Mobilitätsapp
Mit einer Mobilitäts-App soll der ÖPNV attraktiver werden.
© Landkreis Lüchow-Dannenberg / Dirk Drazewski

1-Euro-Ticket

Ein Landkreis testet die Revolution des ÖPNV

Immer noch gibt es Streit um das geplante 49-Euro-Ticket. Wie es funktionieren kann, will der strukturschwache Landkreis Lüchow-Dannenberg beweisen und geht in Vorleistung: Mit einem 365-Euro-Ticket - aber für ein ganzes Jahr. Und das mitten im Wendland, in einer ländlichen Region. Wie das finanziert werden soll, was sich der Landkreis davon verspricht und wie die ersten Erfahrungen sind - unsere Reporterin hat nachgehakt.

Schon seit Anfang September können die Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Lüchow-Dannenberg im niedersächsischen Wendland ein Jahresticket für 365 Euro erwerben und damit alle strassengebundenen Strecken im gesamten Landkreis nutzen. Finanziert wird das neue Ticket erst einmal bis Ende 2024 mit Geldern des Förderprogramms "Modellprojekte zur Stärkung des ÖPNV" aus dem Bundesverkehrsministeriums. Insgesamt stehen 4,915 Millionen Euro zur Verfügung, die in eine umfangreiche Neustrukturierung des Öffentlichen Nahverkehr im Landkreis investiert werden sollen.  

ÖPNV auf dem Land - eine echte Herausforderung  

"Gerade in einem dünn besiedelten Landkreis mit großer Fläche wie bei uns ist der ÖPNV eine wichtige Aufgabe, aber auch eine große Herausforderung", erklärt Dagmar Schulz, seit einem Jahr Landrätin in Lüchow-Dannenberg. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen hat die Landrätin einen Fachkreis Mobilität eingerichtet, dessen Aufgaben zuvor verstreut angesiedelt waren. "Das war sinnvoll, um möglichst schnell und effektiv an einem zukunftsfähigen, umweltfreundlichen Verkehrsmix zu arbeiten", sagt sie. Das Ziel - ein Ticket für einen Euro am Tag - sei bereits Teil ihres Wahlkampfes gewesen. Mit ein Grund, warum der Landkreis die Nachfolge für das Neun-Euro-Ticket so schnell auf den Weg gebracht hat.

Das neue Ticket: Teil des cleverMOWE Projekts

Das 365-Euro-Ticket ist aber nur ein Teil des Mobilitätsprojektes "clever MOVE", das den Landkreis Lüchow-Dannenberg zukunftsfähig machen und eine echte Mobilitätswende einleiten soll. Teilprojekt 1: Die ÖPNV-Angebote sollen eine klare Netzstruktur bekommen und alle zivilgesellschaftlichen Mobilitätsinitiativen sowie bislang abgehängte kleinere Ortschaften mit einschließen. Teilprojekt 2: Errichtet werden sollen 20 Mobilitätsstationen im Landkreis, die Fahrräder, Pedelecs, E-Lastenfahrräder, Bürgerfahrdienste, Rufbusse sowie Carsharing-Autos - und mittelfristig auch die Angebote der Deutschen Bahn - miteinander verbinden. Teilprojekt 3: Eine Mobilitätsapp bietet neben Informationen rund um das öffentliche Angebot in Echtzeit auch Routenplaner, Buchungsmöglichkeiten und E-Ticketing. Teilprojekt 4: Das Tarifsystem im Wendland soll transparenter werden und in Kombination mit allen Angeboten nutzbar sein. "Mit Hilfe der Fördergelder ist es uns nun möglich, eine echte Zukunftskonzeption für den Öffentlichen Verkehr auf den Weg zu bringen. Wir werden genau schauen, was funktioniert, was angenommen wird und nur diese Angebote dauerhaft umsetzen", unterstreicht Dagmar Schulz. 

ÖPNV der Zukunft: die Bürgerschaft entscheidet

Derzeit nutzen vorrangig Schülerinnen und Schüler das öffentliche Angebot. Schulbusse, die nachmittags an den Schulen abfahren, sogenannte Ausstiegsbusse, dürfen natürlich auch von Erwachsenen genutzt werden. Auch die Busse, die am Morgen die Kinder und Jugendlichen befördern, sind keine expliziten Schulbusse. Wie viele Nicht-Schülerinnen und Nicht-Schüler in der Vergangenheit von dem Angebot Gebrauch machten, konnte bisher nicht erfasst werden. Das ändert sich mit der Einführung des 365-Euro-Tickets. Dagmar Schulz erläutert: "Wir brauchen ein System, das so übersichtlich und attraktiv wie möglich ist. Deshalb sammeln wir jetzt erst einmal Daten und Fakten und führen in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut eine Bürgerbefragung durch." 

 

Sie braucht keine Verkehrswende: Landrätin Dagmar Schulz fährt Fahrrad.



Fahrrad statt Dienstwagen

Für Dagmar Schulz müsste es das Projekt clewerMowe igentlich nicht geben und ihre ganz persönliche Verkehrswende hat die Politikerin schon vor Jahren vollzogen. Als "Fan des Öffentlichen Nahverkehrs" nutzt sie diesen selbst kaum. Umweltfreundlich ist die Politikerin aber dennoch unterwegs: Die 59-Jährige fährt selbst bei Wind und Wetter Fahrrad und das sogar ohne Gangschaltung. "Mein Rad habe ich mit 14 Jahren geschenkt bekommen und nutze es immer noch. In einer 60-Stunden-Arbeitswoche ist das Fahrradfahren einfach mein Sportprogramm", erklärt die Politikerin, "Außerdem", fügt sie an, "bin ich während der Stoßzeiten mit dem Rad einfach schneller als mit dem Dienstwagen."

Auch andere Kommunen bieten bereits ein günstiges Ticket an: In Berlin kostet das Nahverkehrsticket als Übergangslösung 29 Euro pro Monat, die Abonennten müssen dafür ein Abo abschließen mit Sonderkündigungsrecht. Im brandenburgischen Templin wurden die Busfahrten vor 25 Jahren kostenlos angeboten, inzwischen kostet eine Jahreskarte nur 44 Euro. im baden-württembergischen Tübingen kann man seit vier Jahren an Samstagen ohne Fahrschein Bus fahren. Wer am Wochenende Bus fährt, braucht im Kreis Calw  kein Ticket mehr.

Fotocredits: R. Ehrhard