Das historische Rathaus von Bocholt
Das historische Rathaus von Bocholt
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Digitalisierung

Eine Verwaltung wird digital

Vom Papiertiger zur digitalen Vorzeigestadt: Die Stadt Bocholt im westlichen Münsterland treibt die Digitalisierung der Verwaltung voran! So zeigt zum Beispiel ein Eintrag an, wenn gerade ein Mitarbeiter mit einer Aufgabe in Verzug ist. Eine Zwischenbilanz mit Tipps für andere Kommunen nach dem ersten Jahr.

Gerade kleinere Kommunen tun sich mit der Digitalisierung ihre verwaltungstechnischen Abläufe oft schwer. Obwohl das Festhalten an analogen Prozessen mitunter viel Zeit und mehr Manpower als notwendig kostet. Mancherorts stiften unterschiedliche Dokumentenversionen Verwirrung, befindet sich einseitig zwischen Aktendeckeln, was eigentlich jederzeit allen Projektbeteiligten zugänglich sein sollte, werden Abläufe durch die Ineffizienz überkommener Strukturen behindert.

Digitaler Verwaltungsservice im Vergleich

Die Friedrich-Ebert-Stiftung stellt nüchtern fest: „Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland im Bereich digitale Verwaltungsservices immer noch relativ schlecht ab und belegt lediglich Platz 19. Damit liegt Deutschland deutlich unter dem europäischen Durchschnittswert. Es gibt also noch große Potentiale, die ausgeschöpft werden können und auch sollten.“

Ziel: Digitalisierung der Verwaltung

Im Westen des Münsterlandes hat man sich daran gemacht, in einem fünf Jahre währenden Kraftakt – von 2020 bis 2025 – die Digitalisierung der Verwaltung strategisch anzugehen. Dafür wendet die Kommune Bocholt nicht nur Geld, sondern auch reichlich Arbeitszeit auf. Hany Omar leitet als CDO den immerhin 24 Mitarbeiter umfassenden Fachbereich Digitales und IT. Unterstellt ist er direkt Bürgermeister Thomas Kerkhoff. „Damit hat die Politik in Bocholt deutlich gemacht, dass die Digitalisierung bei uns hohe Priorität genießt und wir den Prozess auf einem hohen Level vorantreiben“, so der IT-Fachmann.

Digitalisierungsstrategie mit viel Kommunikation

Mit Partnern hat die Stadt dafür eine spezielle Digitalisierungsstrategie entwickelt. Das Ziel: „ein einheitliches Verständnis aller an diesem Reformierungsprozess beteiligten Mitarbeiter herbeiführen“. Hany Omar erläutert: „Dahinter verbirgt sich ein großer Kraftakt. In Bocholt haben wir 940 PC-Arbeitsplätze und an 14 Verwaltungsstandorten kommen 180 spezielle SoftwareAnwendungen zum Einsatz. Unser Ziel ist es, alle Verwaltungsabläufe bis zum Jahr 2025 in enger Kommunikation mit allen Beteiligten so schlank, effizient, transparent und bürgernah zu gestalten wie irgend möglich.“

Elektronische Akte vorbereitet

Ein wichtiges Etappenziel sind in diesem Prozess etwa die Einführung einer elektronische Aktenführung und die Straffung von Arbeitsabläufen mit Hilfe von automatisierten Workflows. Zudem sollen Dienstleistungen für Wirtschaft und Bürgerschaft weitgehend digitalisiert werden. Wesentlicher Bestandteil der Digitalstrategie ist in Bocholt die Einführung einer Projektmanagement-Software, die es erlauben soll, Projekte und ihre Umsetzung so effektiv wie möglich zu planen und jedem Beteiligten zu jeder Zeit einen umfassenden Überblick über den Stand der Dinge zu bieten.

Mittlerweile gibt es davon so einige auf dem Markt. Hany Omar: „Der Software-Markt ist in diesem Bereich mittlerweile unübersichtlich. In Bocholt haben wir einige Programme getestet und verworfen. Einige waren für unsere Zwecke einfach überdimensioniert, andere erfüllten unsere Erwartungen nicht.“ Letztlich fand man eine Cloud-basierte Lösung, die den Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung und der des Bundesdatenschutzgesetzes gerecht wird.

