzahlen im öffentlichen Dienst sind immer noch besser als in der Privatwirtschaft.“
Fachkräfte aus dem Ausland
Das Potenzial an Helfern und Fachkräften werde nicht aus Europa kommen, sondern aus Ländern außerhalb der EU, prognostiziert der Arbeitsmarktexperte. Das liegt daran, dass auch in Ländern wie Tschechien oder Polen weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und sich das Lohniveau angleicht. Der Luftkurort Waldkirchen hatte jahrelang auf die Helfer aus dem nahegelegenen Tschechien zurückgreifen können. „Wir bekommen von dort so gut wie niemanden mehr“, sagt Marita Gottinger, die zusammen mit ihrer Schwester ein 4-Sterne-Hotel betreibt. „Daher haben wir international eine Stellenausschreibung über eine Agentur laufen und arbeiten erfolgreich auch mit einer Agentur für indonesische Auszubildende zusammen“, erzählt die Hotelchefin. Auch die Stadtverwaltung wirbt international um Personal. Die Industrie—und Handelskammern bieten Webinare für Betriebe mit Fachkräfteengpässen in der IT, der Elektrotechnik sowie der Hotellerie und der Gastronomie an, damit sie qualifizierte Fachkräfte aus Brasilien, Indien und Vietnam gewinnen. Das Projekt nennt sich „Hand in Hand for International Talents“. Das Projekt sieht dann auch konkrete Unterstützung für die Bewerber aus dem Ausland vor. Der Bund will die Zuwanderung von Fachkräften nun deutlich erleichtern.
Ausbildungsaktionen: Bus fährt aufs Dorf
Quer durch Deutschland laufen viele Aktionen, um junge Menschen für Ausbildungsberufe zu begeistern. In Brandenburg ist in den Sommerferien zum Beispiel ein VW-Bulli unterwegs. „Brandenburg will Dich! – Hier hat Ausbildung Zukunft“ steht groß darauf geschrieben. Der Bus bringt Informationen zu Ausbildungsmöglichkeiten in der Region direkt zu den Jugendlichen in die Städte und Dörfer. Im Landkreis Haßberge werden seit 2019 „Jobentdecker“ gesucht – Jugendliche können vier Wochen in den Ferien über eine dreitägiges Minipraktikum in ein Unternehmen der Region „hineinschnuppern“. Ihre Erfahrungen bloggen sie dann für andere auf der „Jobentdecker-Homepage“.
Stadtwerk bewirbt sich
Bei der Suche nach Personal lassen sich Kommunen immer mehr einfallen. Einen ungewöhnlichen Weg geht das kommunale Stadtwerk aus Überlingen und Friedrichshafen vom Bodensee. „Was sind Ihre Stärken und Schwächen?“ steht auf dem Plakat, mit dem das „Stadtwerk am See“ im Mai dieses Jahres seine pfiffige Rekruiting-Kampagne gestartet hat. Daneben: Ein Gähn-Smiley. Und darunter: „Schluss mit dem BewerbungsBLABLA! Denn wir bewerben uns bei Ihnen!“ Zum Start der Kampagne stellten sich der Leiter der Unternehmenskommunikation, Sebastian Dix und Personalchef Olaf Schwarz mit vorgehaltener Hand demonstrativ gähnend vor den Spruch mit langweiligen Abfragefloskeln beim Vorstellungsgespräch.
Keine Bewerbungsphrasen
Das kommunale Unternehmen drehte also einfach den Spieß um. „Unser Ansatz bildet die Realität ab“, sagt Stadtwerk-Personalchef Olaf Schwarz. „Denn wenn man ehrlich ist, bewerben wir uns meist um die Fachkräfte und nicht anders herum.“ Das Stadtwerk am Bodensee muss wie andere Branchen und Unternehmen immer mehr Mühe und Zeit aufwenden, um ausgeschriebene Stellen zu besetzen. „Wir wollten keine ,Komm ins Team-Anzeige‘ mehr machen“, sagt Kommunikationsleiter Sebastian Dix. Stattdessen holt sich das kommunale Stadtwerk Aufmerksamkeit über Plakate mit abgedroschenen Bewerbungsfloskeln wie „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren“ oder „Sind Sie eine Karrierefrau?“ – und kommentiert solche Fragen mit genervt aussehenden Smileys. Auf der Internetseite findet der Bewerber eine digitale Bewerbungsmappe des Stadtwerks.
