Fast 40 Prozent der Lokalzeitungen in Deutschland droht langfristig die Unwirtschaftlichkeit und somit das Aus!
Fast 40 Prozent der Lokalzeitungen in Deutschland droht langfristig die Unwirtschaftlichkeit und somit das Aus!

Besorgniserregende Studie

In 4400 Gemeinden droht Lokalzeitungen das Aus

Die Lokalzeitung vor Ort ist auch für Kommunalpolitiker und Rathäuser häufig neben dem Amtsblatt die einzige Möglichkeit, sich und seine Kommunalpolitik vor Ort zu erklären. Eine neue Studie sagt nun, dass die Lokalzeitungen in 40 Prozent aller Kommunen in Deutschland schon in fünf Jahren nicht mehr wirtschaftlich sein werden. In 4400 Gemeinden droht somit das Sterben der Lokalzeitungen. Welche Auswirkungen das hätte, zeigen verschiedene Studien.

Die Lokalzeitungen in Deutschland geraten seit wenigen Jahren in eine enorme Schieflage. Waren im Jahr 2014 noch in allen 11.000 deutschen Gemeinden Lokalzeitungen betriebswirtschaftlich zustellbar, ist dies heute schon in 720 Gemeinden nicht mehr der Fall. Laut Studie des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) können in diesen Gemeinden die Verlagshäuser die Bürger nicht mehr zu betriebswirtschaftlich sinnvollen Konditionen mit Abos beliefern. Und die Prognose für die Lokalzeitungen sieht düster aus: Bis zum Jahr 2025 soll der Versorgungsengpass 4400 Kommunen betreffen - also rund 40 Prozent aller Städte und Gemeinden in Deutschland. 

Warum kommt die Lokalzeitung nicht einfach digital daher?

Viele Verlagshäuser bemühen sich bereits, digitale Angebote vorzuhalten. Hier tun sich laut Zeitungsverlegerverband aber zwei Probleme auf. Erstens: Durch die gleichzeitig sinkende Zahl der Abonnenten ist auch dieses Modell oft nicht wirtschaftlich. Denn immer mehr Leser weichen auf kostenfreie Angebote im Netz aus, verzichten im Zweifel auf eine lokale Berichterstattung. Zudem rechnet der Verband vor, dass es mit Blick auf digitale Bezahlangebote eine Übergangslücke von mindestens fünf Jahren gibt. Das bedeutete, frühestens fünf Jahre nach der Umstellung auf "digital" greife das Geschäftsmodell. Eine Zeit, die viele Verlage nicht überstehen würden, so der Verband.

Zweites Problem: Vor allem Ältere Leser sind nicht bereit und in der Lage, von der gedruckten auf die digitale Version umzustellen. Das laufe schon deshalb ins Leere, weil es bis heute in Deutschland vielerorts "an der notwendigen Netzabdeckung mangele", so ein Sprecher. 

Der Verband fordert deshalb eine Förderung bei den Zustellkosten. Diese belaufen sich deutschlandweit pro Jahr auf fast 1,4 Milliarden Euro - Tendenz stark steigend. Hier waren die Kosten mit der Einführung des Mindestlohns bereits deutlich gestiegen. In den nächsten fünf Jahren dürften die Zustellkosten auf rund 1,8 Milliarden Euro steigen. Im Gegenzug sinken die Werbeeinnahmen der Verlage seit Jahren. Die Coronakrise habe die Situation nun noch drastisch verschärft. Die Kosten für das Austragen einer Lokalzeitung belaufen sich im Moment auf durchschnittlich gut 45 Cent. Der Bund hat bereits eine Förderung bei der Zustellung beschlossen.- knapp ein Cent pro ausgetragenem Zeitungsexemplar. Das reiche jedoch nicht - der Verband verweist auf die Förderung der Computer- und Filmindustrie, in dem Bereich sei die Förderung 22 Mal so hoch, wie es für die Unterstützung der Zeitungszustellung vorgesehen sei.

Studien weisen Zusammenhang zwischen Sterben der Lokalzeitungen und Bedrohung der Demokratie nach

Inzwischen gibt es mehrere anerkannte Studien, die einen klaren Zusammenhang zwischen dem Sterben der Lokalzeitung vor Ort und der Wahlbeteiligung vor Ort sehen. KOMMUNAL hatte in einem Leitartikel bereits vor über einem Jahr ausführlich eine Studie aus der Schweiz zu dem Thema vorgestellt. Den Beitrag können Sie HIER noch einmal in Ruhe lesen.

Schon etwas älter, aber nicht weniger aktuell und dramatisch ist eine empirische Studie aus den USA. Zwei Forschern war es dort gelungen, einen klaren Zusammenhang zwischen dem Zeitungssterben und dem politischen Leben in einer Region herzustellen. Die Princeton-Wissenschaftler untersuchten dazu ein Gebiet im US-Bundesstaat Kentucky. 