Digital angezeigt: Mitarbeiter im Verzug

Die Software unterteilt Projekte in Aufgaben und Pakete. Unter Letzterem werden mehrere in direktem Zusammenhang stehende Aufgaben für das Erreichen eines Zwischenziels gesammelt. Arbeitspakete und strukturierte Abläufe lassen sich in Teams planen. Beschreibungen, Ziele und Zuständigkeiten werden definiert, einzelne Arbeitsschritte priorisiert und zeitliche Vorgaben fixiert.

Das Programm stellt zudem sicher, dass allen Beteiligten automatisch die neueste Version eines Dokumentes zur Verfügung steht. Wird in einem Projekt zum Beispiel ein einzelnes Datum geändert, erstellt das Programm selbstständig einen neuen Zeitplan für sämtliche darauf aufbauenden Schritte. Hany Omar zeigt auf ein einzelnes Projekt, in dem gerade ein roter Eintrag aufleuchtet. „Dieser Eintrag bedeutet, dass gerade ein Mitarbeiter mit einer Aufgabe in Verzug ist. Ein wichtiger Hinweis, bei dem es nicht um die Überwachung des Mitarbeiters geht, sondern um Prozesseffizienz und eine größtmögliche Transparenz für alle am Projekt Beteiligten.“

180 spezielle SoftwareAnwendungen werden in Bocholts Verwaltungsstandorten eingesetzt."

Hany Omar, Leiter Fachbereich Digitalisierung

Wesentlicher Bestandteil der Digitalisierungsstrategie: die Schulung der Mitarbeiter. Aber nicht für jeden Mitarbeiter macht es Sinn, einen factroZugang zu haben. Jens Visser erläutert: „Grundsätzlich suchen wir immer als Team die besten Lösungsansätze. Dazu gehört wesentlich die Frage, wer wo über welchen Zeitraum – über Ämtergrenzen hinweg – in welches Projekt mit eingebunden werden sollte. Wenn eine Nutzung des Programms sinnvoll erscheint, dann erhält der Kollege erst einmal einen Gastzugang und lernt zum Beispiel in Video-Tutorials den Umgang mit der Anwendung.“ 

Personalausweis - Fingerabdrücke analog

Natürlich gibt es auch in Bocholt Grenzen der Digitalisierung. Entweder stößt die Technik an ihre Grenzen oder verwaltungstechnische Abläufe dürfen gemäß geltender Gesetzesvorhaben nicht oder nicht komplett digitalisiert werden. Beispiel Personalausweis: In diesem Bereich fehle, so Hany Omar, der rechtliche Rahmen für eine vollständige Digitalisierung. Personenbezogene, Daten – etwa Fingerabdrücke, biometrische Fotos und bedingt auch die Unterschriften, seien online nur schwer zu erheben. Projektleiter Jens Visser nickt: „In einem so sensiblen Bereich geben diverse eGovernmentgesetze der Länder sowie das Onlinezugangsgesetz viele spezialgesetzliche Hürden vor.



Wie viel Geld die Stadt für die Digitalisierung der Verwaltung bis 2025 in die Hand genommen haben wird, ist nicht genau zu definieren. Die bisher geflossenen Mittel, so der CDO, seien nicht unerheblich. In allen Bereichen sei eine Art Finanzkorridor etabliert worden, weil viele Vorhaben noch nicht genau abzuschätzen seien beziehungsweise die strategische Umsetzung noch nicht klar umrissen ist.

Bürger sollen profitieren

Nach einem Jahr Digitalisierungserfahrungen blicken sowohl Projektleiter Jens Visser als auch Hany Omar optimistisch in die Zukunft: „Natürlich haben wir in der praktischen Umsetzungsphase der im September 2020 beschlossenen Strategie eine Lernkurve – aber keine unmittelbaren Fehlschläge – erlebt. Wir sind auf jeden Fall sehr optimistisch, dass unsere Verwaltung in vier Jahren sowohl funktional als auch zukunftssicher aufgestellt sein wird. Für unsere Verwaltung und für die Bürgerschaft wird der Mehrwert des Prozesses gut erkennbar sein“, gibt sich der Projektleiter zuversichtlich