Radio-Werbung geschaltet
Damit bewirbt sich das Unternehmen im Bodensee-Kreis mit seinen derzeit rund 360 Mitarbeitern als attraktiver Arbeitgeber. Das Stadtwerk versorgt über 100.000 Haushalte mit Strom, Erdgas, Wärme und Trinkwasser, die Verkehrs- und Telekommunikationsbetriebe sind Unternehmenstöchter. Auch die Kontaktaufnahme wurde vereinfacht und spielerischer gestaltet, die Bewerber schätzen ihre Kompetenz mit Smileys ein und kommen mit nur wenigen Pflichtangaben aus. Gleichzeitig schaltete das Unternehmen Radiowerbung. Witzige Spots. „Hallo, hier ist der Anrufbeantworter vom Harry, bin gerade auf der Baustelle, rufe nachher zurück.“ Eine tiefe Stimme meldet sich: „Hier ist das Stadtwerk am See, wir haben uns bei Ihnen beworben, hatten Sie schon Zeit, sich unsere Unterlagen anzusehen?“
Behörden können kreativ sein
Auch auf Social Media und in digitalen Jobbörsen ist das Stadtwerk unterwegs. Die Kampagne, die über eine Agentur umgesetzt wurde, hat sich das Unternehmen mehrere tausend Euro kosten lassen. „Wir sind davon überzeugt, dass sich die Ausgabe lohnt“, so der Sprecher. „Denn eine offene Stelle kostet auch viel Geld.“ Und wie ist der Erfolg? „Wir bekommen seither tatsächlich mehr Bewerbungen, darunter auch viele qualifizierte“, sagt Dix. Ziel der Kampagne sei aber auch, das Image des Stadtwerks über eine witzige und pfiffige Darstellungsweise zu prägen. Auf der Homepage können die Kunden den Geschäftsbericht als Video verfolgen und Spiele spielen. „Auch Behörden können ihre Freiräume für eine kreativere Darstellung nutzen“, zeigt sich Dix überzeugt. „Es reicht aber nicht, einfach mir einer Agentur eine Kampagne machen zu lassen, die Kommune sollte nicht mit einer tollen Arbeitsatmosphäre werben, wenn der graue Bürotrakt dann den Charme der 1950-er Jahre versprüht.“
Kommunales Unternehmen
Das Stadtwerk hat Mitarbeitern einiges zu bieten: Kantine mit Frischküche, Fortbildungen, flexible Arbeitszeiten, Fahrtkostenzuschuss für den ÖPNV, hybrides Arbeiten, Mitarbeiterevents. Dazu kommen vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten, Mitarbeiterbeteiligung, Jobfahrrad, Mitarbeiterrabatte, ein Mitarbeiter-Parkplatz, betriebliche Altersvorsorge und Gesundheitsangebote. Arbeitskleidung und sogar Businesskleidung werden gestellt. All diese Leistungen sind in der digitalen Bewerbungsmappe zusammengestellt. Eine erste Bewerbung ist online unkompliziert möglich. Not macht erfinderisch: Die Gemeinde Grasbrunn im Landkreis München entschloss sich dazu, mit bunten Plakaten an Münchens S-Bahnhöfen um Erzieherinnen für ihre Kinderbetreuungs-Einrichtungen zu werben. Bonn zeigt mit der vielbeachteten witzigen Rekruiting-Kampagne schon seit Jahren, dass die Zeit der schlichten Anzeigen vorbei ist. Mitarbeiter der Stadt suchen auf Plakaten neue Kollegen. Eine Verwaltungswirtin tritt als „Die Datenträgerin“ auf, der Abwassertechniker surft als „KlarSpüler“ in einem Brunnen.
Tipps für Kommunen
Was aber müssen Kommunen bieten, damit es nicht bei Sprüchen bleibt? Zu den wesentlichen Voraussetzungen gehören ein gut ausgestatteter Arbeitsplatz, agile Arbeitsformen, hybrides Arbeiten und vor allem eine Kultur der Wertschätzung. Gerade für Mitarbeiter mit Kindern sind Kita- und Schulplätze wichtig „Auch die Pflege betreuungsbedürftiger Angehöriger gewinnt angesichts des demografischen Wandels zunehmend an Bedeutung“, betonen der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Städtetag und der Landkreistag in einem gemeinsamen Papier. Haben Sie Ihre Bewerbungsmappe schon erstellt?