Wirtschaft
Kommunale Wirschaftsförderung muss innovativ sein.
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Experten vom Difu

Damit kommunale Wirtschaftsförderung gelingt

6. Januar 2022
Wer als Kommune Zukunft gestalten will, muss die Wirtschaftsförderung in den Mittelpunkt rücken. „Dazu braucht es auch Mut, die ‚Wertefrage‘ zu stellen“, sagen die Experten Henrik Scheller und Sandra Wagner-Endres vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu).

Corona hat die Zerbrechlichkeit des (globalen) Wirtschaftssystems aufgedeckt. Um dieses gewinnorientierte und fragile System zu stärken, braucht es nicht nur kurzfristige Konjunkturprogramme, sondern auch eine langfristige Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe, die in Zukunft noch stärker bottum-up organisiert werden müssen. Lokale Resilienz ist hier das Zauberwort. Diese Fähigkeit, mit Schocks umgehen zu können, ist umso wichtiger, da  die Wechselwirkungen zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Infrastrukturen immer vielfältiger und komplexer werden. Nicht umsonst steht derzeit allenthalben die Forderung im Raum, die Corona-Krise gezielt zu nutzen, um Investitionen in saubere Energie, klimafreundlichen Verkehr, Gesundheit, Naturschutz, moderne Städte und Bildung zu forcieren. Auch Unternehmen fordern Planungs- und Investitionssicherheit für ihre klimafreundlichen Geschäftsmodelle. In diesem Zuge gewinnt die Debatte über eine wachstumsunabhängigere Wirtschaft wieder an Bedeutung.

Kommunale Wirtschaftsförderung  als Zukunftgestalter

Diesen wachsenden Transformationsanforderungen muss sich auch die kommunale Wirtschaftsförderung als klassische Querschnittsaufgabe der Städte stellen. Dazu ist nicht nur eine Umstrukturierung bestehender Verwaltungsstrukturen und Arbeitsprozesse notwendig. „Innnovationsfähigkeit“ wird vielmehr zur institutionellen Schlüsselkompetenz und umfasst dabei nicht nur Inhalte und Zukunftsthemen, sondern eben auch die Organisation einschließlich der Rolle und Funktion der Wirtschaftsförderung innerhalb der jeweiligen Stadt und Region sowie der von ihr genutzten Instrumente. Die Vision von einer Wirtschaftsförderung als „Zukunftsgestalter“ ist dabei eine grundsätzliche

Haltungsfrage, für die es normativ zu klären gilt, welche Formen des Wirtschaftens für die Zukunft der Stadt wichtig sind. Dafür braucht es Mut, auch Wertefragen „auf die Bühne zu heben“ und den Diskurs zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft vor Ort zu stärken. Dazu sollte die Auseinandersetzung mit Gesellschaftern und politischen Entscheidungsträgern nicht gescheut und die langfristigen Mehrwerte von systemischen Betrachtungen einer nachhaltigen Stadt- und Wirtschaftsentwicklung aufgezeigt werden.

Die Auseinandersetzung mit Gesellschaftern und politischen Entscheidungsträgern sollte nicht gescheut werden.“

Die Organisationsform der kommunalen Wirtschaftsförderung – Verwaltungseinheit oder Gesellschaft – prägt häufig auch die Struktur der Institution. Gesellschaften sind in der Regel von der Finanzierung durch die Gesellschafter abhängig und bewegen sich damit in einem Spannungsfeld aus spezifischen Interessen verschiedener Zielgruppen. So wird aktuell auch kritisch hinterfragt, ob die bestehenden Anteilseigner die richtigen Akteure für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben sind oder ob andere/neue Stakeholder besser dazu beitragen können. Unabhängig von der Organisationsform sollte kommunale Wirtschaftsförderung – aufgrund ihrer fiskalischen Stabilisierungsfunktion – als strategisches Investment für eine positive und zukunftsfähige Stadtentwicklung genutzt werden. Dazu braucht es eine angemessene und verlässliche Ressourcenausstattung.

Sandra Wagner Endres
Sandra Wagner-Endres



Mit den steigenden Anforderungen an Unternehmen, flexibel auf Veränderungen reagieren zu können, wachsen auch die Erwartungen von Unternehmen an die kommunale Wirtschaftsförderung, agil und schnell zu reagieren.Die dafür erforderlichen Strukturen sowie eine entsprechende Experimentier- und Fehlerkultur sind häufig (noch) nicht vorhanden. In einem Teil der Wirtschaftsförderungen werden bereits heute agile Arbeitsformen, beispielsweise durch selbststeuernde Teams für zentrale Handlungsfelder (Bestandspflege, Gründungs- und Ansiedlungsförderung, Netzwerke und Cluster), mit Erfolg erprobt. Auch die Zusammenarbeit in interdisziplinären Projektteams und unter periodischer Einbeziehung von Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft ist eine Möglichkeit, ressortübergreifende Aufgaben gemeinsam in sogenannten Change-Werkstätten zu bewältigen.