In der Region wurde im Jahr 2007 die Tageszeitung "Cincinatti Post" eingestellt. somit gab es in der Region ab dem Zeitpunkt nur noch eine Tageszeitung, nämlich den "Cincinnati Enquier". Die Forscher stellten fest, dass diese sich mit einigen Orten des Veröffentlichungsgebietes weniger stark beschäftigte, als zuvor die "Post". In genau diesen Orten ging die Wahlbeteiligung in den darauffolgenden Jahren spürbar zurück, in den anderen Orten bei weitem nicht so stark. Die Ergebnisse wurden Jahre später durch eine Langzeituntersuchung durch Wissenschaftler aus Havard und Chicago ebenfalls bestätigt. Die Wahlbeteiligung sank auch langfristig deutlich. 

Auch Politikwissenschaftler im deutschsprachigen Raum weisen Zusammenhang zwischen Lokalzeitungen und Wahlbeteiligung nach 

Der Politikwissenschaftler Daniel Kübler von der Universität Zürich hat im vergangenen Jahr eine ähnliche Studie in der Schweiz durchgeführt. Die Uni hat gut 400 Gemeinden in der Schweiz untersucht. und die dortige Kongruenz des lokalen Zeitungsmarktes untersucht. Das heißt, inwiefern der Markt der Lokalzeitungen einem Raum entspricht, etwa einer oder mehrerer Wahlgemeinden. Im Interview mit dem Fachmagazin Drehscheibe beschreibt Kübler die Studie wie folgt: "Wenn alle Leser der im Verbreitungsgebiet erscheinenden Zeitungen auch im Verbreitungsgebiet leben, ist die Kongruenz gleich eins. Wenn keiner der Leser der Zeitung im Verbreitungsgebiet lebt, ist die Kongruenz gleich null. Empirisch liegt der Wert immer irgendwo dazwischen. Man kann aber davon ausgehen, dass eine höhere Kongruenz dazu führt, dass Medien über politische Ereignisse in diesem Raum berichten. Was wiederum zu einer höheren Wahlbeteiligung führt." 

Im Ergebnis fand er heraus: Wenn sich ein Einzugsgebiet einer Lokalzeitung geografisch erhöht und somit weniger aus den einzelnen Gemeinden berichtet wird, führt das zu einer De-Lokalisierung und zu einer Ent-Öffentlichung des Lokalen. Die Folgen beschreibt Kübler wie folgt: "Es würde zu einer Entfremdung zwischen Gemeindepolitik und Bevölkerung kommen. Letztens wurde ich gefragt, ob das für die Gemeindepolitiker nicht auch angenehm wäre – schließlich würde niemand mehr kritisch über sie berichten. Aber diese Sichtweise ist falsch. Weil die Politik mit der Bevölkerung abgestimmt sein muss. Wenn sie es nicht ist, kann es sein, dass Politiker etwas beschließen, das völlig gegen die Interessen der Bevölkerung gerichtet ist. Dann kann es zu Protesten kommen. Die Politik würde so unberechenbar, das wäre auch für die Behörden ein Problem."

Die Uni Zürich liefert zudem einen Grund, warum die Digitalisierung der Lokalzeitungen wirtschaftlich - mal abgesehen von der Zahl der Abos - wenig erfolgreich ist: "Je kleiner der Markt, desto schwieriger ist es. Früher haben lokale Medien davon profitiert, dass Unternehmen aus der Region auf ihren Seiten Anzeigen geschaltet haben. Heute ist das entkoppelt. Sie können den Guardian oder die New York Times lesen und bekommen dabei Werbung für ihren lokalen Metzger angezeigt. Die neuen Möglichkeiten der Online-Werbung haben den klassischen Werbemodellen den Boden entzogen, besonders im Lokaljournalismus."

Zeitungssterben führt auch zum "Kampf" gegen Amtsblätter vieler Kommunen 

Je stärker die Lokalzeitungen unter Druck geraten, desto härter gehen die Verlage übrigens auch gegen Kommunen vor, die versuchen, diese Lücke der Berichterstattung in immer größeren Einzugsgebieten zu schließen. Immer häufiger kommt es zu Klagen gegen Amtsblätter der Kommunen, wenn diese "journalistische Berichterstattung" betrieben oder Anzeigen in ihren Lokalzeitungen veröffentlichen. Beides ist in der Tat rechtlich nicht erlaubt. Amtsblätter dürfen nicht "journalistisch" berichten und auch Anzeigen sind maximal in einem sehr eng gefassten Rahmen erlaubt. Was rechtlich zulässig ist und was nicht, darüber haben wir bei KOMMUNAL mehrfach ausführlich berichtet, unter anderem in einem Audio-Podcast mit dem Deutschlandfunk, den Sie HIER Nachhören können.