Kriseninterventions-Mitarbeiter unterstützt Einsatzhelfer
Auch Helfer brauchen manchmal Hilfe: Die Mitarbeiter des Vereins "Hilfe für Helfer in Not" unterstützen nach erschütternden Einsätzen
© Hilfe für Helfer in Not e.V.

Krisenintervention

Krisenintervention: Rettende Hilfe für Helfer

Katastrophen wie die Entgleisung des Zugs in Garmisch-Partenkirchen verändern für die Hinterbliebenen der Opfer auf einen Schlag ihr ganzes Leben. Auch die Einsatzkräfte vor Ort kommen angesichts der dramatischen Szenen und Eindrücke an ihre Grenzen. Wenn sie nicht mehr können, hilft ein Kriseninterventionsteam wie das des Vereins „Hilfe für Helfer in Not“.

Die Bilder des entgleisten Regionalzugs vor der Bergkulisse Garmisch-Partenkirchens beherrschen derzeit nahezu jede Nachrichtensendung. Nach wie vor leisten die Einsatzkräfte dort physische und psychische Schwerstarbeit. Fünf Opfer wurden bislang geborgen, noch läuft der Einsatz vor Ort. Wie gehen die Helfer selbst mit den Erlebnissen um? Wie bewältigen sie die dramatischen Bilder und Szenen? Und wer hilft ihnen, wenn sie selbst nicht mehr können? Es sind Menschen wie Vanessa Wöhner. Die Psychologin ist die fachliche Leiterin des Kriseninterventionsteams des Vereins „Hilfe für Helfer in Not“ in Magdeburg und engagiert sich dort seit etlichen Jahren ehrenamtlich. Gegründet wurde der Verein 2012 mit dem Ziel, psychosoziale Notfallbetreuung nicht nur für Angehörige, sondern auch für Einsatzkräfte anzubieten, um diese möglichst direkt nach ihrem Einsatz im Katastrophenfall aufzufangen.

Krisenintervention: so schnell wie möglich

Egal, wie stabil und gesund jemand ansonsten im Leben und Beruf steht: „Es gibt Ereignisse, nach denen jeder Hilfe braucht“, ist  Wöhner überzeugt und Katastrophen wie in Garmisch-Partenkirchen gehören definitiv dazu. Dabei seien gerade derartige Einsätze, die über mehrere Tage hinweg gingen, extrem belastend für die Einsatzkräfte. Aber die zeitliche Dimension alleine sagt freilich nichts aus über die Schwere der Last. Es sind wenige Stichworte, die Wöhner und ihre Kollegen zu Beginn eines Einsatzes erreichen. „Reanimation Kind“ lautet einer, „Suizid“ oder „schwerer Motorradunfall“ sind andere. Meist wird das Kriseninterventionsteam von der Leitstelle informiert, dann startet der Mitarbeiter im Einsatz los zum Unfallort. „Ich ziehe meine Einsatzkleidung an, nehme den Notfallrucksack mit samt Teddybär, Getränken, Schokoriegel und Malbuch und gehe bewusst hinein in meine Rolle“, erzählt Wöhner. Auf dem Weg zu Einsatzort versuche sie sich dann, innerlich vorzubereiten auf das Geschehen und möglichst offen zu sein für den Menschen, dem sie gleich gegenübertritt.

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Der Verein "Hilfe für Helfer in Not" in Magdeburg

Im Katastrophenfall da sein

Die Einsatzfälle sind so unterschiedlich wie erschütternd. Da ist der Zweijährige, der bei einem Kita-Ausflug im Neustädter See in Magdeburg ertrunken ist – Wöhner hat damals die beteiligten Polizisten und Rettungssanitäter betreut. Da ist der tödlich verunglückte Motorradfahrer, der selbst bei der Feuerwehr gearbeitet hat und schließlich von seinen eigenen Kollegen geborgen werden musste. Und da sind aktuell die Flüchtlingshelfer in der Ukrainekrise, die teilweise 12-Stunden-Dienste in den Notunterkünften haben und dabei mit Menschen zu tun haben, die schlimmste Dinge erlebt haben und viel Trauer, viel Wut und Unverständnis in sich tragen. „Auch das war und ist teilweise extrem belastend“, weiß Wöhner aus ihrer Arbeit.

Kriseninterventionsteam bietet Sicherheit

Treffen die Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams auf die hilfsbedürftigen Helfer, so führen sie meist intensive zwei- bis dreistündige Gespräche mit den Einsatzkräften und helfen ihnen dabei, das gerade Erlebte noch einmal zu erzählen, einzuordnen und zu reflektieren, wie Wöhner sagt. „Nach dem ersten Schock geht es vor allem darum, überhaupt erst einmal wahrzunehmen, wie es einem geht und zu verstehen, dass all das eine vollkommen normale Reaktion ist“, sagt die Leiterin des Teams. In der Ausnahmesituation bieten Wöhner und ihre Mitarbeiter „Sicherheit und einen Rahmen“. Dieser ist je nach Person ganz unterschiedlich – manche würden reden wollen, manche schweigen, wieder andere wollen spazieren gehen. Die Aufgabe der Kriseninterventions-Helfer sei es, dem gerecht zu werden, was die Person gerade brauche. „Das Wichtigste ist es, zu verinnerlichen: Ich muss nicht immer funktionieren, es ist völlig ok, auch mal schwach zu sein“, sagt Wöhner. Das sei gerade für Einsatzkräfte schwierig, schließlich seien sie ja normalerweise immer für andere da – „da fällt es oft schwer, auch selbst einmal die Rolle des Hilfesuchenden anzunehmen“.