Vorreiter bei der Digitalisierung

Eine innovative Wirtschaftsförderung muss Vorreiter beim Thema Digitalisierung sein. Mit Hilfe von digitalisierten Prozessen und Anwendungen können Wirtschaftsförderungen Nachhaltigkeitsangebote entwickeln, die auch für Unternehmen nutzbar sind (Solarkataster, Fuhrpark-Sharing, CO2-Bilanzierung für ortsansässige Unternehmen oder auch Crowdfunding von Unternehmen). Das Produktportfolio der kommunalen Wirtschaftsförderung der Zukunft muss, um den Anforderungen an eine moderne Serviceeinrichtung gerecht zu werden, vollständig digitalisiert sein. Dazu zählt auch der Einsatz künstlicher Intelligenz, um eine 24-Stunden-Erreichbarkeit für die verschiedenen Kundengruppen der Wirtschaftsförderung sicherzustellen. Um zukünftige Entwicklungen als Teil eines professionellen und voll digitalisierten Wissens- und Innovationsmanagements im Blick zu behalten, bedarf es einer optimierten Analyse von Trenddaten, der Durchführung von kreativen Veranstaltungsformaten für und mit unterschiedliche Zielgruppen, um externes Wissen – gemäß des Open-Innovation-Ansatzes – punktuell immer wieder „ins Haus zu holen“.

Wirtschaftsförderer als Trendsetter

Henrik Scheller
Henrik Scheller

Mit Blick auf die Nachhaltigkeit und Transparenz ihrer eigenen Arbeit sollten Wirtschaftsförderungen als Trendsetter vorangehen und ein Audit der eigenen Struktur und Prozesse gemäß Nachhaltigkeitskodex (DNK) durchführen. Auch eine Zertifizierung nach der Gemeinwohlökonomiematrix kann Wirkungen der eigenen Prozesse sichtbar und messbar machen und gleichzeitig die Beratungskompetenzen in diesem Bereich erhöhen. Dafür sind einerseits strategische Anpassungen des bisherigen Portfolios unter Nachhaltigkeitsaspekten erforderlich – beispielsweise für den Ankauf, die Entwicklung, Vermarktung und das Monitoring von Wirtschaftsflächen oder für ein nachhaltiges Gewerbegebietsmanagement (einschließlich eines Leerstands-, Brach- und Dachflächenkatasters). Andererseits müssen neue Instrumente entwickelt werden, um verschiedene Stakeholder zu erreichen und der Vernetzungsfunktion gerecht zu werden. Wirtschaftsförderungen können beispielsweise Miteigentümer von Innovations- und Nachhaltigkeitshubs zur Gründung und Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Start-ups werden (Beispiel: „XR HUB Nürnberg“).

Ein dynamisches Gründungs- und Innovationsökosystem ist ein wichtiger Motor und Treiber einer lokalen beziehungsweies regionalen Produktions- und Standortentwicklung. Dabei kann mit der Etablierung nachhaltiger Geschäftsmodelle im Sinne der green economy oder von social entrepreneurship ein Mehrwert für die ganze Stadtentwicklung generiert werden. Um Unternehmen so bei ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten zu unterstützen und nachhaltig ausgerichtete Ökonomien zu fördern, muss Wirtschaftsförderung im Sinne eines „Sustainable Innovation Office“ aktiv werden.

Auf diese Weise können mit Bestandsunternehmen, Existenzgründungen, ansiedlungswilligen Unternehmen sowie bestehenden Netzwerken gezielt Ansätze der Kreislaufwirtschaft oder Social-InnovationStrategien realisiert werden. Um die gegenwärtige Krise für einen gesellschaftlichen „Reboot“ insgesamt und die kommunalen Wirtschaftsförderungen als einem wichtigen Player im kommunalen Kontext zu nutzen, ist es notwendig, systemische Zusammenhänge zwischen globaler und lokaler Ebene in den Blick zu nehmen. Nur so lässt sich Klarheit darüber gewinnen, welche Bereiche thematisch, institutionell und personell so neu ausgerichtet werden müssen, dass Wirtschaft als sozial und ökologisch inklusive Wohlstandsicherung gestaltet werden kann.

Der Text basiert auf Ergebnissen einer Gemeinschaftsstudie, die das Difu mit den Wirtschaftsförderungen von neun deutschen Städten durchgeführt hat.

 

Henrik Scheller ist Teamleiter Wirtschaft und Finanzen am Deutschen Institut für Urbanistik.

Sandra Wagner-Endres ist Wissenschaftlerin und Projektleiterin im Forschungsbereich „Infrastruktur, Wirtschaft und Finanzen“ des Deutschen Instituts für Urbanistik.