 Bewältigungsstrategien entwickeln

Natürlich müsse eine Bewältigung des Einsatzes nicht zwingend durch eine professionelle Stelle erfolgen und könne im Zweifelsfall auch ein Gespräch mit dem besten Freund oder der Ehefrau viel dabei helfen, das Erlebte nicht zu verdrängen und zu bewältigen. Allerdings: Das Gespräch mit einem Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams bietet aus Erfahrung von Wöhner eine andere, oft sehr lohnende Ebene: „Wir schaffen einen externen, anonymen Rahmen, in dem sich Menschen manchmal deutlich besser öffnen können als im privaten Umfeld. Zudem begegnen wir uns hier ja von Einsatzkraft zu Einsatzkraft und haben als Kriseninterventionshelfer meist auch schon einiges selbst erlebt. Das hilft oft zum Verständnis“. Darüber hinaus seien die fachliche Kompetenz und das psychologische Knowhow nicht zu vernachlässigen, die bei der Einordnung der Symptome und bei der Entwicklung von Bewältigungsstrategien sehr helfen könnten.

Vermeidung posttraumatischer Störungen

Wöhners Klienten stammen aus verschiedensten Einsatzbereichen, mal sitzen vor ihr Feuerwehr-Leute, mal Notärzte, mal Polizisten, mal Rettungssanitäter. Diese Offenheit und damit einher gehende Anonymität helfe, erzählt Wöhner. „Wir bieten einen geschützten und intimen Rahmen außerhalb des sonstigen Arbeitsfeldes der Menschen“, so die Psychologin. Zwar gebe es auch innerhalb der professionellen Strukturen der jeweiligen Einheiten, ob nun bei der Feuerwehr oder beim Rettungsdienst, das Angebot psychologischer Unterstützung. Meist aber sei die Hürde hier deutlich höher, sich dort zu melden, aus Angst, dass die Kollegen etwas mitbekommen. So würden psychische Probleme auch heute noch teilweise stigmatisiert und tabuisiert und herrsche gerade bei der älteren Generation die Angst, Schwäche zu zeigen, verbunden mit der Sorge, dann nicht mehr einsatzfähig zu sein. Insgesamt aber ist nach Wöhners Erfahrung die Bereitschaft gestiegen, sich nach einem traumatisierenden Einsatz Hilfe zu holen und stoße sie gerade bei den jüngeren Ehrenamtlichen auf „deutlich größere Offenheit und Toleranz für psychische Folgen von Erlebnissen im Einsatz“. Früher sei das weniger ein Thema gewesen und wurde häufig darüber hinweggesehen – mit teilweise dramatischen langfristigen Folgen und späten traumatischen Reaktionen. Dabei wisse man mittlerweile aus Studien, „dass man ganz viele posttraumatische Störungen vermeiden kann, wenn man in der akuten Situation so früh wie möglich reagiert“, sagt Wöhner.

Unterstützung in der Akutsituation

„Es geht bei unserer Arbeit klar um die Unterstützung direkt nach der Katastrophe in der Akutsituation“, betont die fachliche Leiterin. In den Tagen nach dem Gespräch gehe es dann für die Helfer darum zu erkennen, ob es sich bei ihren Symptomen noch um eine normale Stressreaktion handle oder aber um eine Reaktion, die längerfristig behandelt werden müsse. „Die grobe Faustregel lautet: Wenn der Stresspegel nach einer Woche auf hohem Niveau stagniert, man immer noch nicht schlafen kann und seinen Alltag bewältigen, dann sollte man sich weiter Hilfe suchen“, so Wöhner. Teilweise würden sie und ihre Mitarbeiter auch längerfristige Hilfen vermitteln, meist aber reiche die Unterstützung nach dem Einsatz aus. Diese Erfahrung ist es auch, die Wöhner selbst immer wieder aufs Neue Kraft gibt für ihre fordernde Arbeit. „Zwischen dem Menschen, der mir am Anfang des Gesprächs begegnet und dem, der nach drei Stunden den Raum verlässt, liegen oft Welten“, sagt Wöhner. Trifft sie anfangs oft auf Menschen, die aufgelöst, unkoordiniert, schwer belastet und verzweifelt sind, so verlassen sie am Ende meist gefestigt, empfindsam und selbstsicher den Raum. „Dann nach Hause zu fahren und zu wissen, dass man jemandem dabei geholfen hat zu verarbeiten, statt langfristige psychische Folgen davon zu tragen – das ist sehr motivierend“, sagt Wöhner.

Weitere Informationen zum Verein Hilfe für Helfer in Not.

Fotocredits: "Hilfe für Helfer in Not" e.V.